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dritt im Bully, ich oben im Hubdach. Es war zu gefährlich alleine in der Wildnis zu campen. Natürlich störte ich damit das Intimleben der beiden, was einige Frustrationen auslöste. Oft musste ich als Prellbock herhalten. Mich wiederum nervte Arnulfs Faulheit. Bully putzen, einkaufen und abwaschen schienen nicht sein Ding zu sein. Außer fahren machte er nichts. Er hatte sich gemütlich in seiner Pascharolle eingerichtet und in Herat eskalierte die Geschichte schließlich. Ilse schickte mich morgens zum einkaufen, um frisch gebackene Hefefladen vom Feuerofen zu holen. Arnulf versprach derweil den Bullys innen zu putzen. Solche Äußerungen machte er oft, vergaß sie aber meistens. Auch dieses Mal. Ilse übertrug den unverrichteten Job an mich, da platzte mir der Kragen und ein Wort ergab das andere. Ich mußte meinem Unmut Luft machen. Dann fielen beide über mich her, sie waren sich einig wie ein Paar sich nur einig sein kann. Ein unschönes Wort folgte dem anderen. Arnulf entzog sich der weiteren Diskussion und verschwand einfach. Wir Weiber zickten weiter. Dann flog bei mir der Deckel hoch, es platzte einfach heraus.

      „Ich habe keinen Bock mehr, ich reise alleine weiter.“

      Ilse schluckte. Eine bedrückende Stille machte sich breit, Ilse fing leise an zu weinen. Trennung, daran hätten wir im Traum nie gedacht, das stand so nicht auf unserem Plan. Wie sollte das auch gehen, alleine weiterreisen? Arnulf hatte schließlich die Verantwortung für mich, das musste er unseren Eltern versprechen. Am nächsten Tag schienen die Wogen geglättet, doch wir saßen immer noch im selben Boot. Mit guten Vorsätzen reisten wir gemeinsam weiter ins Bamiyan-Tal im Hindukush Gebirge.

      Ralfs Bully konnten wir schon von Weitem sehen. Er parkte seinen VW-Bus in einer geschützten Biegung am Fluss und hängte gerade Wäsche auf. Er war mir auf Anhieb sympathisch und seinen Hund Sid schloss ich sofort ins Herz. Ralf freute sich über die deutschsprachigen Reisenden, doch er schien besorgt. Sid kränkelte weil er irgendwo etwas gefressen hatte. Jetzt quälten ihn ernsthafte Magenprobleme.

      Der beginnende Herbst hatte die Bäume des 2.500 m hoch gelegene Bamiyan-Tals knallgelb gefärbt. In der kargen Berglandschaft leuchteten die bunten Farbkleckse wie Blumenblüten, die der Wind über das Land verteilte. Ein stahlblauer, wolkenloser Himmel bescherte eine atemberaubende Weitsicht.

      Die in Felsnischen gemeißelten Buddha-Statuen waren der absolute Höhepunkt im Bamiyan-Tal. Die beiden Steinkolosse maßen eine Höhe von 53 und 35 Metern. Im Inneren der höheren Statue führte eine Felsentreppe bis zum Kopf hinauf. Hunderte von unebenen Stufen stieg ich hoch. Dort oben genoss ich einen überwältigenden Ausblick in das weitläufige Tal. Der kleine Fluss glitzert im Sonnenlicht und die zwei VW-Busse sahen aus wie trinkende Tiere am Wasserlauf. In der Luft lag ein herbes Aroma von Feuerrauch das sich mit dem frischen Wohlgeruch des Hochgebirges mischte. Nie werde ich diesen Ausblick in die Weite vergessen. Die friedliche Atmosphäre und die Stille dort oben vermittelten mir das glückselige Gefühl eine Weitgereiste zu sein. Wie konnte ich ahnen dass Taliban-Extremisten 2001 diese Buddha-Statuen in die Luft sprengten - ein Weltkulturerbe der UNESCO! Damit wurde der Frieden in diesem Tal für immer zerstört.

      Jeder von uns hatte bereits von Band y Amir gehört. Die sechs verschieden farbigen, dicht beieinander liegenden Seen auf unterschiedlichen Höhen waren nicht weit vom Bamiyan-Tal entfernt. In den Bergen gab einen Punkt, von dem alle Seen gleichzeitig in ihren ungewöhnlichen Farben sichtbar wurden - in türkis, orange, grün, grau, blau und gelb. Dieses Naturschauspiel wollten wir uns nicht entgehen lassen, doch keine Straße führte dort oben hinauf. Nur mit Pferden war es möglich dorthin zu gelangen. Was tun? Niemand von uns konnte reiten!

      “So schwer wird das schon nicht sein, lasst es uns doch wenigstens versuchen”, ermunterte uns Ralf.

