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Hexenkolk - Wiege des Fluchs. Thomas H. Huber
Читать онлайн.Название Hexenkolk - Wiege des Fluchs
Год выпуска 0
isbn 9783749793433
Автор произведения Thomas H. Huber
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Dann führte er sie am ehemaligen Abteigelände vorbei, wieder in Richtung Radewig, dem ältesten Herforder Stadtteil. Als sie vor dem Hexenkolk stehenblieben, schmiegte sich die modern gekleidete Frau ganz nah an den großen Mann, der ihr auf väterliche Art seinen Arm um die Schultern legte: „Für Sie muss dieser Anblick furchtbar schrecklich sein. Wollen Sie vielleicht schon einmal weitergehen?“ Aber die Frau schüttelte vehement den Kopf. „Es ist ja glücklicherweise vorbei. Ich komme darüber hinweg“. Danach schlenderten sie wieder durch den Park, beobachteten Eltern, die ihren Kindern beim Spielen zusahen, und betraten schließlich wieder das kleine Wäldchen. Vor einer Nebelwand, die wie waberndes Quecksilber aussah, blieben sie kurz stehen, bevor einer nach dem anderen darin verschwand.
Foto: iStock/Thomas H. Huber
NEW YORK, MELISSA UND JEREMIAH
31. Dezember 2010
Es war Liebe auf den ersten Blick und es war Silvester. Jeremiah Clover stand bereits seit Stunden mit ein paar Freunden auf dem Broadway Ecke 47. Straße. Wie in jedem Jahr, wollten sie auch heute wieder beim Ball-Drop dabei sein, New Yorks berühmtestem Silvesterevent. Wenn man eine gute Sicht auf den Ball haben wollte, musste man sich allerdings sehr früh an Ort und Stelle einfinden, am besten schon nachmittags. Nun war es bereits kurz vor Mitternacht und Jeremiah steckte seine behandschuhten Hände noch tiefer in die Taschen seines Parkas, um sich gegen die frostigen Temperaturen der Nachtluft zu wappnen. Dabei trat er von einem Bein aufs andere, damit sein Blutkreislauf nicht ins Stocken geriet. Er arbeitete als Bauarbeiter und war an Kälte gewöhnt. Doch dabei bewegte er sich in der Regel, und stand nicht bewegungslos im Schnee, so wie an diesem Silvestertag. Jeremiah war fünfunddreißig Jahre alt und arbeitete gern in seinem Beruf. Obwohl er ein abgeschlossenes Studium in Maschinenbau hatte, entschloss er sich für diesen Job an der frischen Luft. Kritische Zeitgenossen könnten jetzt durchaus behaupten, dass New York nicht für seine besonders frische und reine Luft bekannt ist. Andere hingegen, würden darauf antworten, dass sie dafür jedoch von etwas ganz Besonderem erfüllt ist, nämlich mit Leben.
Wenn man sich durch die überfüllten Straßen schlängelt, hat man tatsächlich den Eindruck, als befänden sich alle Einwohner zur gleichen Zeit auf den Gehwegen und in den Parkanlagen. Überall sieht man Gesichter, soweit das Auge auch reicht. Mal strahlen sie freundlich, mal sind sie mürrisch. Ein anderes Mal verängstigt, dann wieder mutig und voller Selbstvertrauen. Die Gesichter haben alle Farben und ihre Besitzer entstammen den unterschiedlichsten Ethnizitäten. In New York hat man das wahrhaftige Gefühl, Weltbürger zu sein, und gleichzeitig könnte man meinen, die ganze Welt würde sich an diesem Ort befinden. Und genau dieses Empfinden war der eigentliche Grund. für Jeremiahs Entscheidung. Er wollte jeden Tag im Zentrum dieser globalen Vernetzung sein und welcher Job hätte sich da besser geeignet, als der eines Straßenbau-Arbeiters. Er hätte es sich nicht vorstellen können, eingesperrt in einem Büro zu sitzen und Pläne zu zeichnen. Sein Job bot ihm alles, was er zum Leben brauchte, und das war die Nähe zum Leben, zu den Menschen. Deshalb begab er sich auch an diesem besonders kalten Silvesterabend wieder ins Herz dieser wundervollen Stadt.
Bereits am Morgen fielen die ersten Schneeflocken und mit ihnen die Temperaturen. Jetzt schneite es wohl auch noch, doch glücklicherweise nicht mehr so stark wie noch wenige Stunden zuvor. Das hätte ihnen die schöne Aussicht auf das gesamte Spektakel vermasselt und das stundenlange Warten wäre umsonst gewesen. Gerade als er eine Schneeflocke beobachtete, wie sie sich sanft auf die Nasenspitze seines Freundes und Arbeitskollegen, Sammy, legte, und sich innerhalb eines Wimpernschlags in einen winzigen Wassertropfen verwandelte, sah er sie, eine Frau in seinem Alter. Sie hatte langes dunkles Haar, das üppig unter einer purpurroten Strickmütze hervorquoll. Sie trug nahezu den gleichen Parka wie er, und auch sie hatte ihre linke Hand tief in dessen Seitentasche vergraben. In der rechten Hand trug sie einen Koffer und sah damit wie eine Touristin aus, die gerade die schönste Stadt der Welt besuchte. Als sich ihre Blicke trafen wussten beide sofort, was mit ihnen geschah. Die meisten Menschen hätten es als Liebe auf den ersten Blick bezeichnet, aber in ihrem Fall schien es so zu sein, als