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Vater. Er redet, er erzählt, dann geht er. Nie fragt er, nie lässt er Pausen, hat immer zu tun. Er stürmt durch die Wohnung wie ein Sommergewitter. Wenn er kommt, läuft das Kind ihm entgegen, läuft ihm in die Arme, lässt sich von ihm herumschleudern, und das Schönste, oben auf seinen Schultern sitzen, auf die Welt herabschauen. Sie gehen zusammen weg, der Vater kauft Eis.

      Manchmal verreisen sie auch zusammen, nach Sylt, dort wohnen sie bei einer Wirtin, die im Rollstuhl sitzt, weil sie als Kind die Steilküste heruntergefallen ist. »Du darfst nie zu nah an die Steilküstenkante gehen«, sagt der Vater, »sonst endest du wie die Frau.« Das Kind stellt sich die Frau vor, als die ein Kind war, sieht sie stolpern, sich überschlagen, die Beine brechen. Nie zu nah ran.

      Auf den Vater freut sich das Kind, weil er lustig ist, herumspringt, weil er Ideen hat, gern mitspielt, weil er sich freut, wenn er sie sieht und trifft, »schön siehst du aus, mein Süßerchen«, sagt er und nimmt das Kind auf den Arm, wenn sie sich treffen.

      Ja, das Kind hält zu ihm, in guten und in schlechten Zeiten, Hand in Hand, die kleine Hand des Kindes in der des Vaters, wandern sie zusammen am Strand entlang, er erzählt von Frauen, er kann nicht aufhören zu erzählen.

      Nur abends und wenn die Stimme des Vaters durchs Nebenzimmer klingt, laut und explodierend, wenn er mit der Mutter streitet, dann hält sich das Kind die Ohren zu. Warum muss er nur so schreien, er schimpft, tobt, brüllt.

      In ihrem Zimmer, auf einem Stuhl, der Vater sagt feierlich: »Komm mal her«, zieht das Kind auf seinen Schoß, hält es umklammert, drückt es, weint, redet anders, das Kind rührt sich nicht. Es schaut zur Tür, ob jemand kommt. Der Vater krümmt sich, klagt, dass es ihm schlecht geht, schimpft auf die Mutter. Dabei drückt er das Kind. Du bist mein Ein und Alles, er weint und vergräbt den Kopf an seinem Hals, dass es kitzelt. Das Kind will lieber vom Schoß weg, es windet sich. Das Kind hat Angst, was hat der Vater? Da ist die Tür, denkt das Kind, ich muss mal. Der Vater stößt das Kind plötzlich brüsk hinunter. Schnell, schnell, geh! Es rennt auf die Toilette. Nachher schaut es ins Toilettenbecken. Nie hat es das angesehen, es sieht aus wie eine Wurst, dunkel, gekrümmt. Das Kind ekelt sich davor.

      Das Kind hat vor vielen Dingen Angst, ein richtiger Angsthase, sagt der Vater. Der Vater erzählt, er habe früher auch Angst gehabt, die hätte er aber überwunden, den inneren Schweinehund überwinden, sagt er. Vor Wasser hat er Angst gehabt, da hätte ihn sein Vater ins Tiefe hinabgeworfen, er sollte schwimmen lernen. Aber er hat es so doch nie gelernt, gibt er zu.

      »Weißt du«, sagt der Vater, »mein Vater hat mich, als ich nach Hause kam, immer gleich wieder rausgeworfen: Wehr dich gegen die anderen, hat er gesagt, du bist ein Muttersöhnchen! Dann hat er mir noch einen Tritt gegeben.« Das Kind stellt sich den Vater als Kind vor und den Opa, wie er ihm einen Tritt gibt. Das war eine harte Schule, sagt der Vater. Das Kind findet, dass das gar keine richtige Schule war.

      Morgens geht das Kind immer in den Kindergarten. Die Mutter bringt es hin, sie gehen zusammen. Der Kindergarten hat einen steinernen Hahn im Vorgarten, auf den das Kind gern klettert. Das Haus hat hellblaue Balkone, aber sie dürfen sie nie betreten. Die Kinder können von den Toilettenfenstern aus die Hochbahn beobachten. Silberbahn, Silberbahn, rufen sie. Hinter den Fenstern warten die Kinder auf ihre Mütter. Die Mütter kommen mit der Silberbahn, wenn sie die Kinder abholen.

      Aber das Kind wird nicht von der Mutter abgeholt, denn die arbeitet länger als die anderen Mütter. Das Kind wird von Hanna abgeholt, einem Kindermädchen. Einmal soll der Vater kommen, da wartet das Kind viele Stunden. Ein anderes Mal auch. Das ist peinlich, weil alle anderen Kinder schon abgeholt sind. Da ist es besser, wenn wenigstens Hanna kommt. Die holt das Kind ab und macht zu Hause noch das Abendbrot. Hanna ist eine junge Frau mit Pferdeschwanz, das Kind darf manchmal ihre Haare kämmen. Später kommt die Mutter, dann bringt sie das Kind ins Bett. Sie wäscht es, hilft beim Zähneputzen und deckt das Bett auf. Das mag das Kind sehr. Es liegt dann im Bett und faltet die Hände zum Beten, die Mutter hält ihre Hände darüber, das ist der schönste Moment, wenn die Mutter mit ihren Händen die Hände des Kindes umfasst und eine Geschichte erzählt. Die Geschichten der Mutter handeln von einem kleinen Hund. Er erlebt viele Abenteuer. Als du klein warst, wie war es da? Und die Mutter erzählt, wie sie und ihr kleiner Freund Friedhelm sich heimlich von Fenster zu Fenster etwas zugerufen haben, und wie sie später mit dem Boot in den Sonnenuntergang gepaddelt ist …

