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ion> Mami Classic – 45 –

      Marlene wurde blaß. Fester preßte sie den Hörer des schnurlosen Telefons ans Ohr. Ihr hübsches Gesicht verzog sich, als hätte sie Schmerzen.

      »Nein«, flüsterte sie entsetzt. Sie schüttelte den Kopf mit dem schulterlangen dunklen Haar. Der Blick ihrer schönen braunen Augen wurde verzweifelt. Angestrengt lauschte sie auf die Stimme aus dem Gerät.

      Für einen Moment schloß Marlene die Augen, atmete schwer. Es war, als müßte sie Kraft schöpfen, um sprechen zu können.

      »Ich komme selbstverständlich«, flüsterte sie bedrückt. »Wann? Ich fahre so bald wie möglich weg und kann morgen bei euch sein. Es tut mir ja so leid… so furchtbar leid.« Marlene preßte die Lippen aufeinander und schluckte mehrmals. Dabei rannen die Tränen über ihr jugendliches Gesicht. »Ja, bis morgen. Und danke, Arne, daß du mich informiert hast.« Gewohnheitsmä­ßig schaltete Marlene das Gerät ab und legte es auf den Früh­stücks­tisch. Sie wurde sich dieser Handlung gar nicht bewußt. Ihr Blick ging in die Ferne.

      Die sanften Hügel der Toskana waren dort zu sehen, bepflanzt mit Reben und Olivenbäumen, unterbrochen von kleinen Eichenwäldern, vor denen lange Ketten uralter Zypressen standen. Dunkel hoben sie sich vom wolkenlosen blauen Himmel ab. Doch Marlene hatte keinen Blick für die liebliche Landschaft. Es waren ganz andere Bilder, die durch ihre Gedanken geisterten.

      Celestino Piotta, ihr Ehemann, hatte sie aufmerksam beobachtet. Er war einundfünzig und damit genau zwanzig Jahre älter als Marlene. Seine ständig schwelende Eifersucht hatte vermutlich ihre Ursache in diesem Altersunterschied.

      Heitere Gelassenheit vortäuschend, lehnte er sich im Rattansessel zurück. »Schlechte Nachrichten?« fragte er ironisch in seiner italienischen Muttersprache. Deutsch zu lernen, hatte er nie für nötig gehalten. Für ihn war es selbstverständlich, daß seine Frau die italienische Sprache beherrschte. Daß sie das gemeinsame Töchterchen Antonia zweisprachig erzog, nahm er hin, hielt es allerdings für Unsinn.

      »Ist dein Freund in Schwierigkeiten?« fragte Celestino grinsend. Er gab sich keine Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen. »Sie müssen ernster Natur sein, sonst könntest du nicht so erschüttert aussehen. Bist so bleich, als wärst du dem Teufel begegnet.« Celestino rieb sich zufrieden die dicken Hände. Es ging ihm gut, das sah man an seinem runden, glänzenden Gesicht ebenso wie an den teueren Maßanzügen, die er trug.

      Marlene atmete tief durch. Sie fühlte sich durch die Bemerkungen ihres Mannes oft gedemütigt. Heute prallten sie an ihr ab.

      »Meine Schwester Iris ist gestorben. Es war Arne, der eben anrief.

      »Arne? Auch einer deiner Liebhaber?«

      »Arne ist mein Schwager, das weißt du doch«, seufzte Marlene geduldig. Längst hatte sie es aufgegeben, sich gegen ihren Mann aufzulehnen. Er war stärker, er hatte Macht und Geld. In seiner Heimat war er ein angesehener Mann. Ein Weingut und große Ländereien gehörten ihm, dar­überhinaus besaß er nach eigenen Angaben ein ansehnliches Aktiendepot. Sie dagegen war eine mittellose Ausländerin. Natürlich hätte sich Marlene von ihrem Mann trennen und in ihre Heimat zurückkehren können. Aber damit hätte sie ihr Kind verloren, und deshalb blieb sie, ertrug wehrlos Celestinos Sticheleien.

      Der Italiener lachte spöttisch. »Glaubst du, ich wüßte nicht, daß er früher scharf auf dich war, dieser Arne? Daran hat sich bestimmt nichts geändert. Er will dich in eine Falle locken, das ist jedem klar, nur dir nicht. Du sagst natürlich sofort zu, weil…«

      »Celestino, ich wiederhole: Meine Schwester ist in der vergangenen Nacht gestorben. Sie wird Anfang der nächsten Woche beerdigt.«

      Antonia, sieben Jahre alt, vorlaut und altklug wie jedes verzogene Einzelkind, hörte der Unterhaltung schweigend zu. Das war kein Thema, das sie interessierte. Da beschäftigte sie sich schon lieber mit dem neuen Spielzeug, das ihr der Vater gestern von einer Reise mitgebracht hatte. Es war ein teueres elektronisches Spiel, eigentlich für Erwachsene gedacht. Doch Antonia, in solchen Dingen sehr geübt, beherrschte es bereits erstauntlich gut.