      Afghanen vom Stamm der Hazara besaßen Pferde die sie vermieteten. Das schiitische Volk lebte in einem überwiegend sunnitischen Land, was die Hazara schon immer zu Außenseitern abstempelte. Wegen ihrer asiatischen Gesichtszüge galten sie bei vielen Afghanen als minderwertig. Aus diesem Grund dienten sie dem sunnitischen Volk oft zum verrichten niederer Arbeiten, für die sich sonst keiner hergeben würde. Die Pferde der Hazara besaßen weder richtige Sättel noch anständiges Zaumzeug. So hingen wir wie Kartoffelsäcke auf den Rücken der gedungenen, struppigen Pferde. Die Hazara ritten voran ohne sich um ihre Ausflügler zu kümmern, sie lachen nur höhnisch über uns. Der steinige Pfad führte haarscharf an einer Felsklippe entlang, wo es geschätzte 50 Meter abwärts ging. Ich durfte gar nicht hinschauen. Mein mulmiges Gefühl verwandelte sich in nackte Angst, als Ilses Hengst sich an meiner Stute rieb, an der er sichtlich Interesse zeigte. Die Stute machte schnelle kleine Hüpfer und schlug mit den Hinterhufen aus. Auf ihrem schaukelnden Rücken blickte ich in eine tiefe Schlucht. Meine Schenkel pressten sich um den Pferdeleib, krampfhaft hielt ich die zerschlissenen Taue des Zaumzeugs in den Händen und versuchte das Pferd vom Abgrund zu bewegen. Ilses Hengst führte ähnliche Tänzchen auf. Arnulf rief laut nach den beiden Hazara, die unserem Schauspiel von Weiten amüsiert zusahen. Einer der beiden wieherte vor Lachen, seine Augen waren nur noch Schlitze. Sie fanden die ungeübten Reiteinlagen der Frauen zu komisch. Ralf hatte sein Pferd besser im Griff und war den beiden Hazara dicht auf den Fersen. Der Wind pfiff uns auf 3000 Metern Höhe schneidend kalt um die Ohren. Arnulf glaubte, sein Rufen nach Hilfe sei einfach überhört worden. Die Ignoranz der Hazara machte ihn wütend. „Fuck Afghanistan“, schrie er und ballte die Faust. Der Lachende rammte seinem Pferd die Stiefel in die Flanken und galoppierte auf Arnulf zu. Schlagartig wurde aus seinem Gesicht eine wutverzerrte Fratze. Er spuckte vor Arnulf auf den Boden.

      „Fuck Afghanistan?! I kill you, I swear, you never will leave Afghanistan, you will be dead, I will find you everywhere, I kill you!“

      An der Ernsthaftigkeit seiner Worte zweifelte niemand. Ehrlich gesagt wusste ich in diesem Augenblick nicht wovor ich mehr Angst haben sollte, um mein Leben, oder um das von Arnulf. Aufgebracht zerrte der Hazara am Zaumzeug meiner Stute und bewegte sie von der Felsklippe weg. Ilses Hengst folgte, wir waren erst einmal in Sicherheit. Wie ernst meinte der Hazara seine Drohung? Konnten wir ihm noch vertrauen? Die Freude am Ausflug war uns schlagartig vergangen und Ilse bat die zwei Hazara umzukehren. Der andere bemühte sich nun wenigstens um Ilses Hengst und hielt ihn von meiner Stute fern. So konnten wir im ruhigen Trab zurückreiten. Meine Kamera habe ich nur einmal ans Auge genommen. Den Rest hat mein fotografisches Gedächtnis festhalten können. Nach Sonnenuntergang wurde es schlagartig eiskalt. Ein Englisch sprechender Afghane kam an unseren Bus.

      „Es wird sehr kalt heute Nacht, minus 20 Grad. Wir laden euch ein, wir haben Feuer gemacht, es ist warm. Es gibt auch eine Suppe!“

      War das eine Falle? Wollten sie uns Fremde ausrauben oder Arnulf vielleicht ans Messer liefern? Wir waren angespannt und ratlos. Keiner von uns besaß eine Heizung im Bus. Ob unsere Schlafsäcke den 20 Minusgraden trotzen würden… ? Ein zweiter Afghane kam vorbei, Mohammed, ein Tourist-Guide. Er sprach sogar ein paar Brocken Deutsch und wiederholte das Angebot.

      „Kommt in Hütte, ist warm für alle, ist zu kalt hier…, gibt lecker Suppe!“

      Mohammed erschien uns Vertrauen erweckender, vielleicht weil er etwas Deutsch sprach. Die Dunkelheit brachte eine klirrende Kälte mit sich. Jeder nahm seinen Schlafsack und folgte Mohammed im Schein seiner Taschenlampe zur Hütte. In dem großen Raum vermischten sich Essensgerüche mit den Ausdünstungen wild lebender Kerle. Mohammed schaute in den Topf, er zuckte mit den Schultern. Die Suppe war alle. Sid musste die Nacht in einer winzigen Kammer schlafen. Mohammeds verächtlicher Blick verriet, dass er nur geduldet wurde. Der islamische Glaube verbietet mit unsauberen Kreaturen wie Hunden oder Schweinen unter einem Dach zu schlafen.

      Der Hüttenraum war ein riesiges Matratzenlager. Dort lagen etwa zwanzig Männer, die teilweise schon laut schnarchten. Es roch wie in einer Pumafalle, Ilse verdrehte die Augen, sie und ich waren die einzigen Frauen. Mohammed wies uns am Rande des Matratzenlagers die Plätze zu. Ralf und Arnulf legen sich abgrenzend vor uns bevor Mohammed das Licht ausmachte. Es wurde stockfinster und über unseren Köpfen staute sich eine stickige Wärme die das Atmen schwer machte. Mitten in der Nacht weckte mich Ilses erschrockener Ausruf.

      „Igitt, mir ist da was über mein Gesicht gelaufen“

      „Was denn, ein Tier?“

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