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hat den Kerl bloß so zugerichtet? Das ist ja grauenvoll«, stöhnte der Hauptkommissar und musste sich abwenden. »Wie lange liegt der wohl schon hier?«

      »Höchstens ein paar Stunden«, erklärte Ewe. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe glitt über die zertrümmerten Knochen. An einigen größeren Brüchen hielt der Gerichtsmediziner inne und sah sie sich genauer an.

      »Ein paar Stunden? Willst du mich verarschen? Der ist doch bereits total verrottet«, rief Florian angewidert und wies jetzt wieder auf den Schädel. »Keine Haut mehr dran, außer das bisschen im Gesicht.«

      »Na ja, das stimmt ja jetzt nicht«, brüllte Ewe und versuchte das Grollen des rauschenden Flusses zu übertönen. »Hautfetzen, Sehnen und Muskelstränge liegen hier doch überall zwischen den Knochen. Wird eine Scheißarbeit, alles einzusammeln. Das werden wir erst morgen bei Tageslicht machen können.«

      »Ja, gut«, würgte Florian, der froh war, dass er diese beschriebenen Hautfetzen und Sehnen nicht sehen konnte. Aber die Vorstellung reichte bereits, in ihm Übelkeit und Abscheu hervorzurufen, und er trat vorsorglich ein paar Schritte zurück. Nicht, dass er unwissend womöglich noch auf irgendwelchen Leichenteilen stand. Hier allerdings war er dem reißenden Fluss so nahe, dass aufspritzendes Wasser, das unaufhörlich mit großer Geschwindigkeit gegen einen Fels schlug, ihm in wenigen Sekunden die Kleidung durchnässte. Er wischte sich die unzähligen Wassertropfen aus dem Gesicht und suchte sich eine trockenere Position.

      »Und wie viele Stunden, schätzt du, ist der Kerl tot?«

      »Stunden? Der Tod trat vor vielen Monaten oder sogar Jahren ein. Ich muss das alles erst genau untersuchen, bis ich es präzise sagen kann«, erklärte Ewe und blickte etwas verwirrt zu Florian auf. »Wie kommst du denn bei diesem Anblick darauf, dass die Person erst ein paar Stunden tot ist?«

      »Das hast du mir doch gerade gesagt, du Idiot«, polterte Forster wütend. »Du hast gesagt, der Mann liegt erst ein paar Stunden hier unten.«

      »Das stimmt ja auch«, nickte Ewe und Florian konnte sein breites Grinsen im Licht des Scheinwerfers sehen. »Aber von einem Mann habe ich nicht geredet. Das hier«, er deutete auf die Knochen vor sich, »ist eine Frau. Das erkennt man deutlich unter anderem an den Beckenknochen. Erwachsen, aber das Alter möchte ich hier im Dunkeln nicht schätzen.«

      »Boah, Mann. Willst du mich heute mal richtig wütend machen, oder was?« Florian war kurz davor, auf seinen Freund loszugehen, ihn am Kragen zu packen und vom Boden hochzureißen. Vielleicht würde er ihm dann auch gleich eine Kopfnuss verpassen. Jedenfalls fehlte dazu nicht mehr viel und nur der Gedanke an die herumliegenden Leichenteile hielt ihn von diesem Vorhaben ab.

      »Die Brüche sind alle ganz frisch, soweit ich das erkennen kann. Ich vermute also, die Leiche hat bereits seit geraumer Zeit weiter oben gelegen. Vermutlich sogar vergraben.«

      Der Lichtkegel der Taschenlampe leuchtete kurz nach oben.

      »Der Erdrutsch muss den Torso mitgerissen haben. Durch den Sturz sind die Knochen gebrochen und jetzt liegt die skelettierte Leiche hier unten seit ein paar Stunden«, betonte Ewe und brach in schallendes Gelächter aus.

      4

      Die stickige Heizungsluft in seinem Büro im ersten Stock des Präsidiums bekam ihm gar nicht. Wenn er den ganzen Tag nicht an die frische Luft konnte, bekam er spätestens zu Mittag Kopfschmerzen. Das Problem an den alten Heizkörpern hier im Gebäude war, dass sie entweder gar nicht funktionierten oder sich nicht regulieren ließen und permanent heiße Luft produzierten. Sein Büro hatte inzwischen bereits 25 Grad. Florian stützte seine Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Nach ein paar Minuten stand er genervt auf, lief zum Fenster und öffnete es. Ein Schwall frischer, eiskalter Luft und viele große weiße Schneeflocken strömten in das aufgeheizte Zimmer. Der weiße Puder legte sich auf die Fensterbank und schmolz augenblicklich.

