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lachten auch wir. Er erzählte noch, dass Frau Brandt nach der Scheidung aus Sangerhausen wegziehen werde. Heute kann ich sagen, dass dieser tödliche Unfall und seine Begleitumstände der einzige Todesfall war in meinen vielen Dienstjahren war, der nicht nur betrauert und beweint wurde.

      Eine Besonderheit im damaligen Bezirk Halle war der Saalkreis. Er umschloss die Stadt Halle, umfasste etwa 60 Dörfer und kleine Städte, erstreckte sich über 618 Qua­dratkilometer. Darin wohnten 1960 etwa 89.000 Menschen. Es gab bedeutende industrielle Anlagen, wie beispielsweise die Drahtseilwerke Rothenburg, die Zuckerfabrik Löbejün, die Maschinen- und Apparatewerke Landsberg und den Kalischacht in Teutschenthal. Dieser Saalkreis und seine Einwohner waren in der Zeit, als ich im Volkspolizei-Kreisamt Halle tätig war, mehrmals wegen kleinerer Delikte Gegenstand kriminalpolizeilicher Ermittlungen, und so kannte ich den Saalkreis ganz gut.

      Es war ein überwiegend ländlicher Kreis. Wir fuhren, wenn nötig, mit einem Motorrad dorthin, einen Pkw gab es für die Ermittlungen auf dem Lande nicht. Er war auch nicht nötig, denn vom Motorrad konnte man die Natur besser bewundern als im Pkw.

      Damals war in den Dörfern der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei (ABV) der Vertreter der Staatsmacht. Er hatte meist ein, manchmal aber auch zwei bis drei Dörfer zu betreuen. Er knatterte mit seinem Dienstmoped durch die Dörfer, hielt überall Sprechstunden ab, und es gab kaum jemanden, der seinen ABV nicht persönlich kannte. Er kannte alle Bewohner »seiner« Dörfer, wusste fast alles über die Menschen und hatte schon wegen seiner Nähe zu den Einwohnern viele Kontakte, meist wohnte er selbst ebenfalls im Dorf.

      Der ABV war aber nicht nur ein Vertreter der Staatsmacht, sondern er war, wie von einem berühmten Fußballer gesagt wurde, »einer von uns«. Es war nicht ungewöhnlich, dass der ABV auf dem Land Hühner hatte oder Gänse und Kaninchen fütterte. Und es war auch normal, dass wir lange vor Weihnachten wussten, welcher ABV uns zum Weihnachtsfest eine Gans oder ein Kaninchen verkaufen würde; natürlich küchenfertig. Und es war ganz normal, dass der ABV bei einem Schlachtfest sein Koppelzeug mit der Pistole an die Tür des Waschhauses hing und mitwerkelte.

      Normal war es auch, dass die Bauern, sie waren ja nun Angehörige der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), am Wochenende mit dem Bus nach Halle ins Theater fuhren. In den Dörfern verschloss kaum einer seine Tür. Ein Hund gehörte einfach zum Hof und wurde nicht zur Abschreckung von Fremden benötigt. Ich will nicht sagen, dass wir damals auf dem Weg ins Paradies waren, es gab auch Probleme, aber wir hatten auf dem Land und auch in der Stadt Halle ein völlig anderes Leben als jetzt in der Gegenwart.

      Bei Demonstrationen zum 1. Mai oder aus Anlass der Gründung der DDR am 7. Oktober gab es keine gewalttätigen Auseinandersetzungen. Keiner kannte einen Wasserwerfer oder einen »schwarzen Block«. An solche Dinge war nicht zu denken. Das Wort »Bulle« für einen Polizisten war völlig unbekannt und Beschimpfungen gegenüber Polizisten, wie sie heute üblich sind, waren unbekannt und ich habe sie persönlich nie erlebt. Überhaupt stand der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht so aggressiv wie heute der Polizei gegenüber. Meist hatten wir ein freundliches, aber bestimmtes Auskommen miteinander, und ein rasender Mopedfahrer zügelte sich schon, wenn der ABV mit dem Zeigefinger drohte. Heute kann man dazu wohl nur noch sagen: Es war einmal vor langer, langer Zeit …

      Wechsel ins Ministerium für Staatssicherheit

      Im Herbst 1966 war ich in der Haftanstalt Naumburg bei einer Beschuldigtenvernehmung bemüht zu begreifen, was der Häftling meinte, wenn er sagte: »Dann fasste ich sie bei den Rollhügeln …«. Er hatte eine Freundin beim Geschlechtsverkehr erwürgt. Ich wusste nicht, was an einer Frau der Rollhügel ist. Er war geistig nicht voll entwickelt, so hatte ich ohnehin Mühe zu begreifen, was er meinte. Als dann auch noch die Tür geöffnet wurde und mir ein Posten einen Zettel reichte, war ich zunächst etwas verärgert. Aber als ich las: »Sofort persönlich beim K-Leiter in Halle erscheinen«, war mir klar, dass es wieder irgendwo einen neuen Fall gegeben hatte. Ich brach die Vernehmung ab, ohne zu wissen, was ein Rollhügel ist, und fuhr nach Halle.

      Im Zimmer des K-Leiters saßen zwei mir unbekannte Zivilisten. Mir wurde mitgeteilt, dass die Gäste Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit aus Berlin seien, die eine Unterredung mit mir führen wollten. So gingen wir in mein Zimmer.