      Celestino Piotta war entsprechend stolz auf das Töchterchen. Daß die Kleine nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern auch sehr begabt war, schmeichelte seinem Geltungsbedürfnis. Er verwöhnte Antonia mehr, als es ihrer Mutti lieb war. Kein Wunsch des kleinen Mädchens blieb unerfüllt. Auch jetzt beobachtete der stolze Vater selbstgefällig das Kind. Die schwarzen Locken, die glänzenden dunklen Augen und den sonnenbraunen Teint hatte Antonia von ihm. Aus ihr wurde bestimmt einmal eine Schönheit, die sich ihren Partner unter den reichsten Männern des Landes auswählen konnte. Alles, was er in Antonia investierte, war also gut angelegt.

      »Dieser Arne hat gewußt, daß deine Schwester nicht alt wird. Jetzt streckt er die Fühler nach dir aus.« Unvermittelt wurde Celestino ernst und sah seine Frau warnend an.

      Vielleicht hätte Marlene auf diese Anspielung anders reagiert, hätte sie nicht unter dem Schock der traurigen Nachricht gestanden. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Marlene den Gedanken vielleicht weitergesponnen, denn für Arne hegte sie Gefühle, die noch immer lebendig waren, obwohl sie seit fast acht Jahren mit Celestino verheiratet war und die eheliche Treue nie gebrochen hatte. Arne war der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Doch daran wollte sie sich jetzt nicht erinnern.

      »Höre bitte mit dem Unsinn auf«, fuhr sie ihren Mann ungewohnt heftig an.

      Für Celestino war dies die Aufforderung, seinen Vermutungen weitere hinzuzufügen. »Vermutlich hast du von den dunkelhaarigen, heißblütigen Italienern genug. Ein kühler Blonder aus dem Norden wäre doch ’ne nette Abwechslung.

      Marlene überging die höhnische Äußerung. »Ich richte ein paar Sachen und fahre gleich.«

      »Du hast noch nicht gefrühstückt.« Celestino wies auf das unberührte Frühstücksgedeck.

      »Entschuldige, ich kann nicht. Der Schreck…«

      Piotta verzog das feiste Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen.

      »Sagen wir lieber… die Vorfreude. Das kommt den Tatsachen schon näher. Sag mal, hast du keinerlei Hemmungen, Mann und Kind alleinzulassen?«

      Marlene seufzte. »Ich war seit fast acht Jahren nicht mehr in meiner Heimat, habe Iris nie wiedergesehen. Und nun soll ich nicht einmal zu ihrer Beerdigung?«

      »Wer sagt das? Allerdings mußt du damit rechnen, daß ich auch meine eigenen Wege gehe.« Celestino schmunzelte selbstgefällig.

      Schweigend stand Marlene auf. Schon im ersten Jahr ihrer Ehe hatte Piotta eine Freundin gehabt, mit der er seine Freizeit verbrachte. Er richtete der jungen Dame in Mailand eine teure Wohnung ein und bedachte sie mit vielen Geschenken. Weitere Mätressen folgten. Marlene erfuhr durch die Zeitung davon oder auch durch unachtsame Bemerkungen des Personals. Schon seit Jahren bestand ihre Ehe nur noch auf dem Papier, und sie wären sicher längst nicht mehr beisammen gewesen, hätte es die kleine Antonia nicht gegeben. Nie und nimmer hätte ihr Celestino das Kind überlassen. Was blieb Marlene da übrig, als seine Launen zu ertragen.

      »Mama, darf ich mitkommen?« In Gegenwart des Vaters sprach Antonia italienisch. Deutsch redete sie nur, wenn sie mit Marlene allein war. Beides beherrschte sie fehlerfrei.

      »Es ist kein erfreulicher Anlaß, sonst würde ich dich gerne mitnehmen. Du könntest deine Kusine Lea kennenlernen. Sie ist nur zwei Monate jünger als du.«

      »Wie sieht sie aus? Hübscher als ich?«

      »Ich werde dir ein Foto mitbringen.«

      »Vergiß es, principessa!« Celestino neigte sich herüber, legte seinen Arm um das kleine Mäd­chen. »Sie kann gar nicht hübscher sein, weil du ja die Schönste bist, Antonia.« So klangvoll wie der Vater konnte niemand Antonias Namen aussprechen. Strahlend sah die Kleine zu ihm auf. »Du bleibst hier, und wir machen uns ein paar schöne Tage. Na, wie findest du das?« Herausfordernd sah Celestino das Töchterchen an.

      Sie ließ das neue Spiel im Stich, sprang auf und umarmte den Dicken.

      *

      Es war ein ganz normales Reihenhaus, das Arne Nielson in einem Hamburger Stadtteil bewohnte. Verglichen mit dem Domizil der Piottas in der Toskana war es ein recht bescheidener Wohnsitz.

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