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oder miteinander die Schulbank gedrückt hatte. Dazu kamen Liebschaften, Exliebschaften, Ehen zwischen den Familien und Ex-Ehen. Sie mussten morgen nochmals bei den Freunden des Kaufmanns nachhaken, um sich ein besseres Bild von ihm zu machen. Der Inselbürgermeister Kai-Uwe König war offenbar seit früher Jugend mit ihm befreundet ebenso wie der Sänger Jo Prell.

      Der Alte, der immer mit seinem Fernglas im Rollstuhl auf dem Platz vor dem Leuchtturm saß, hatte auf Plattdeutsch gekrächzt: »Bagaluten, Bagaluten, de Hein. Dat hat so kommen müssen.« Etwas Konkretes ließ er sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht entlocken. Aber Rike hatte erfahren, dass Bagaluten auf Plattdeutsch Bösewichte bedeutete. Allzu viel wollte sie jedoch darauf nicht geben, denn der alte Herr schien doch reichlich verwirrt zu sein, wenn man seinem Gerede lauschte.

      Rike seufzte, als sie ihren Computer verstaute.

      Nachdem der Tote mit der »Libelle« in die Gerichtsmedizin geflogen worden war, hatte sich das Team im Ratssaal des Leuchtturms versammelt und seine bisherigen Erkenntnisse ausgewertet. Viele Ansatzpunkte hatten sie nicht. Sie hatten weder ein Mobiltelefon des Opfers gefunden noch hatte die Auswertung der in der Funkzelle benutzten Mobiltelefone brauchbare Hinweise ergeben. Ihr war dann noch eine Aussage eingefallen, die sie noch nicht aufgeschrieben hatte, weil Heins Tochter dies erst erwähnt hatte, als sie die Vernehmung eigentlich schon abgeschlossen hatte und gerade gehen wollte. Diese Margo, die Rezeptionistin im Leuchtturm, sollte sich an den Kaufmann herangemacht haben. Wie lange war die nochmal auf der Insel? Die Tochter hatte sie im Verdacht, den Alten beerben zu wollen. Rike nahm sich vor, die Wirtin schnellstmöglich zu befragen, denn sie war die nächste Nachbarin des Opfers gewesen.

      Kapitel 8

      Margo glaubte sich noch mitten in ihrem Traum, dann schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Es klopfte leise an ihre Tür, nach einem Moment Stille ging das Klopfen weiter.

      Schlaftrunken torkelte sie der schweren Eichentür entgegen. Als sie einen Spalt geöffnet hatte und den stechenden Schmerz im Handgelenk fühlte, dachte sie an die Ereignisse vom Vortag.

      Da sah sie Paul und wollte die Tür sofort wieder zudrücken. »Rezeption geschlossen«, murmelte sie. Da hielt er den Bilderrahmen mit dem Foto hoch, den sie vermisst hatte.

      »Gehört dir das vielleicht?«

      »Wo haben Sie das her?«, fragte sie ärgerlich und nahm ihm den Rahmen mit der unverletzten Hand ab.

      »Als Archäologe finde ich so einiges.«

      »Haben Sie immer so eine zuvorkommende Art wie vorhin?«

      »Wir waren doch beim Du«, antwortete Paul.

      »Ach ja, und das gibt Ihnen das Recht, mich umzurennen wie ein Irrer?«, fragte Margo wütend.

      »Umrennen gehört nicht zu meinem Flirtrepertoire«, parierte Paul.

      Entweder wusste er nicht, worauf sie anspielte, oder er konnte es gut verbergen. Sicher war sie sich nicht über die Identität des Schattenmanns. Einen Mitwisser wollte sie allerdings auch nicht für ihren Ausflug haben. Wie sollte sie erklären, was sie einen Tag nach dem Mord im Haus des Toten gesucht hatte?

      Aber was wollte der Mann um ein Uhr nachts an ihrer Zimmertür?

      »Und nächtliche Zimmerbesuche gehören sehr wohl zu Ihrem Flirtrepertoire? Da muss ich Sie bei den Erfolgsaussichten aber leider enttäuschen«, beschied ihm Margo kühl.

      Paul zögerte. »Tut mir leid, Frau Wirtin. Ich habe eine Bitte und konnte nicht bis morgen warten. Ich würde gerne ein paar Papiere von dir aufbewahren lassen, falls das möglich wäre. Das darf auf keinen Fall in die falschen Hände kommen. Damit meine ich auch eine gewisse Dame, die im Hause logiert.« Er zeigte nach oben in Richtung Senatsetage, wo die Polizisten untergebracht waren.