      Beide stellten sich als Mitarbeiter der Kaderabteilung des MfS vor, und nach einigen belanglosen Worten stellten sie die Frage, ob ich bereit sei, in das Ministerium zu wechseln. Dort würde eine Spezialabteilung aufgebaut, in der hauptsächlich erfahrene Kriminalisten aus der gesamten DDR arbeiten würden. Ich sei vorgesehen, in einem Referat zur Untersuchung von Tötungsdelikten Dienst zu verrichten, und sollte das mit meiner Frau bereden. Der Wechsel könne im Frühjahr 1967 erfolgen, ich bekäme eine Wohnung in Berlin und alles andere würde durch das Ministerium geregelt. Am nächsten Tag sollte ich dem K-Leiter die Entscheidung mitteilen. So war nach einer halben Stunde die Unterredung beendet.

      Für mich war dieses Angebot auch eine Anerkennung meiner bisherigen Untersuchungstätigkeit. Es gab für mich keine andere Antwort, als dieses Angebot anzunehmen. Meine Ehefrau war aber nicht so begeistert wie ich. Unser Sohn hatte bald Jugendweihe, die er dann in einer fremden Umgebung feiern würde. Doch es gab keinen Streit.

      Aber vor dieser Entscheidung von meiner Ehefrau und mir hatten wir schwierige Gespräche mit unserem Sohn Udo, unserem einzigen Kind. Er war zwölf Jahre alt und wollte seine Klassenkameraden nicht verlassen. Wir hatten große Mühe, ihn für den Umzug zu begeistern. Doch die größten Schwierigkeiten hatten wir mit der Mutter meiner Frau. Sie weinte um ihren Udo, an welchem sie abgöttisch hing. Sie war jahrelang mit der Straßenbahn in unsere Wohnung gefahren, hatte dort den schlafenden Jungen von meiner Ehefrau übernommen, ihn den ganzen Tag betreut, mit ihm gespielt, gesungen und geweint und sollte sich nun von ihm trennen. Abends hatte sie, als Udo noch klein war, ihn an meine Ehefrau in unserer Wohnung übergeben und ihn später, als er schon laufen konnte, zur Straßenbahn gebracht, wo ihn meine Frau, aus den Bunawerken kommend, wieder übernahm.

      Es waren lange und schwierige Gespräche nötig, um ihre Zustimmung zu erlangen. Mit meinem Schwiegervater hatten wir weniger Mühe. Er verstand das als Befehl, den man ausführen müsse, auch wenn es Härten gäbe. Und so gingen wir auf die Dinge, die da kommen sollten, zu, ohne richtige Vorstellung davon, wie sich unsere Zukunft gestalten würde.

      Bei der Verabschiedung in sehr kleinem Kreis erhielt ich eine Urkunde »Für ehrenvolle Pflichterfüllung in den Organen des Ministeriums des Innern.« Am 1. April 1967 fuhr ich mit der Bahn nach Berlin und fragte mich zum Ministerium durch. Ich wurde dort in einem etwas abseits gelegenen Zimmer von einem mürrischen Kaderoffizier empfangen und über die Wichtigkeit des MfS und die aktuelle Weltpolitik mehr als langatmig belehrt und eingewiesen. Ich musste auch eine handschriftliche Verpflichtung über den Dienst im MfS schreiben und unterschreiben. Dort erhielt ich auch meinen Dienstausweis als Mitarbeiter des MfS. Ich hatte aber auch noch meinen Dienstausweis als Mitarbeiter des Ministeriums des Innern bei mir. Als ich darauf hinwies, winkte er nur ab und ich ahnte nicht, dass das viele Jahre so bleiben würde.

      Und so war ich innerhalb einer Stunde nicht mehr Oberleutnant der Kriminalpolizei des Ministeriums des Innern, sondern Oberleutnant und Sachbearbeiter in der Hauptabteilung Untersuchung des Ministeriums für Staatssicherheit.

      Ein Kraftfahrer fuhr mich im Anschluss zur Stätte meiner zukünftigen Arbeit. Zu meiner Überraschung traf ich zwei Mitarbeiter aus Morduntersuchungskommissionen der Volkspolizei, welche ich aus der gemeinsamen Arbeit bei der Aufklärung von Tötungsdelikten kannte. Einer war aus der MUK Berlin und einer aus der MUK Dresden. Wir umarmten uns wie Verwandte nach langer Trennung und verbrachten diesen Tag in Gesprächen über Vergangenheit und Zukunft. Ich erhielt ein Zimmer in einem in der Nähe befindlichen Einfamilienhaus, welches ich nun mit anderen Mitarbeitern der neuen Dienststelle bewohnte.

      Die neue Diensteinheit nannte sich »Hauptabteilung IX/7«. In den nächsten Tagen wurde mir Grundwissen über die Struktur des MfS übermittelt. und da ich vorher noch nie in einer Kreisdienststelle oder Bezirksverwaltung des MfS tätig gewesen war, halfen mir die Gespräche mit den beiden mir bekannten Morduntersuchern sehr. Ich lernte Vorgesetzte kennen, die Garagen sowie ein kleines Labor und erfuhr, wer Branduntersucher und wer Kriminaltechniker war. So langsam

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