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als wollte er ihm die Hütte schenken. »Ich bin Flix. Hab mich mal ’n Moment hingehauen.«

      »Versteh ich«, flüsterte er. »Ich bin Ryan.«

      »Hi, Ryan.«

      »Hi … Flix.«

      Sein Blick huschte durchs Zimmer, zum Fenster, zu Flix. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerige und sein Mitbewohner nahm Konturen an. Und was für welche!

      Flix sah aus wie ein Schauspieler aus einer Werbung für Duschbäder. Gebräunt, sehnig und mit erstaunlich weißen Zähnen. So einer, der auf einem Felsvorsprung steht und sich dann kopfüber in die Tiefe stürzt. Der beim Auftauchen lacht und sich die nassen Haare aus den wasserfarbenen Augen schüttelt. Die Tropfen fliegen in Zeitlupe an der Kamera vorbei. Dann wird der Name des Duschgels eingeblendet, aber den kann sich keiner merken, weil alle nur an den schönen Jungen denken.

      So einer war Flix.

      »Sag mal, wie alt bist du, Bro?«, unterbrach der Duschgeljunge seine Gedanken. »Also – nimm’s nicht persönlich, du siehst aus wie elf oder so. Die können doch keine Kinder hier reinstecken!«

      »Vierzehn.« Er schob sich an Flix vorbei zu dem Bett, das direkt unter dem Fenster stand. Gegen Typen wie Flix war er machtlos.

      Noomi

      »Jetzt also noch mal offiziell«, begann Sophia Jorek ihre Einführungsrede. »Willkommen bei Feel Nature. Und gleich vorweg: Ihr habt verdammtes Glück, dass sie euch hierhergeschickt haben. Glaubt mir, viele jugendliche Straftäter in eurer Situation würden was drum geben, bei unserem Projekt mitzumachen.«

      Ja, dachte sie. Ja! Ich hab’s geschafft. Dank ihres Anwalts, der die Jugendrichterin davon überzeugt hatte, sie an diesem ungewöhnlichen Projekt teilnehmen zu lassen. Nachdem Noomi ihn überzeugt hatte, ganz unauffällig natürlich. Die Richterin hatte eingewilligt, weil sie Ersttäterin sei, weil sie eine gute Prognose habe und wegen des Vorfalls, der hinter ihr läge. Wenn die wüsste, dass ausgerechnet der Vorfall der Grund für ihre Straftat gewesen war. Und jetzt war sie tatsächlich hier. Endlich! Unter freiem Himmel, zwischen aufgeschreckten Fledermäusen, auf Baumstümpfen, im Kreis mit anderen, und auf nichts davon kam es an. Worauf es ankam, war, ihren Plan umzusetzen.

      Erst mal durchatmen, beschwor sie sich. Mitmachen. Ins Gefüge einschmiegen. Alles andere würde sich finden. Lächeln. Unauffällig, unauffällig!

      Insgesamt waren sie sieben, sie saßen um eine Feuerstelle. Direkt neben ihr Ryan, dann Frau Jorek und ein weiterer Junge, den sie noch nicht gesehen hatte und der für ihren Geschmack zu gut aussah. Außerdem Olympe, mit der sie nicht wirklich warm wurde. Alles an ihrer Mitbewohnerin kam Noomi widersprüchlich vor: Ihre ohrläppchenkurzen Haare wirkten wie selbst abgesäbelt und schrien überdeutlich heraus, dass ihr die Meinung anderer scheißegal war. Andererseits trug sie eine sauteure Hipsterbrille und hatte mehr Ringe an den Fingern, als in der Auslage des Juwelierladens gelegen hatten, dessen Scheibe sie eingeschlagen hatte. Sie wirkte gleichzeitig geerdet und abgehoben, arrogant und freundlich. Noomi konnte sich keinen Reim auf sie machen.

      Neben Frau Jorek hockte ein Mann auf dem Stumpf, dessen gesamtes Gesicht aus Lachfalten zu bestehen schien. Eine wilde lichtbraune Mähne. Und als Letztes lümmelte ein Mädchen in ihrem Kreis, das wie eine Klischee-Schwedin aussah: so blondes Haar, dass es fast weiß schien. Außerdem wirkte sie, als würde sie jedes Wochenende hier im Elbsandsteingebirge verbringen – an einer Steilwand hängend. Braun gebrannt, drahtig, stark. Die hatte vor nichts Angst, da war sie sich sicher. Was sie wohl angestellt hatte?

      Noomi, konzentrier dich, schalt sie sich. Hör zu. Oder tu zumindest so.

      »… habt eure Sachen schon ausgepackt und die Papiere gelesen, die ich euch gegeben habe …«

      Die Rede spülte um sie herum, ihre Gedanken schweiften zurück zum Auspackmoment, dann zu dem, als die dauerplappernde Olympe auf dem Klo verschwunden und sie selbst aus der Hütte gehuscht war. Da hatte sie den ersten Fehler in ihrem ansonsten perfekten Plan gemacht. Sie hatte nämlich ausgerechnet eine Stelle zwischen den Baumstümpfen gewählt, auf denen sie gerade saßen, um ein Loch zu graben und ihren wichtigsten Besitz darin zu versenken.

