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brummte verächtlich. Er glaubte Hanke kein einziges Wort. »Halt deine verdammte Klappe und verschwinde einfach!«

      Es klopfte zaghaft an der Tür und Christian sah den Hauptkommissar fragend an, machte aber keine Anstalten, das Büro zu verlassen.

      »Ja?«, sagte Florian nach kurzem Zögern und die Tür wurde vorsichtig aufgeschoben.

      Jessicas Kopf erschien. Sie schaute suchend im Raum umher und entdeckte schließlich Christian und kurz danach Florian. »Christian? Was machst du denn hier? Bist du zurück aus Neuseeland?« Sie stürmte fast ins Zimmer und fiel dem Münchener Profiler zur Begrüßung spontan um den Hals. »Schön, dich zu sehen.« Dann löste sie sich aus der Umarmung und sah unsicher zu Florian hinüber.

      »Was willst du hier?«, blaffte dieser sie rüde an. Jetzt erst sah er die Zettel, die Jessica in der Hand hielt.

      »Das Labor hat erste Ergebnisse zu deinem Leichenfund in der Breitachklamm geschickt. Leider an Kommissar Kern und nicht an dich.« Ob sie bedauerte, dass sie hergeschickt wurde und so nicht vermeiden konnte, ihm zu begegnen, oder ob es lediglich eine Floskel war, die man halt so sagte, wenn das Labor mal wieder Faxnummern vertauscht hatte, konnte er nicht ausmachen, doch er nickte und nahm Jessica die Zettel ab.

      Als die junge Hauptkommissarin grußlos sein Büro verlassen wollte, rief Christian ihr hinterher: »Hast du deinem Freund denn nicht ausgerichtet, dass ich ein paar Monate in Neuseeland und nicht erreichbar war? Er denkt jetzt, du würdest ihn mit mir betrügen.« Er lief zu ihr, baute sich vor Florians Ex-Freundin auf und versperrte ihr den Weg zur Tür.

      Jessica schaute erst zu Florian, dann direkt in Christians Augen und zog fast unmerklich den Kopf ein. Dann nickte sie. »Ja, Christian, genau das sollte er auch denken«, flüsterte sie. »Es tut mir leid.« Dann drängte sie sich an ihm vorbei und verließ fluchtartig das Büro. Die Tür fiel krachend ins Schloss und Florian blieb völlig fassungslos zurück.

      »Schick di, Alma!« Mit der flachen Hand schlug sie der Buntgescheckten auf ihr knochiges Hinterteil, drängte sich an der Kuh vorbei, trat in den Gang und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Dann zog sie ihr Kopftuch zurecht, wischte die Handflächen an ihrer Jeans sauber und machte sich auf den Weg ins Freie.

      Die Arbeit im Kuhstall war anstrengend und sehr schweißtreibend. Nicht nur, weil die Mistgabel schwer war, sondern vor allem, weil die ganze Gülle und die großen Körper der Rindviecher die Luft im Stall aufheizten und man vor lauter Gestank kaum atmen konnte. Doch wider Erwarten mochte sie die Kühe, und auch das Melken und Misten machten ihr nichts aus. Kühe waren freundliche Wesen ohne jegliche Arglist oder Falschheit. Eben durch und durch positiv, trotz der widrigen Umstände, in denen sie lebten. Alma und die anderen Kühe hassten den Stall und wollten zurück auf die Weide, doch sie fügten sich mit stoischer Gelassenheit ihrem Schicksal. Im Februar war es einfach noch viel zu kalt da draußen.

      Die Hühner dagegen waren anders. Dummes, flatterndes Federvieh, das zu nichts taugte, außer zum Eierlegen. Der Hahn konnte mit seinem penetranten Gekrähe Tote aufwecken, die Hühner scharrten den ganzen lieben langen Tag im Dreck und suchten Körner. Strunzdumm, das Geflügel. Sie mochte die Hühner nicht. Doch das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Ein paar unliebsame Begegnungen mit dem Flattervieh hatten ihre Schwiegermutter schließlich dazu bewegt, sie von dieser Arbeit zu befreien.

      Der Hof, auf dem sie seit etwa einem Jahr lebte, war klein. Günther, ihr Mann, besaß gerade einmal acht Kühe, 20 Hühner, ein paar Gänse und zwei Schweine. Das meiste an Fleisch, Eiern und Milch diente dem Eigenbedarf, der klägliche Rest wurde im hofeigenen Laden verkauft, neben Marmelade, selbst geräucherter Wurst, Käse, Obst und Gemüse. Auch den Hofladen betrieb einzig und allein ihre Schwiegermutter Erna, ein herrisches altes Weib, das unzufrieden und immer griesgrämig aus der Wäsche guckte. Es war ein Wunder, dass der Laden so gut lief und sie nicht mit ihrem unhöflichen und unfreundlichen Auftreten die Kundschaft vergraulte. Hier in der Gegend kannte man halt Erna vom Lochbichlerhof.