      Das Team der Spurensicherung war zusammen mit den Mitarbeitern der Gerichtsmedizin und heute mit den Helfern der bayerischen Bergwacht erneut zum Tatort gefahren, um die Leiche zu bergen. Da wäre er völlig fehl am Platz. Also musste er hier warten und hoffte, dass noch heute die ersten Ergebnisse vorliegen würden. Da Ewe ihm nicht sagen konnte und auch keine grobe Schätzung abgeben wollte, wie lange die Frau bereits tot war, blieb Florian nichts anderes übrig, als mehr oder weniger wahllos die ungeklärten Vermisstenmeldungen der letzten Jahre durchzusehen. Da er die Region schlecht eingrenzen konnte – die Frau konnte schließlich auch aus Berlin oder Hamburg stammen, schließlich war das Allgäu eine beliebte Ferienregion –, war die ganze Angelegenheit zum Scheitern verurteilt. Ewe hatte zwar gestern Abend bereits einige Proben genommen, die ihnen helfen würden, eine DNA zu ermitteln, aber auch hier lagen dem Hauptkommissar aus dem Labor noch keine Ergebnisse vor.

      Nachdem Florian ein paarmal tief die frische Winterluft eingeatmet hatte, schloss er das Fenster und klopfte sich die Schneeflocken vom Pullover.

      »Mein Gott, ist das kalt hier in deinem Büro«, hörte er eine Stimme hinter sich und fuhr erschrocken herum. In der Tür stand Christian Hanke, der Profiler aus München, mit dem er im letzten Jahr für mehrere Monate zusammengearbeitet hatte und der ihm dann zum Dank seine Freundin Jessica ausgespannt hatte. Florians Gesicht verfinsterte sich, doch Hanke schien es nicht zu bemerken.

      »Ich dachte, ich könnte mich hier kurz aufwärmen und einfach mal Hallo sagen«, redete der Profiler unbeirrt weiter, schloss die Tür hinter sich und kam mit weit geöffneten Armen auf Florian zu. »Schließlich haben wir uns ein paar Monate nicht gesehen. Ich war gerade in der Gegend«, erklärte er weiter, blieb dann aber abrupt stehen und ließ die Arme sinken. Mit diesem wütenden Gesicht und den vor der Brust verschränkten Armen würde Florian seine angedeutete Umarmung sicher nicht erwidern.

      »Ist irgendwas?«, fragte Christian jetzt leicht verunsichert.

      Florian hyperventilierte fast vor Wut, biss die Zähne fest zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich kann einfach nicht glauben, dass du hier hereinspaziert kommst«, zischte er und es klang bedrohlich, »und dann so tust, als wäre nichts gewesen.«

      Hanke hätte verwunderter nicht aussehen können, ging zwei Schritte zurück und ließ sich auf den Stuhl vor Florians Schreibtisch sinken. Dann schüttelte er den Kopf und lächelte zaghaft. »Geht es wieder um Jessica?«, fragte er schließlich vorsichtig, denn bereits im letzten Jahr war der Hauptkommissar phasenweise extrem eifersüchtig auf den Profiler gewesen, obwohl es dafür natürlich nie einen Grund gegeben hatte. Genauso wenig wie es jetzt einen gab, denn Christian Hanke hatte Jessica genau wie Florian seit Monaten nicht gesehen. »Hat sie dich wieder einmal abserviert?«

      »Du verdammtes Arschloch«, war alles, was er hörte, bevor ihn ein gezielter Schlag mit der Faust in sein Gesicht vom Stuhl fegte und er der Länge nach auf dem Boden lag. Sofort stemmte er sich hoch und riss die Arme in die Höhe, um einen erneuten Schlag abwehren zu können. Doch Florian stand jetzt wieder am Fenster, hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte hinaus, seine Arme über dem Kopf, die Hände in seinen Haaren am Hinterkopf vergraben. Er hörte ihn unverständlich fluchen und schwer atmen.

      »Ich schließe aus deiner Reaktion«, sagte Hanke ruhig, aber leicht gereizt und sich das schmerzende Kinn reibend, »dass du und Jessica mal wieder eine Beziehungspause eingelegt habt. Liege ich mit der Vermutung richtig?«

      »Eine Beziehungspause?«, fauchte Florian, fuhr wutentbrannt herum und wäre dem Profiler am liebsten an die Gurgel gegangen. »Was stimmt nur nicht mit dir, du elender Sauseckl, blödes Riesenarschloch. Stell di itt dümmer, wia d’ bisch!«

      Christian Hanke dachte nach und starrte den Hauptkommissar dabei unverwandt an. Schließlich setzte er sich wieder auf seinen Platz auf den Holzstuhl vor dem Schreibtisch, ließ Florian aber nicht aus den Augen.

      »Ich bin jetzt seit knappen drei Wochen wieder in Deutschland, davor war ich vier Monate mit meiner Frau und meiner Tochter in Neuseeland und davor«, betonte er, »warst du noch sehr glücklich mit deiner Jessica, soweit ich mich erinnere. Wann, bitte schön, soll ich dir mit deiner Freundin denn was auch immer angetan haben? Wenn du andeuten willst, ich und Jessica …«, er

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