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auf den Tisch und schob es John zu, sodass er die Bilder sehen konnte.

      »Da«, sagte sie, »das ist Meghan.«

      »Sie ist sehr niedlich.«

      »Als sie geboren wurde, hat sie nicht geatmet und war zu klein. Die Ärzte mussten sie wiederbeleben. Ich dachte, sie würde sterben.« Tressa Walker lächelte in sich hinein. Sie strich mit einem Finger über eines der Bilder. »Ich bin nicht nur schlecht«, sagte sie.

      KAPITEL 8

      Am nächsten Morgen fand John seinen Partner Bill Kersh versteckt in einer dunklen Ecke der Bibliothek des Secret Service, die zwei Ebenen unter der Erde lag. Der Raum war fensterlos, klein, quadratisch und katakombenartig, die Beleuchtung schlecht. Die Wände stöhnten unter dem Gewicht zahlreicher in Leder gebundener Fachbücher und Ordner voller vergessener Akten, deren muffiger, alter Geruch die Luft durchdrang. Dazu kam ein weiteres Aroma, das fremdartiger und irgendwie schwerer wirkte. Es war der säuerliche Gestank nach altem, wieder getrocknetem Schweiß, der sich an die Luft klammerte wie flatternde Unterwäsche an eine Wäscheleine. Die Rohrleitungen waren stümperhaft installiert und verliefen zu dicht hinter den Wänden, sodass die Stille immer wieder mit Geräuschen von fließendem Wasser oder der Toilettenspülung unterbrochen wurde. In den letzten Jahren war die unterirdische Bibliothek mit der Modernisierung des Secret Service immer überflüssiger geworden. Mehrfach war vorgeschlagen worden, die Bibliothek – von der neuen Generation Greenhorns schlicht »die Grube« genannt – solle renoviert werden. Ein beliebter Vorschlag war, die Bücherregale abzureißen, um Platz für eine Reihe neuer Computer-Terminals zu schaffen, aber keine der Anregungen war jemals umgesetzt worden. Und obwohl niemand mit Sicherheit sagen konnte, weshalb die Bibliothek immer noch nicht abgeschafft worden war, vermuteten die meisten, dass es etwas mit der Verehrung des Menschen für alles Alte und Nutzlose zu tun hatte. Und passenderweise wurde sie nur von jenen Agenten genutzt, die sich gelegentlich selbst alt und antiquiert fühlten.

      An diesem Morgen war Kersh der einzige Nutzer der »Grube«. Merkwürdig verdreht saß er in seinem Stuhl, mit dem Rücken zur Tür, und beugte sich mit verschränkten Armen über den Tisch. Sein Kopf war nach unten geneigt, seine Augen geschlossen. Vor ihm lag ein offenes Buch. Für jeden, der nur einen zufälligen Blick auf ihn warf, sah es aus, als wäre Kersh tief in Konzentration versunken. In Wirklichkeit hatte Kersh mehrere Stunden geschlafen und seinen Verstand und seinen Körper aus jeglicher Zeit herausgelöst.

      »Bill.« John kam hinter ihm zur Tür herein und nahm sich einen Stuhl, setzte sich aber nicht. Kersh rührte sich, aber seine Augen blieben geschlossen. Grinsend trommelte John mit den Fäusten auf die Tischplatte. Kersh zuckte zusammen, blinzelte und starrte dann verwirrt auf John und seine Umgebung, bis seine Sinne zurückkehrten. »Du warst den ganzen Morgen hier unten?«

      Kersh rieb sich die Augen. »Ich habe nur was nachgeschaut.«

      »Gehst du eigentlich nie nach Hause? Hier unten riecht es wie in einem Bahnhofsklo.«

      »Du willst nicht wissen, wie meine Wohnung riecht.«

      »Hör zu«, sagte John und setzte sich. »Ich habe gestern Nacht einen Anruf von Tressa Walker bekommen. Wir haben uns dann in einem Pub auf der West Side getroffen. Keine Ahnung, was in sie gefahren ist, aber sie sagt, sie will uns helfen. Sie kennt Deveneaus Lieferanten, zwei irische Typen aus Hell's Kitchen.«

      Kersh blickte auf. Im künstlichen Licht sah er sehr alt und blass aus. »Sie hat uns doch gesagt, dass sie nicht weiß, wo Deveneau das Geld herhat …«

      »Sie hat gelogen«, sagte John.

      »Warum hat sie ihre Meinung geändert?«, fragte Kersh.

      »Wer weiß? Vielleicht mag sie mein Aftershave.«

      »Wer sind die beiden?«, fragte Kersh.