      Doch ohne die kleinen Aushilfsjobs, die ihr Mann Günther in der Umgebung verrichtete, würde der Hof nicht genug abwerfen, um zu dritt einigermaßen sorgenfrei zu leben. Er half anderen Landwirten bei der Ernte und war durchaus talentiert, die eine oder andere Landmaschine, die ihren Geist aufgegeben hatte, mit wenig Aufwand wieder zum Leben zu erwecken. Er hatte sich hier in der Gegend unentbehrlich gemacht, war allseits beliebt und seine Arbeitskraft wie auch seine Gesellschaft war gern gesehen. Neben dem ortsansässigen Schützenverein war er Mitglied im Kegelclub, spielte regelmäßig Karten am Stammtisch im Dorfgasthof und erledigte seine Aufgaben als gelernter Jagdhelfer. Wegen all dieser Tätigkeiten hielt er sich nur selten auf dem Hof auf, und das war es, was sie am meisten an ihm schätzte.

      5

      »Und ist deine Schätzung denn wirklich korrekt?« Florian hob die Hand und winkte der Kellnerin, die zwei Tische weiter ein älteres Ehepaar bediente, ihm jetzt aber freundlich zunickte und ihm so signalisierte, dass sie gleich an ihren Tisch kommen würde.

      »Wenn ich eine Aussage treffe, ist das keine Schätzung, sondern eine exakte Bestimmung des Todeszeitpunktes. Außerdem wollten wir hier nicht über die Arbeit sprechen«, bemerkte Ewe leicht genervt und trank schnell den letzten Schluck des Bieres aus, denn die Kellnerin war schon auf dem Weg zu ihnen.

      »Noch ein Weizen, bitte«, rief er ihr entgegen und sah dann zu seinem Freund.

      »Für mich auch«, brummte Florian und hielt der jungen Frau an ihrem Tisch wortlos sein leeres Glas entgegen, ohne sie anzusehen.

      Erwin Buchmann schüttelte verständnislos den Kopf. »Was ist denn los mit dir? Noch nicht einmal zwei Wochen bei der Arbeit und schon wieder urlaubsreif«, bemerkte er belustigt, als die Bedienung mit den leeren Gläsern und den Tellern abgezogen war. »In Zellamsi warst du eindeutig netter zu den hübschen Kellnerinnen. Und die eben war doch ganz süß.« Ihr gemeinsamer Urlaub im schönen Ort Zell am See in Österreich hatte eigentlich nur aus täglich zwei Stündchen Skifahren und vielen feuchtfröhlichen Stunden Après-Ski auf diversen Hütten bestanden. Florian konnte sich gar nicht erinnern, ob er in den zwei Wochen überhaupt mal richtig nüchtern gewesen war. Jedenfalls ist der liebevolle Begriff »Zellamsi« aufgrund der ständig schweren Zunge und der vielen arabischen und asiatischen Touristen, die es nicht besser wussten, einfach hängengeblieben.

      »Zwölf Jahre liegt die Leiche der Frau schon in der Breitachklamm?« Florian ging auf die Bemerkung seines Freundes gar nicht ein. »Und die Todesursache?«

      »Mein Gott, Florian, jetzt reicht’s aber.« Ewe sah ihn ärgerlich an. »Ja, zwölf Jahre. Todesursache war ein Genickbruch, DNA ist bestimmt. Steht alles im Bericht, den du dann morgen lesen kannst.«

      »Aber …«

      »Schluss jetzt. Trink!«, befahl Ewe, als die junge Kellnerin das Bier brachte und Florian zuzwinkerte. Der lächelte nur etwas gequält, griff nach dem Glas auf dem Tisch, aber anstatt einen Schluck zu nehmen, stellte er es zurück und ließ es gleich wieder los. Dann rieb er sich mit beiden Händen über das Gesicht.

      »Mit der Arbeit lenkst du dich nur ab«, stellte Florians Freund besorgt fest. »Was ist los mit dir?«, wiederholte er, hob sein eigenes Glas und stieß es sanft klirrend gegen das zweite. »Trink!«

      »Christian hat mich heute auf dem Präsidium besucht«, erwähnte Florian schließlich fast tonlos.

      »Dass das Arschloch sich noch in deine Nähe traut, nach allem, was er dir angetan hat.« Ewe schüttelte fassungslos seinen Kopf. »Der ist sich wohl nicht bewusst, wie wir Allgäuer so etwas regeln. Der hätte sich leicht eine fangen können, der Idiot.«

      »Hat er ja.«

      »Was hat er?«

      »Hab ihm voll eine …!« Ganz unbewusst rieb sich Florian die rechte Hand, die zur Faust geballt war, starrte dann auf seine Hände und fuhr sich schließlich nervös durchs Haar.

      Als er aufsah, lächelte Ewe zufrieden und nickte. »Er hat es verdient«, schloss der junge Gerichtsmediziner und nickte zur Bekräftigung seiner Worte. »Niemand spannt einem Allgäuer ungestraft

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