      Argwöhnisch beobachtete sie Frau Joreks Füße, die diese Stelle berührten. Fast berührten.

      »… werden ab zehn Uhr die Hütten nicht mehr verlassen. Wenn doch, gibt es Strafpunkte. Fünf Strafpunkte bedeuten, dass ihr aus der Maßnahme fliegt. Die Mahlzeiten bereitet ihr abwechselnd in Zweierteams vor. Es geht, wie bei allem hier, um Teamarbeit. Diese Gruppe …« Ihre ausgreifende Geste beschrieb einen Kreis um sämtliche Baumstumpfsitzer. »… wird die nächsten Wochen miteinander verbringen. Wir arbeiten zusammen, kochen und putzen zusammen und treffen uns jeden Tag um halb fünf zu einer Dialogrunde, bei gutem Wetter hier, bei schlechtem drinnen.« Sie deutete mit dem linken Daumen über ihre Schulter zur Cabin in the Woods.

      Immerhin duschen und aufs Klo gehen dürfen wir offenbar alleine, dachte Noomi und starrte weiter auf Frau Joreks Füße.

      »Was die Duschen angeht …« Konnte die Gedanken lesen? »Die Waschräume im Haupthaus sind nach Jungs und Mädchen getrennt. Haltet euch dran. Ja, was noch? Abends um halb neun schalten wir den Generator an, dann habt ihr in den Hütten Licht zum Lesen, Briefeschreiben und so. Um zehn geht das Licht aus und es herrscht Bettruhe. Alles klar so weit?«

      Keiner von ihnen reagierte.

      »Okay.« Die Sozialarbeiterin klatschte in die Hände und der allzu attraktive Junge zuckte zusammen, als wäre er mit den Gedanken ganz weit weg gewesen. Selbst mit aufgeschrecktem Blick sah er noch aus, als würden sich Joop, Adidas und Gucci bekriegen, damit er für sie modeln würde.

      »Kurze Vorstellungsrunde«, befahl Frau Jorek und wies auf sich. »Mich kennt ihr schon, ich bin Sophia Jorek und ich leite das Camp. Ihr könnt mich Jorek nennen.«

      »Nicht Frau Jorek?«, erkundigte sich Ryan leise. Er war eindeutig der Jüngste von ihnen und Noomi fiel auf, dass sie seine Stimme zum ersten Mal bewusst hörte.

      Die Campleiterin schüttelte den Kopf. »Einfach Jorek.«

      Olympe kicherte. »Sophia?«, schlug sie vor.

      Jorek zog eine Braue hoch. Das reichte, um Olympe verstummen zu lassen.

      »Ich bin für alles Pädagogische hier zuständig, leite die Gruppensitzungen und trage die Verantwortung für euch und das Gelingen des Projekts. Wenn ihr Fragen habt oder es irgendwelche Probleme gibt, wendet euch bitte an mich oder an meinen Kollegen …« Sie nickte zu dem Faltenmann. »… Gunnar Wildner.«

      »Zu mir könnt ihr Gunnar sagen«, übernahm der Mann. »Ihr seid alle hier, um aus einem belastenden Umfeld rauszukommen. Wir helfen euch, gemeinsam stärker zu werden, den Blick zu ändern und das, was ihr getan habt, reflektieren zu lernen.«

      Noomi beäugte die anderen kritisch: Was bitte schön war ein belastendes Umfeld?

      Als hätte er ihren Gedanken gehört, fuhr Gunnar fort: »Manchen tut ihre Familie nicht gut oder die Schule …« Lag sein Blick absichtlich länger auf Ryan oder bildete sie sich das ein? Ryan schien es auch aufzufallen, er duckte sich unter den Worten weg. Gunnar sprach unbeirrt weiter: »… manche verlieren sich in Computerwelten …« Olympe? Ehe sie eine Reaktion ausmachen konnte, glitt Gunnars Aufmerksamkeit schon weiter zu dem schönen Jungen. »Und manche bewegen sich in schlechter Gesellschaft.« Der Junge wurde eine Nuance blasser.

      Gunnar mochte väterlich rüberkommen, aber was er gerade abzog, war gemein. Er sagte zwar »manche, manche, manche«, aber er meinte »du, du, du«. Und gleich war sie selbst dran.

      »Andere wiederum … « Jetzt lag sein Blick auf ihr und wie jeder, der zum ersten Mal ihre Augen sah, zuckte auch er kurz zurück. »Andere … « Er verhaspelte sich, fing sich wieder. »… hatten wohl einen Kurzschluss.«

      Einen Kurzschluss? Fast wäre sie wütend geworden, stattdessen lächelte

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