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legte. Abermals verlor er, und »Henne« steckte die 100 Mark ein. Switalla wurde wütend, da er ja noch 10 Mark zurückbekäme: »Ich gebe dir fünf Minuten Zeit, zu überdenken, ob du nicht einen Fehler gemacht hast.«

      »Was für einen Fehler?«, erwiderte der Spielpartner. »Ich habe keinen Fehler gemacht. Du hast schlecht gespielt, und ich habe gewonnen. So einfach ist das nun einmal.«

      Nun herrschte tatsächlich für fünf Minuten Schweigen zwischen den beiden, bis Switalla endlich sagte: »Ich bekomme noch zehn Mark!«

      »Ach so, sag das doch gleich«, lenkte »Henne« ein und reichte Switalla zwei 5-Mark-Scheine.

      Doch dieser wies sie energisch zurück. »Du hast mich betrogen, ich will mein ganzes Geld wiederhaben. Jetzt und sofort. Du bist ein elender Betrüger!«

      »Beruhige dich doch«, versuchte »Henne«, ihn zu beschwichtigen. »Du hast eben schlecht gespielt, kein Glück gehabt. Ich habe heute gewonnen, und das nächste Mal gewinnst du. So einfach ist das immer im Leben …«

      In Hilmar Switalla brodelte es, Hass- und Rachegedanken stiegen in ihm hoch. »Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen. Ich schwöre es!«

      Nun war es Kasbohrer wohl zu viel, und er versuchte, die Situation zu entspannen, indem er erst einmal auf die Toilette flüchtete. Doch Unheil drohte, denn sein Widersacher folgte ihm sogleich mit aufgeklapptem ­Taschenmesser in der Manteltasche. Auf der Toilette verlangte Switalla wiederholt sein Geld zurück, was Kasbohrer jedoch strikt ablehnte. »Ich habe gewonnen«, betonte er abermals, »und du hast verloren. So ist das nun einmal.«

      Unvermittelt stach Switalla seinem Kneipenkumpel »Henne« mit dem Messer in die Nackengegend und in die linke Halsseite. Blut strömte aus den Wunden, und »Henne« rückte in Todesangst umgehend die geforderten 100 Mark heraus. Aber Switalla streckte das Messer weiter drohend seinem Opfer entgegen und verlangte nun noch 20 Mark, die »Henne« ihm ohnehin noch schulden würde. Kasbohrer weigerte sich, aber nur für einen kurzen Moment, denn nun schlug ihn Switalla so lange mit der Faust ins Gesicht, bis er auch diese 20 Mark erhielt.

      »Na bitte, es geht doch.« Er säuberte das Messer unter dem Wasserhahn und steckte es wieder in seine Manteltasche. »Henne« blutete sehr stark, Switalla gab ihm sein Taschentuch und verließ eilig das Casino-Eck.

      Als Kasbohrer die Kneipe verließ, wurde er von Switalla abgepasst. Eingeschüchtert schlug »Henne« den Weg zu seiner Wohnung ein, Switalla folgte ihm.

      »Natürlich kannst du eine Anzeige erstatten. Das steht dir frei. Aber ich sage dir, wenn ich inhaftiert und verurteilt werde, dann gnade dir Gott! Irgendwann komme ich wieder raus, dann schlage ich dich tot.«

      Diese Drohung wiederholte Hilmar Switalla mehrfach sowohl auf dem Weg zur als auch in der Wohnung von »Henne«. Nach einer guten Viertelstunde verabschiedete sich der Übeltäter höflich. Zuvor hatte er noch das blutverschmierte Taschentuch an sich genommen, das ihm ja gehörte. Er wusste natürlich, dass das im Ernstfall ein wichtiges Beweismittel wäre, das ihn sehr belasten könnte.

      »Mach’s gut, mein Lieber!«, rief er beim Hinausgehen. »Halt dich zurück! Aber vielleicht siehst du mich in diesem Leben auch nicht wieder. Mal sehen.«

      Switalla schlenderte in Richtung seiner Wohnung in der Linienstraße, wo er zusammen mit seiner Mutter lebte. In seinem Kopf kreisten in verworrenen Bahnen die Gedanken. Noch ließen sie sich nicht zusammenfügen und zu einem Sinn verbinden. Noch nicht. Na klar, er musste jetzt handeln, denn der Streit mit »Henne« hatte seinen Plan erheblich durcheinandergebracht. Was ist, wenn der Schlappschwanz doch zur Polizei geht und Anzeige erstattet?

      Um Mitternacht traf Switalla bei sich zu Hause ein, seine Mutter schlief schon. Er reinigte seine Hände gründlich und befreite sich vom Blut seines Wider­sachers. Während er so am Waschbecken stand, verfestigte sich der Gedanke, dass er jetzt und heute handeln müsse. Aber er war unsicher, ob er für das, was er vorhatte, überhaupt den Mut aufbringen und relativ emotionslos handeln könnte. Rein technisch hatte er keinerlei Bedenken. So entschloss er sich, erst einmal einen Selbstversuch zu wagen.

