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tippten und in das Büro hinein- und wieder herausschlüpften wie Phantome durch Wände. Obwohl er am liebsten allein arbeitete, störte ihn ihre Anwesenheit nicht. Im Gegenteil, ihre herannahenden Schritte auf dem Flur und ihr verhaltenes Murmeln zu sich selbst, wenn sie von der Toilette kamen, gaben seiner Umgebung Struktur und verortete sie in Zeit und Raum. Es hatte Nächte gegeben, in denen er in absoluter Stille hätte arbeiten können, nur um perplex festzustellen, dass er nichts anderes tat als durch die lange Reihe von Bürofenstern die aufgehende Sonne anzustarren. Uhren, egal ob am Arm oder an der Wand, erfüllten für ihn keinen Zweck; sie tickten still vor sich hin und waren leicht vergessen. Eine lebendige, sich bewegende Präsenz aber hielt ihn geerdet.

      Entspannt lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück und rieb sich die Augen. Vor ihm lag die Stadt, schwarz und gepunktet mit farbigen Lichtern. Der Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er nur noch etwa zehn Minuten hatte, bevor er wieder in die Stadt musste, um sich in der Paradise Lounge mit Sloopy Black zu treffen, einem seiner regelmäßigen Informanten. Seit Biddleman darauf bestanden hatte, dass Kersh und John ihre Verbindungen mit Deveneau und seiner Clique abbrachen, hatte sich Kersh wieder auf seine eigenen Kontakte konzentriert. Doch obwohl es gut lief und er seine Informanten schnell wieder am Start hatte, wurde Kersh das Gefühl nicht los, dass er in die falsche Richtung blickte. Das Treffen mit Sloopy Black heute Abend, der auf eine gewisse Weise an ein Reptil erinnerte, würde nichts Neues zutage bringen. Daran hatte Kersh keinen Zweifel. Er traf sich nur mit ihm, um für eine Weile dem Büro zu entkommen und wieder einmal wie ein menschliches Wesen die Straße entlang zu gehen und frische Luft zu atmen.

      Drei Tage waren seit dem Fiasko im Klub vergangen, und Francis Deveneaus gefälschte Scheine tauchten noch immer in der ganzen Stadt auf. Allein in der vergangenen Woche hatte der Secret Service Falschgeld im Nennwert von rund 100.000 Dollar erhalten, die in New York ausgegeben worden waren. Etwa der gleiche Betrag kam noch einmal aus Jersey, Boston und sogar Miami hinzu. Kersh hatte einige der gefälschten Banknoten vor sich auf dem Schreibtisch liegen, die meisten von ihnen einzeln in Plastikfolie versiegelt. An den Scheinen, die zuletzt übermittelt worden waren, hingen noch die ausgefüllten Formulare der verschiedenen Banken, die das Falschgeld in der ganzen Stadt eingesammelt hatten.

      Seufzend lehnte sich Kersh in seinen Stuhl zurück.

      Echte U.S.-Banknoten wurden vom Bureau of Printing and Engraving in Washington, D.C. gedruckt. Das Papier bestand aus 75 Prozent Baumwolle, 25 Prozent Leinen und enthielt durchgängig winzige rote und blaue Fasern. Die Banknoten wurden im Tiefdruckverfahren hergestellt. Dabei wurde für die Vorderseite vor allem schwarze Farbe verwendet, lediglich für die Seriennummern und das Siegel des Finanzministeriums wurde grüne Farbe genutzt. Die Rückseite war komplett grün gehalten. Für gewöhnlich produzierten Fälscher ihre Ware, indem sie echte Banknoten fotografierten und dann die Negative auf Druckplatten aufbrachten. Sie verwendeten zwei Druckplatten für die Vorderseite – eine für Schwarz und eine für Grün – und eine dritte Platte für die Rückseite der Scheine. Ein akribischer Fälscher erstellt sogar zwei weitere Druckplatten, um die roten und blauen Fasern zu imitieren, die bei echten Geldscheinen in das Papier eingearbeitet waren. Die meisten Fälscher allerdings waren nicht in der Lage, die winzigen Details einer Banknote zu duplizieren. So waren häufig die Sägezähne der Siegel der U.S.-Notenbank und des Finanzministeriums leicht uneben und stumpf. Deveneaus Scheine dagegen waren fast perfekt. Es war beinahe unmöglich, die Sicherheitsmerkmale des »New Money«, der neu gestalteten Banknoten, zu duplizieren, nicht einmal mithilfe eines leistungsstarken Computers. Aber Deveneaus Scheine kopierten die alten Banknoten, was es deutlich schwieriger machte, sie als Fälschungen zu erkennen. Der Drucker hatte sogar spezielle, säuregeätzte Platten verwendet, um den Tiefdruck zu imitieren.

       Der Drucker …

      Charlie Lowenstein.