      »Und wie weiter? Erzähl, erzähl!«

      Die Mutter sagt: »Wir müssen mal rausgehen.« Und dann geht das Kind mit ihr raus. Die Mutter ist zu Hause oft nicht richtig fröhlich, eher traurig. Draußen lacht sie immer gern mit Männern, die sie ansprechen. Die Mutter freut sich, wenn Männer sich für sie interessieren. Die Mutter erzählt dem Kind keine Geheimnisse, sie hat aber Geheimnisse, oft redet sie leise am Telefon, und wenn das Kind ins Zimmer kommt, stockt sie oder wechselt ins Englische. Oft ist sie erschöpft, denn sie muss in ihrer Firma lange arbeiten, bis abends, dann muss sie noch einkaufen, dann schnell nach Hause, weil sie zu dem Kind muss.

      Der Vater verspricht dem Kind immer viel, gleich nächste Woche will er wiederkommen, doch er hält seine Versprechungen nicht. Das Kind nimmt sich vor, wenn es groß ist, wird es nur versprechen, was es auch halten kann. Aber der Vater hat so viel zu tun mit seiner Zeitung. Er muss herumreisen und dies und das erledigen. Er kommt sicher bald wieder, tröstet die Mutter. Die Oma sagt: Dein Vater könnte auch mal wieder kommen. Die Tanten sagen: Dein Vater kommt wohl gar nicht mehr.

      Später hört das Kind die Mutter am Telefon mit dem Vater schimpfen: »Wann besuchst du deine Tochter mal wieder? Warum besuchst du sie nicht mehr?«

      Das Kind möchte so gern, dass die Eltern sich wieder vertragen. Aber wenn der Vater es nach Hause bringt, will es allein hochgehen, will nicht, dass er mitkommt. Oft macht er es doch, und immer gibt es dann Streit, und dann hört das Kind seine Stimme wieder so schrecklich laut und unheimlich durch die Wand.

      Später führen sie einen Papitag ein, es ist der Mittwoch. Das Kind wartet immer voller Vorfreude auf ihn, oft kommt er zu spät. Viele Stunden wartet das Kind auf ihn, viele Tage, immer wieder. So lange, bis es sich fast nicht mehr freuen kann. Dann ist er plötzlich doch da, springt herbei, umarmt das Kind, ruft: »Komm, wir machen was Schönes.« Spiel, Lachen, Batschen, hinter anderen Autos herjagen, Mädchen angucken.

      »Wir müssen unser Leben jetzt genießen, später ist keine Zeit mehr«, sagt der Vater.

      Überall, wo sie langfahren, sucht ihr Vater nach schönen Frauen. Er sagt, er könne sie alle haben. Dazu breitet er die Arme aus und freut sich. Der Vater erzählt dem Kind, wie man eine Frau küsst oder wie man sie erobert. Wenn er aus dem Autofenster Mädchen hinterherpfeift, schämt sich das Kind. Der Vater erklärt, welche Frauen er schön und welche er hässlich findet. Wenn er eine schöne Frau sieht, hält er gleich das Auto an und hupt, so dass die sich umdreht. »Wie fandest du die?«, fragt er. »Wichtig sind die Beine, sie müssen schlank und wohlgeformt sein, die Knie nicht breiter als die Waden und nicht so dick wie bei deiner Mutter. Und die Haut, sie muss weich sein, jung, zart, noch nicht so verschrumpelt.«

      Das Kind mag nicht, wenn der Vater schlecht über die Mutter redet. Das kommt nicht mehr aus dem Kopf.

      Der Vater erklärt dem Kind auch, wie Lippen aussehen müssen, breit, immer ein klein wenig geöffnet; wie schmollend. Er behauptet, dass die Lippen erst durch Küssen schön würden. Eine Frau muss gut geküsst werden, man muss es gut machen, viele machen es nicht gut, doch wenn man es gut macht, langsam, vorsichtig, dann würden die Lippen der Frau aufblühen, sie würden rot, voll und schön und sinnlich. Das Kind weiß nicht, was sinnlich heißt. Danach schaut sich das Kind im Spiegel an. Die schmalen Lippen können sich doch nicht später noch verändern, wie soll das denn gehen?

      Frauen mit dunklen Haaren mag ihr Vater besonders, sie sind nicht so kalt wie die Blonden. Ihr Vater sagt auch, er müsse immer braun sein. Im Sommer geht er jede freie Minute in die Sonne, im Winter nimmt er Höhensonne, sonst sähe er scheiße aus. Wir Blonden, sagt der Vater verschwörerisch, müssen immer was für unseren Teint tun. Das Wort Teint kennt das Kind schon von der Mutter. Sie habe einen zu blassen Teint, deshalb müsse sie sich schminken, sagt sie immer und malt sich die Augenbrauen dunkel. Der Vater nennt die dunklen Frauen, die er liebt, rassig.

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