      Im Haus schräg gegenüber wohnte Inge Schubert – fünfzehn Jahre älter als er. Kurz nach seiner Haftentlassung 1965 hatte er sie durch seine Mutter kennengelernt, und alsbald waren sie ein Paar. Ein Dreivierteljahr lebte er sogar bei ihr, aber er war eigentlich nur an den intensiven intimen Momenten interessiert, eine Ehe war für ihn ausgeschlossen. Die Streitigkeiten zwischen beiden wurden immer heftiger – sie gerieten schon aus nichtigen Anlässen aneinander. Immer öfter kam Switalla alkoholisiert nach Hause. Wenn sie nur die kleins­te kritische Bemerkung machte, schlug er sie und demolierte die Wohnungseinrichtung.

      Eines Tages hatte Inge Schubert ihn ausgeschlossen. Daraufhin schlug er mit der Axt die Wohnungstür ein, attackierte seine Freundin mit einem Messer und verprügelte sie. Sie erlitt drei klaffende Wunden am Arm und eine Platzwunde im Gesicht. Er verschwand zu seiner Mutter, die er beauftragte, am nächsten Tag mit Inge Schubert zu sprechen. Die Botschaft, die die Mutter übermittelte, war eindeutig: Falls Inge Schubert ihn bei der Polizei anzeigen würde, würde er sie so zurichten, dass sie einem Menschen nicht mehr ähnlich sähe.

      Aus Angst vor Rache unterließ es Inge Schubert tatsächlich, eine Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Später bat Hilmar Switalla sie sogar um Verzeihung, und beide verkehrten wieder ganz partnerschaftlich miteinander – bis zum 3. Dezember 1965. An diesem Tag wurde Switalla wegen verbrecherischer Trunkenheit inhaftiert, und Inge Schubert trennte sich abermals von ihm. Aber nicht endgültig, denn nach seiner erneuten Haftentlassung wohnte er einige Tage bei ihr. Es ist zu vermuten, dass es wieder Streit gab. Zudem hatte er eine andere Frau kennengelernt, so dass sie sich als Paar endgültig trennten. Während seiner Ehe mit Rosemarie, wobei es sich bei dieser Beziehung am Anfang vielleicht wirklich um Liebe gehandelt hatte, besuchte er aber Inge Schubert noch einige Male. Sie tranken Alkohol (selbstredend!) und plauderten über die Probleme, die Switalla nun mit seiner neuen Frau hatte.

      Am 31. Dezember 1968, er erinnerte sich noch sehr gut an dieses Silvester, suchte er Inge Schubert in ihrer Wohnung auf, die aber gerade mit ihrem neuen Freund den Jahreswechsel feiern wollte. Switalla war eifersüchtig, sehr verärgert über ihre neue Beziehung; es kam zu einer Prügelei zwischen ihm und dem Freund, und da Switalla gewann, warf er ihn kurzerhand aus der Wohnung. Und er erklärte: »Ich sage dir eins, ich bestimme hier, wer sich bei dir aufhalten darf, und wenn ihr – du oder dieser Blödmann – Anzeige erstattet, schlage ich dich tot.«

      Er erinnerte sich auch daran, dass er Anfang Februar 1969 nochmals bei Inge Schubert geklingelt hatte. Sie gewährte ihm Einlass, erklärte ihm aber in der Wohnung, dass er sie doch nun in Ruhe lassen möge, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben.

      Mit all diesen Gedanken und Erinnerungen verließ er am 14. Februar 1969 gegen 0.30 Uhr seine Wohnung. Bekleidet war er mit einer braunkarierten Hose und einem weißen Kunstfaserhemd mit dunklen Knöpfen, darüber trug er ein weiß-grün gesprenkeltes Sakko sowie einen hellen Mantel mit kariertem Futter. In die innere Manteltasche hatte er ein Brotmesser aus der Küche gesteckt. Die Scheidungsklage, ein Notizbuch, ein persönlicher Brief von seiner Frau und ein Kranken­hauseinlieferungsschein aufgrund suizidaler Tendenzen vom 15. Januar 1969 befanden sich ebenfalls in seinen Taschen. Er wollte auf alles vorbereitet sein.

      Hilmar Switalla ging schräg über die Straße, klingelte an der Wohnungstür von Inge Schubert, die etwas verschlafen im Morgenmantel (sie war schon zu Bett gegangen) die Tür öffnete. Er fragte: »Kann ich bei dir übernachten? Ich hab zurzeit keine Bleibe.«

      Nach kurzem Überlegen willigte sie ein. »Komm rein, du kennst dich ja hier aus.«

      Im Wohnzimmer rauchten beide noch eine Zigarette, dann gingen sie zu Bett, wie sie das ja schon so oft getan hatten. Inge Schubert zog ihren Morgenmantel aus, Switalla legte seine Kleidung bis auf die Unter­wäsche ab. Seine Brille behielt er auf. Er verbrannte noch das von »Hennes« Blut verschmierte Taschentuch im Kachel­ofen, der behaglich knisterte.

      Dann löschte er das Licht. Sie lagen nebeneinander im Bett – wie alte Eheleute. »Gemütlich bei dir, wie immer«, sagte Switalla. Inge Schubert erwartete jetzt ein paar Zärtlichkeiten,

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