      Es war kein Geheimnis, dass Charlie Lowenstein für Francis Deveneau das Falschgeld druckte. Der Secret Service pflegte einen umfangreichen Katalog, der alle jemals dem Dienst untergekommenen gefälschten Banknoten enthielt, und als Deveneaus Scheine erstmals vor mehreren Monaten wie alte Wunden in der ganzen Stadt aufgebrochen waren, hatte Kersh sie sofort erkannt. Lowenstein war zwei Jahre zuvor nach einem Streit mit ein paar Straßenschlägern in Harlem verhaftet worden. In Lowensteins Auto hatte die Polizei etwa 150.000 Dollar in gefälschten Hundertern entdeckt. Die Scheine waren hervorragende Reproduktionen, aber sie waren nicht in Umlauf gekommen, da Lowenstein über keinerlei Netzwerk verfügte. Charlie Lowenstein war ein spindeldürres Männchen mit tintenfleckigen Augen, einer schnabelförmigen Nase und einem fast lippenlosen Mund, das eine kleine Druckerei in Queens besaß. Dank seines überbordenden Talents war es ihm nicht schwer gefallen, eine gute Gelegenheit zum Geldverdienen zu finden, und so druckte er gefälschte Football- und Baseball-Tickets für die Mafia in der Nachbarschaft. Kurze Zeit später begann er damit, seine Talente der Reproduktion der U.S.-Währung zu widmen. Nach Lowensteins Verhaftung nahm sich der Secret Service seine Druckerei vor, nur um keinerlei Spuren zu finden – sehr zur Empörung des Dienstes. Trotz des Mangels an Beweisen war klar, dass Lowenstein das Geld gedruckt hatte. Es blieben viele Fragen offen: Gab es noch mehr Falschgeld? Wo waren die Druckplatten? Hatte er irgendwelche Partner oder Stammkunden? Wie viel hatte er verkauft? Aber genau wie sein störrisches und unfreundliches Auftreten vermuten ließ, weigerte sich Charlie Lowenstein, mit dem Dienst zusammenzuarbeiten. Schließlich wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

      Jetzt, zwei Jahre später und trotz der Tatsache, dass Charlie Lowenstein noch hinter Gittern saß, war Lowensteins Geld wieder aufgetaucht. Daran gab es keinen Zweifel – alle Scheine trugen eine der zehn alternativen Seriennummern, die auf dem gefälschten Geld in Lowensteins Fahrzeug gefunden worden waren.

      Sobald das erste Falschgeld aufgetaucht war, hatte Kersh Charlie Lowenstein einen Besuch in seiner Zelle in Connecticut abgestattet. Lowenstein hatte sich wie vermutet geweigert zu kooperieren und Kersh aus dem Interviewraum nur mit toten Augen angestarrt. Vor der Rückfahrt war Kersh die Besuchsprotokolle des Gefängnisses durchgegangen, um zu sehen, wer sich vielleicht für eine Stippvisite bei Charlie Lowenstein hatte erwärmen können. Doch abgesehen von seiner Frau Ruby war das bei niemandem der Fall gewesen. In einem letzten verzweifelten Versuch, doch noch eine Spur zu finden, hatte sich Kersh die Telefonlisten der Privatnummer von Lowenstein geben lassen, in der Hoffnung, dass Ruby Lowenstein Informationen zwischen ihrem Mann und möglicherweise bereits aktenkundigen Kriminellen übermittelte. Doch auf keiner der Listen war ein bekannter Name dabei. Lowenstein war eine Sackgasse.

      Kersh stand auf und streckte sich. Er dachte an Schlaf, an sein Einzelbett in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung, eingehüllt in Dunkelheit, den Vorhang des winzigen Fensters gegenüber des Bettes zugezogen, um das zu grelle Licht zu vieler Straßenlaternen auszublenden. Der Bodenbelag knisterte elektrostatisch, als er den Gang entlang schlurfte. In einem anderen Teil des Gebäudes konnte er jemanden staubsaugen hören.

      Heute war ein Hundertdollarschein mit handschriftlichen Notizen hereingekommen, die auf den Rand gekritzelt waren. Aber die Buchstaben waren zu klein und standen zu dicht gedrängt, um etwas erkennen zu können. Es war ein absoluter Schuss ins Blaue – wer wäre so unvorsichtig, Nachrichten auf diese Weise zu übermitteln? Trotzdem brachte Kersh den Schein in die forensische Abteilung. Die Forensiker ließen die Handschriftenprobe durch FISH laufen, das Forensische Informationssystem für Handschriften, um zu sehen, ob sich eine Übereinstimmung finden ließ. Aber es war ein vergeblicher Versuch.

      »Das ist nur sinnloses Gekritzel. Hast du etwa erwartet, den Jackpot zu knacken?«, fragte einer der Kollegen Kersh lässig.

      Kersh schüttelte nur den Kopf und kratzte sich an seinem unrasierten Hals. Er griff nach Strohhalmen und fühlte sich plötzlich sehr einsam, wie ein kleines Kind, zurückgelassen in der Mitte eines wüsten Ödlands. »Habt ihr Jungs vielleicht frischen Kaffee hier unten?«, war seine Antwort.

      Jetzt, als er die Geldscheine auf seinem Schreibtisch betrachtete, wunderte er sich immer mehr, wie Francis Deveneau zu dem Falschgeld gekommen war. Sein Verstand spielte verschiedene Szenarien durch, die alle zu esoterisch und zu stümperhaft waren, um laut ausgesprochen zu werden.

      Er blätterte die in der vergangenen Woche mit dem Falschgeld eingereichten Formulare der Banken durch: ein gefälschter Hunderter aus einer teuren

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