      »Zwei junge Typen namens Mickey O'Shay und Jimmy Kahn.«

      »Noch nie gehört. Und diese Jungs sind Deveneaus Quelle?«

      »Tressa zufolge ja. Ich habe ihre Namen in unsere Datenbank eingegeben. Wir haben nichts über sie.«

      »Ich lasse die Namen beim NYPD prüfen. Wenn die beiden mit Deveneau zusammenhängen, wird es einen Eintrag geben. Was ist der Plan?«

      »Das Ganze sieht einfach aus. Sie sagt, sie schleust mich ein und organisiert mir ein Treffen mit diesem O'Shay.«

      »Biddleman wird Probleme machen«, sagte Kersh ohne sichtbaren Ausdruck im Gesicht.

      »Scheiß auf Biddleman.«

      »John …«

      »Biddleman hat gesagt, wir sollen die Hände von Deveneau lassen, richtig? Wir gehen aber nicht zu Deveneau. Wir haben die ganze Zeit auf einen Durchbruch hingearbeitet, und jetzt haben wir ihn. Ich werde diesen Fall nicht zweimal in die Tonne treten.«

      »Biddleman hat auch Tressa gemeint.«

      »Na so was, das hat er mir gegenüber gar nicht erwähnt. Auf jeden Fall nicht explizit.«

      »Wie dem auch sei, lass uns die Klappe halten, bis wir mehr haben. Gibt es schon einen Termin für das Treffen?«

      »Tressa muss zuerst mit O'Shay reden, ob er mich treffen will.« Er warf einen Blick auf das Buch, das vor Kersh lag. »Was machst du eigentlich hier?«

      Für einen Moment, der wie eine kleine Ewigkeit wirkte, reagierte Kersh nicht. Seine beiden Hände lagen flach auf der hölzernen Tischplatte. Die Fingernägel waren dick und vom Tabak rötlich-gelb verfärbt. Dunkle Augenringe, die wie große blaue Flecken aussahen, bezeugten seinen Mangel an Schlaf.

      Er war die ganze Nacht wach, dachte John. Und verdammt, wie es aussieht, trägt er immer noch dieselben Klamotten wie gestern.

      »Komm mit«, sagte Kersh schließlich mit trockener Stimme. »Ich will dir etwas zeigen.«

      ***

      Kershs Schreibtisch sah aus wie eine Schneekugel, die jemand heftig geschüttelt und dann auf den Kopf gestellt hatte. Willkürlich lagen überall Papiere verstreut, während sich zahllose leere und halbleere Styropor-Kaffeebecher in einer Ecke des Schreibtisches versammelt hatten wie eine Gruppe Straßengangster mit schlechter Laune. Tabakkrümel lagen wie gefrorene Käfer zwischen dem übrigen Müll auf dem Schreibtisch. Zahllose Karteikarten und Plastiktüten mit beschlagnahmten gefälschten Scheinen bildeten das Sahnehäubchen dieses Kuchens. Kersh reihte die Scheine für John auf, der den Händen seines Kollegen beim Arbeiten zusah und bei sich dachte, dass sogar Bill Kershs Hände müde aussahen, falls so etwas möglich war.

      »Manchmal werden Fälle am Schreibtisch und nicht auf der Straße entschieden, John. Hier, das alles kam in der letzten Woche«, sagte Kersh, während er noch damit beschäftigt war, das Falschgeld zu ordnen. »Fällt dir etwas auf? Irgendeine Gemeinsamkeit?«

      »Was meinst du?«

      »Sieh sie dir genau an.«

      John betrachte die Scheine. Er hatte die gefälschten Scheine oft genug gesehen, sie wieder und wieder untersucht, genau wie Kersh, genau wie der Rest der Truppe. Er vermochte nichts Neues zu entdecken.

      »Keine Ahnung, was du meinst«, sagte er. »Gib mir einen Tipp.«

      Kersh nahm einen Schein in die Hand. Sorgfältig faltete er ihn entlang der Knicke im Papier wieder zusammen, so wie der Geldschein vor nicht allzu langer Zeit gefaltet worden war. Er faltete ihn einmal der Länge nach, dann an den Flügeln nach außen, sodass er an ein Akkordeon erinnerte.

      »Na, wie sieht das aus?«, fragte Kersh, nachdem er mit seiner Bastelstunde fertig war.

      »Hä?«

      »Sieh es dir an! Woran erinnert dich das?«

      »Ich habe keine Idee. Sieht aus wie plattgedrückter Strohhalm …«

      »Nein, völlig daneben.« Zu Johns Überraschung versuchte Kersh, ein Kichern zu unterdrücken, während

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