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Blick vom Doktor ein.

      »Meine Frau leidet unter schweren Depressionen und Angstzuständen.«

      »Und behandeln Sie sie selbst?«, fragte Berthold und zog unmerklich den Kopf ein, so als fürchtete er eine wütende Schimpftirade von Dr. Wiedemann. Doch als er Florians anerkennendes Lächeln sah, fühlte er sich etwas sicherer. »Sie sind doch Arzt.«

      Dr. Wiedemann sah den jungen Beamten beinahe verächtlich an. »Ich bin Allgemeinmediziner, kein Psychologe«, erklärte er leicht ungehalten. »Doch meine Frau ist seit drei Jahren bei einem befreundeten Psychotherapeuten in Behandlung. Und er spricht vor allem die medizinische Unterstützung durch Medikamente mit mir ab, also ja, auch ich versuche, meiner Frau zu helfen. Aber was hat das mit der kaputten Alarmanlage zu tun?«

      »Die Anlage ist nicht kaputt, sondern wurde manuell für einen kurzen Zeitraum deaktiviert. Das ist ein Unterschied«, verteidigte Alexander Richter sich und seine Firma. »Wie es unsere Art ist, möchten wir für Ihre absolute Sicherheit sorgen. Und gestern Abend hat ein Außenstehender an Ihrer Anlage gespielt, wenn es Ihre Frau und Ihre Haushälterin nicht waren. Scheinbar hatte diese Person auch einen Schlüssel.«

      »Sie haben doch Luise und meine Frau befragt«, polterte Dr. Wiedemann zurück. »Die beiden waren es nicht. Die Medikamente meiner Frau lassen ja auch gar nicht zu, dass sie sicher Auto fährt. Der Wagen wurde von ihr seit Monaten nicht bewegt.« Er stand auf und trat ans Fenster, hob die Hand und winkte seiner Frau, die bereits wieder auf dem Rückweg war und in Richtung Villa ging. Sie winkte ihrem Mann zurück.

      »Suchen Sie einfach die Person, die angeblich hier im Haus war und die mit dem Wagen gefahren ist, aber tun Sie mir den Gefallen und halten Sie meine Frau da raus. Ihr Zustand lässt es nicht zu, dass sie sich ängstigt. Wir haben lange daran gearbeitet, dass sie wieder ruhig schlafen kann. Auch dank der Medikamente«, fügte er hinzu und wandte sich dann an Hauptkommissar Forster.

      »Ich möchte eine Anzeige gegen unbekannt aufgeben. Und suchen Sie zuerst bei Herrn Richters Angestellten. Vielleicht ist dort einer dabei, der sich etwas Geld nebenbei verdienen will und sich bei reichen Leuten bedient. Ich gebe also eine Anzeige auf. Das kann ich doch bei der Kripo tun, oder ist da eine andere Abteilung zuständig?« Er sah Hauptkommissar Forster fragend an.

      »Nein, den Fall übernehmen ich und mein Kollege Willig. Wir ermitteln ja bereits im Namen der Staatsanwaltschaft, aber natürlich ist es hilfreich, wenn auch Sie den Vorfall melden und für Fragen weiterhin zur Verfügung stehen. Und ich würde Sie bitten, in naher Zukunft zu überprüfen, ob vielleicht etwas gestohlen wurde.«

      »Und ich möchte Sie bitten, etwaige Anschuldigungen gegen die Mitarbeiter meiner Firma zu unterlassen«, drohte Alexander Richter, bewirkte mit seinen Worten aber nur, dass Herr Dr. Wiedemann ihn wütend anstarrte.

      »Dann erwarte ich spätestens morgen Ihren Anruf bezüglich gestohlener Gegenstände«, wiederholte Florian und griff nach seiner Kaffeetasse.

      Dr. Wiedemann nickte und begrüßte seine Frau, als sie durch die Terrassentür das Wohnzimmer betrat.

      3

      Die welken Blumen auf dem Grab seiner Frau sahen erbärmlich aus. Letzte Woche, als die Temperaturen noch merklich unter null Grad lagen, waren die Rosen mit einer dünnen Schicht kristallklarem Eis überzogen gewesen und hatten in der Sonne geglitzert. Jetzt war der ganze Strauß matschig braun und verwelkt. Er hätte ein Gesteck aus Tannenzweigen an ihrem Geburtstag aufs Grab legen sollen. Es war schließlich Winter. Auch war die Erde auf dem Grab noch trostlos leer, da er bisher keine Gelegenheit gehabt hatte, sich über die Begrünung Gedanken zu machen. Immerhin war Petra im November gestorben, kurz bevor der erste Frost ins Allgäu kam und eine Bepflanzung unmöglich machte. In ein paar Wochen würde er sich darum kümmern. Oder besser, er würde einen Gärtnerdienst beauftragen. Die hatten mehr Erfahrung als er und würden das Grab mit Sicherheit professioneller bepflanzen und pflegen.

      Nachdem er die alten Blumen entsorgt hatte, verließ er den Friedhof wie jeden Sonntagnachmittag über den kleinen Weg durch die schön angelegte Teichlandschaft zum Nebenausgang, wo er sein Auto geparkt hatte.

