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war gar keiner, der war ihr neues Leben.

      Sie erhob sich wie gerädert, zupfte das bisschen Hemd zurecht und trottete gähnend zur Toilette. Sie war müde, als hätte sie den gestrigen Tag und die halbe Nacht bei schwerer Arbeit zugebracht, in einem Steinbruch vielleicht oder beim Lernen deutscher Grammatik und Textinterpretation. Überdies fühlte sie sich verkatert, als hätte sie zu viel Alkohol getrunken, den es hier in diesem Haus für sie doch gar nicht gab, womit sie auch Sklavin des gesunden Lebenswandels war, wie unbarmherzig man sie doch behandelte. Das kalte Wasser brachte Belebung und allmählich nahm sie ihre Umgebung wahr. Das aber war kein Fortschritt. Sie sah die roten Striemen auf Marias Rücken und Hintern, sie waren ordentlich gezeichnet, einer über dem andern in gleichmäßigem Abstand, etwas blasser geworden, aber immer noch erschreckend.

      „Nein, es tut kaum noch weh.“ Flüsternd beantwortete Maria beim Abtrocknen Silvias besorgte Frage. „Es sieht schlimmer aus, als es ist.“

      Ein Trost, aber nur ein schwacher. „Hätte ich es doch nur schon überstanden. Oder hätte ich doch gegessen oder getan, was die Herrin verlangte.“

      Achselzuckend hängte Maria das Handtuch zurück. „Früher oder später wärst du sowieso dran gewesen.“

      Claudia, die neben ihnen stand und Zahncreme auf ihre rosafarbene Bürste gab, schenkte Silvia ein verständnisvolles Lächeln. „Aber dein Tempo ist schon enorm. So schnell hat es keine von uns geschafft.“

      Sie blickte besorgt zum Aufseher hin, der sich an ihren Worten aber nicht störte. Er stand mitten im Raum, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und beschaute sich wie abwesend Marias geschundenen Rücken. Sein Werk. Der Anblick schien ihm kein schlechtes Gewissen zu bereiten, wie sollte es auch, er tat ja nur seine Pflicht, und das war ein Argument, das schon immer jede Untat gerechtfertigt hatte. Oder huschte etwa doch ein Ausdruck von Mitgefühl über seine Miene? Vermutlich hatte sich Silvia getäuscht. Gleich wandte sie den Blick zur Seite, ihn nur nicht wieder anstarren wie ein Kind den ehrfurchtgebietenden Parkplatzwächter.

      Ein freundlich helles Aquamarin war die Farbe des Dienstags, so sah Silvia beim Anblick der „Schürzen“, die der ältere der beiden Jungs für alles ihnen brachte. Mit dieser Farbe dürfte sie das einzig Freundliche dieses Tages gesehen haben, dachte sie und ließ sich von Claudia die Schleife am Rücken binden. So tief glitt deren Hand dabei, dass die Regel, welche „unkeusche Berührungen“ verbot, sehr in Gefahr schwebte, verletzt zu werden. Ob ihr die Verletzung wehtun würde? Und welche war es noch mal? Ach ja, Regel acht. Mancher Regelverstoß war sehr angenehm, stellte Silvia fest. Wenn nur nicht der Preis so hoch wäre. – Bevor der Aufseher sie entdeckte, ließ die Hand wieder von ihr ab. Blieb als Zärtlichkeit nur ein liebevolles Lächeln.

      Das wohlige Gefühl wurde von Silvias Kummer nicht vertrieben, ebenso wenig der Appetit beim Frühstück. Sie verzehrte die beiden ihr zugedachten Brötchen und das Croissant, dann noch ein halbes, das Isabel ihr überließ. Die Hälfte der halben Semmel, die ihr danach Maria anbot, lehnte sie allerdings dankend ab: „Ich sollte mal aufhören. Ich weiß gar nicht, weshalb ich heute Morgen so hungrig war.“

      „Das kommt davon, wenn man abends nichts isst.“ Ein unterschwelliger Tadel in Jasmins Worten war nicht zu überhören.

      „Ich werde mich bessern und fortan alle Leckereien klaglos hinunterschlingen, mit oder Pimentkerne.“ – O Gott, der Aufseher! Besorgt huschte Silvias Blick zu ihm hinüber. Er aber rührte geduldig in seinem Kaffee, lächelte verstohlen in sich hinein und schien die Unterhaltung nicht zu hören. Sie musste sich vor ihm nicht ständig fürchten, dachte sie beruhigt. – Aber wieso beruhigt? Natürlich musste sie sich vor ihm fürchten! Angstvoll schweifte ihr Blick hinauf zur Peitsche, die bedrohlich an der Wand hing, wartend darauf, dass eine grobe Aufseherhand sie zum Leben erwecke. Bald würde Silvias Rücken so aussehen wie der Marias, und vermutlich würde dieser Camus lesende und amüsiert lächelnde Folterknecht höchstpersönlich dafür sorgen.