      Margo wurde hellhörig: »Warum sollte sich diese Dame für Ihre Papiere interessieren?«

      »Nun ja, wegen Hein …«, stammelte Paul. »Ich stehe schon seit Jahren mit ihm im Kontakt. Er war ein Sammler seltener Urkunden und Karten und hat mir Material verkauft.«

      »Und dabei ist etwas schief gelaufen, und er ist ums Leben gekommen?«, fragte Margo ihn provokativ.

      Paul sah sie entsetzt an. »Das denkst du doch nicht wirklich, dass ich einen Menschen auf dem Gewissen habe? Wir haben miteinander Geschäfte gemacht, das war alles.«

      So richtig konnte sich Margo auch nicht vorstellen, dass er ein Mörder war. Warum sollte er den Inselkaufmann wegen irgendwelcher alter Papiere, so spektakulär diese auch sein mochten, umbringen? Allerdings hatte er ihre Nachfrage geschickt umgangen.

      »Also nochmal: Was sind das für Unterlagen? Ich werde ja nicht selbstgedruckte 500er oder Heins Testament verstecken und die Insel per Heli in Handschellen verlassen?«

      »Och, das sind also … ähm … ein paar historische Dokumente für meine Mittelaltervorlesung.«

      Jetzt riss Margo der Geduldsfaden. Für wie dämlich hielt er sie eigentlich, dieser Typ, der mit Mitte 40 immer noch den großen Jungen gab und seinen Charme für unwiderstehlich hielt. Natürlich hatte sie ihn amüsant gefunden, als er mit seinem trockenen norddeutschen Humor über seine Reisen zu Ausgrabungsstätten sprach und berichtete, über welche Umwege er manchmal an sein Ziel kam. Aber ansonsten hatte sie gerade genug von Männern, die in erster Linie sich selbst liebten.

      »Dann brauche ich ja nichts zu verstecken. Die gänzlich unspektakulären historischen Dokumente für die Mittelaltervorlesung, typisches Skandalthema auf Seite 1 der ›Bildzeitung‹, sind für die Polizei sowieso völlig irrelevant.«

      »So unspektakulär sind sie nun auch wieder nicht«, sagte Paul zerknirscht. »Wenn sich das als echt erweist, wäre es eine wissenschaftliche Sensation. Das wäre eine Riesenchance für mich, einen Lehrstuhl zu bekommen.«

      Misstrauisch hakte Margo nochmals nach: »Und worum geht es dabei?«

      Paul zögerte: »Das muss aber streng geheim bleiben. Ich sage nur ›Störtebeker und seine Zeit auf Neuwerk‹.« Dann wurde er nachdenklich und fragte sie:

      »Im Übrigen: Was willst du eigentlich mit dem Foto?«

      Touché, dachte Margo. Aber er wäre der Letzte, den sie in ihre persönlichen Probleme einweihen würde. Ein Glas zu viel an der Bar und ein tiefer Blick der Adelszicke, und der würde wahrscheinlich alles brühwarm weitererzählen. Wenn die Frau nicht immer so verkniffen wäre, würden Männer die große Blondine sicher attraktiv finden. Auf jeden Fall wollte sie es nicht darauf ankommen lassen, Paul einzuweihen, lieber wollte sie seine Papiere verstecken. Dann könnte sie immer noch selbst einen Blick darauf werfen und später entscheiden.

      »Okay, es gibt eine geheime Tür im Keller, die in eine Art unterirdisches Labyrinth führt. Das waren einmal Fluchtwege für die Turmbesatzung im Fall eines Angriffs. Dort können Sie die Dokumente ablegen.«

      Paul drängte, das umgehend zu tun, und fragte nochmals: »Auf dem Bild, sind das nicht Hein und seine Jugendfreunde? Das habe ich übrigens vor der Rezeption auf dem Boden gefunden, es gehört dir doch?«

      Margo überlegte kurz, ihn in das Labyrinth einzuschließen, allerdings hätte sie sich dann wohl verdächtig gemacht, und sagte resigniert: »Dann wollen wir mal in die Unterwelt hinabsteigen.«

      *** Das kleine Holzschiff mit der Kerze schaukelte auf den Wellen, bis die ablandige Strömung seinen Rumpf umschlang und das Licht immer kleiner wurde. Einen Moment tanzte es noch auf den Wellenkämmen, während es vom auflaufenden Wasser in die Unendlichkeit des offenen Meeres getrieben wurde. Die drei Männer standen bewegungslos und still am Ufer und sahen dem Flackern hinterher, bis es nur noch ein ganz kleiner leuchtender Punkt war, der sich schnell gen Norden bewegte. Keiner sagte ein Wort. Sie sahen dem Licht noch nach, bis es außer Sichtweite war. Dann griff einer der drei Gefährten zu seiner Gitarre und stimmte ein Lied an, in das die beiden anderen brummend einfielen.

      My boat’s by the tower, and my bark’s on the bay,

      and both must be gone at the dawn of the

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