      Als er die Hand in seine Manteltasche schob, nach seinem Autoschlüssel suchte und ihn schließlich herauszog, fiel ein kleiner Zettel zu Boden, wurde vom Wind erfasst und ein paar Meter über den matschigen Sandweg geweht, bis der winzige Papierschnipsel in einer Pfütze liegenblieb. Einen kurzen Moment überlegte er, ihn einfach liegen zu lassen, doch als die Schmerzen und dieses verdammte Engegefühl in seinem Brustkorb ganz plötzlich zurückkamen und eine erneute Panikattacke ankündigten, bückte er sich doch nach dem Zettel, hob ihn auf und schaute auf die Zahlen und Buchstaben, atmete dabei tief ein und aus, so gut es mit seinen momentanen Beklemmungen eben ging, und überlegte fieberhaft.

      Er musste diesen Beweis zerstören. Das Wasser aus der Pfütze würde dafür nicht ausreichen. Die Tatsache, dass niemand die Daten auf dem kleinen Bahnticket, das er vor ein paar Tagen in Oberstdorf aus dem Automaten gezogen hatte, auf ihn zurückführen können würde, da ja kein Name oder keine Adresse vermerkt war, beruhigte ihn keineswegs. Er musste das Ticket zerstören.

      Es war unmöglich, das feuchte Papier anzuzünden, musste er feststellen, als er die Flamme seines Feuerzeugs an den Zettel hielt. Doch er bemerkte zufrieden, dass die Hitze des Feuers die Thermoschicht des Zettelchens pechschwarz färbte und die Zahlen unleserlich machte. Als sich zudem die Worte »Kempten (Allgäu) Hauptbahnhof« in schwarzes Wohlgefallen aufgelöst hatten, lächelte er zufrieden, auch weil die Schmerzen in seiner Brust langsam nachließen. Er legte das wertlose Ticket vorsichtig zurück in die Pfütze und schob das Feuerzeug in seine Hosentasche.

      Ja, ein Problem war gelöst.

      »Bin wieder da«, rief Jessica, warf ihren Haustürschlüssel achtlos auf die Anrichte im kleinen Flur und drückte mit ihrem Hintern die Wohnungstür zu. »Ich habe Essen mitgebracht! Hallo, Rico!«

      Der junge Ecuadorianer, der aus ihrer Küche geeilt war und jetzt direkt vor ihr stand und sie anstrahlte, hob grüßend die Hand. »Holla, Frau Grothe«, sagte er und es klang etwas gepresst, doch sein stetes Lächeln überspielte seine Unsicherheit. Trotz des eisigen Wetters draußen trug er in der Wohnung ständig nur knielange Hosen und kurzärmelige Hemden und wirkte durch seinen leicht dunklen Teint, als wäre er gerade frisch aus dem Urlaub gekommen. Und so war es vermutlich auch. Gab es in Ecuador überhaupt Winter, Schnee und Kälte?

      »Sag doch bitte Jessica zu mir, Rico«, schlug sie zum wiederholten Mal vor und bemühte sich, ebenfalls freundlich zu lächeln. Doch der vergebliche Versuch, ohne Zuhilfenahme ihrer Hände aus ihren nassen Stiefeln zu steigen, ließ sie genervt das Gesicht verziehen. »Mistdinger!«, fluchte sie, lehnte sich gegen die Wand, beugte sich hinunter und zog mit beiden Händen an dem rechten Stiefel, der nur langsam, als hätte er sich an ihrem Bein festgesaugt, von ihrem Fuß glitt. »Verdammter Mistschuh«, zischte sie durch die fest zusammengebissenen Zähne, schaute auf und sah in drei grinsende Gesichter.

      »Was gibt’s denn zu essen, Jessy?«, fragte Svenja, und Tobi griff bereits nach den zwei Plastiktüten, die Jessica neben der Anrichte abgestellt hatte und die herrlich nach Currywurst und Pommes dufteten.

      »Oh, be careful, Tobi«, rief Rico entsetzt, als eine der Tüten geräuschvoll gegen die Wand klatschte, besann sich dann aber darauf, dass er nach Kempten gekommen war, um besser Deutsch zu lernen, nahm Tobi das Essen ab und sagte ermahnend: »Du mussen aufpassen gut.«

      »Du musst gut aufpassen«, belehrte ihn Svenja, nahm Tobi an die Hand und lief zurück in die Küche.

      Die Entscheidung, ein Au-pair für die beiden Kinder zu besorgen, um wieder ganztags arbeiten zu können, war Jessica zuerst schwergefallen. Und auch der durchaus sympathische ecuadorianische Deutschstudent Ricardo Hernandez war nicht ihre erste Wahl gewesen. Jessica hätte durchaus lieber ein junges Mädchen als Aufpasserin für die achtjährige Svenja und ihren drei Jahre jüngeren Bruder Tobias gehabt, doch Rico stellte sich als überaus kompetent und freundlich heraus und fand sofort einen Zugang zu Tobi und Svenja. Er war jetzt seit zwei Wochen bei ihnen und hatte den Haushalt und die Kinder bereits besser im Griff, als Jessica es je gehabt hatte.

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