      Für weitere Ablenkung von ihrer Furcht sorgte oben in der Küche beim Geschirrspülen und unten beim Reinigen der Toiletten und des Duschraums der Poformer mit seiner aufreizenden Dicke. Immer wieder ließ er sie erzittern, immer wieder vertrieb ein Gefühl wohliger Lust die quälenden Gedanken; an diesem Vormittag lernte Silvia ihn zu schätzen.

      Weniger hilfreich wirkten die Ketten, die sie nach dem Duschen und dem Schminken von Claudia angelegt bekam, der heutigen „Helferin“. Diese boten kein Vergessen, erinnerten ganz im Gegenteil daran, dass die Zeit verstrich und die Vollstreckung des Urteils bald bevorstand. Beim Mittagessen fehlte ihr der Appetit, kaum einen Bissen brachte sie hinunter, zum Glück aber gab es niemand, der sich daran störte. Die Herrin befand sich nicht im Raum und dem Aufseher war es egal, ob sie aß oder nicht. Der saß schweigend wie immer auf seinem Platz, schien weit entrückt, mit den Gedanken irgendwo, wohin niemand ihm folgen konnte, vielleicht auch niemand folgen mochte. Ob es eine schöne Welt war, in der er sich befand? Silvia bezweifelte es schwer. Vermutlich träumte er von Kerkern, Peitschen und anderen, raffinierteren Foltermethoden. Ganz sicher allerdings war sie sich ihres geringschätzigen Urteils nicht …

      Als er von seiner imaginären Welt in den Raum zurückkehrte, Leben ihn erfüllte und er sich vom Stuhl erhob, begann ihr Herz aufgeregt zu pochen. Nun also war sie fast am Ende des Kreuzweges angelangt; bald musste sie sich nicht mehr fürchten, sondern nur noch leiden. Zögernden Schrittes verließ sie mit den anderen den Speisesaal und schwer nur trugen die weichen Knie sie über den Flur und die Stufen hinunter. Unten wurden sie vom blondhaarigen Aufseher und von der Herrin erwartet. Diese trug wieder ein schwarzes Kleid und schwarze Stöckelschuhe; ihr Haar war hochgesteckt wie bei ihrer ersten Begegnung, die Silvia unendlich lang zurückzuliegen schien. Kühl war der Blick, mit dem sie Silvia musterte, steinern war ihre Miene, ausdruckslos und unerbittlich. Silvia musste zwei Schritte vortreten, stand ganz alleine da, eine Angeklagte ohne Verteidigung.

      „Du weißt, weshalb du bestraft wirst“, durchschnitt die Stimme der Herrin die atemlose Stille.

      „Ja, meine Herrin, ich weiß es.“

      „Dann sage es mir!“

      „Weil ich mich Eurem Befehl widersetzte, meine Herrin.“

      Die Herrin nickte, fast wohlwollend, wie man hätte meinen können. „Du warst aufsässig. Und du warst schockiert, nicht wahr, konntest nicht vor aller Augen an einem Schwanz lutschen. Hast zu viel gute Erziehung hinter dir.“ – Zu viel gute Erziehung? Gab es das? Und wie passte diese Gossensprache zur edlen Herrin? Und hörte man in ihren Worten nicht den Anflug eines ironischen Verständnisses? Gleich aber klang sie wieder kühl. „Du solltest dich daran gewöhnen. Es ist besser für dich.“

      Woran sollte sie sich gewöhnen? Ans Schwanzlutschen vielleicht? Silvia fragte lieber nicht nach. „Ja, meine Herrin, ich gewöhne mich daran.“

      „Wir werden sehen.“ Auffordernd nickte die Herrin dem blonden Aufseher zu.

      Dieser näherte sich Silvia, nahm ihr die Ketten ab und streifte ihr die Träger des Gewandes von den Achseln. Ein kalter Schauer rieselte über ihren Rücken. Sie sah die Kette von der Decke herabsinken, sah die beiden Enden dicht über ihrem Kopf, dachte nicht daran, die gelähmten Arme zu heben. Doch wurden sie hochgehoben und silberhell rasteten die zierlichen Haken in den Verschlüssen der Armbänder ein. Langsam, doch unaufhaltsam schwebte die Kette nach oben, spannte ihren Körper und hielt erst still, als sie auf den Fußballen stand. Ein banges Seufzen entrang sich ihren Lippen. Wie Maria gestern, so wandte auch sie den Kopf zur Seite, als der Blondhaarige dicht vor sie trat, nicht weil sein Atem unangenehm war, sondern um der viel zu intimen Nähe auszuweichen. Er öffnete die Schlaufen ihres Gewandes und kraftlos sank es hinab. Silvia schloss die Augen. Wie still es war in ihrer Nacht des Schreckens, kein Laut ließ sich vernehmen, doch zitterte die Luft, als werde sie gleich zerreißen.

      Dann sprach die Herrin die Formel des Schmerzes: „Zwanzig Hiebe.“

      Noch bevor Silvia angstvoll die Zähne zusammenbeißen konnte, spürte sie eine Explosion auf dem Rücken, glühendes Feuer, ihr Körper bäumte sich auf, von den Lippen brach ein qualvolles Schluchzen. Es war, als fiele ein wildes Tier sie an. Wieder biss es zu und verzweifelt zerrten die Hände an

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