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ein Schwamm, etwas Gummiartiges, etwas Verformbares, an dem Verliebtheit ziehen und drücken konnte, sodass dieses Spielzeug fast jede Gestalt annahm, die sie wollte.

      Verliebtheit drückte dieses Spielzeug an ihr Herz, schloss die Augen und verweilte einen Augenblick lang in dieser Haltung. Es sah so aus, als würde sie träumen, jedenfalls wirkte sie sehr abwesend. Langsam wichen auch die letzten Spuren von Trauer und Schmerz aus ihrem Gesicht. Einen Augenblick lang wirkte sie entspannt, gelöst und beinahe glücklich.

      Dann öffnete Verliebtheit ihre Augen, lächelte das Spielzeug, das sie in ihren Händen hielt, an und sagte zu ihm:

      „Glaubst du, dass Liebe auch deinen Namen kennt?“

      Kaum hatte sie das gesagt, da spürte sie auch schon, dass sie keine Lust mehr auf dieses Ratespiel hatte. Sie dachte nur:

      ‚Wie soll man mit jemandem ein Ratespiel spielen, der alles weiß und nicht einmal raten muss?‘

      Deshalb sagte sie, ohne ihren Kopf zu drehen und Liebe anzuschauen:

      „So wie ich dich mittlerweile kenne, wirst du wohl auch wissen, wie dieses Spielzeug hier in meiner Hand heißt. Ich werde dich auch gar nicht erst danach fragen und du brauchst es auch nicht schon wieder zu erraten. Ich werde dir selbst sagen, wie dieses dritte Spielzeug heißt: Es heißt Hoffnung.“

      Wie hätte Liebe das nicht wissen können? Denn kein Spielzeug ist wie die Hoffnung, so bunt, strahlend, weich und mit veränderlicher Gestalt. Als sie selbst eine Verliebtheit gewesen war, war gerade die Hoffnung auch ihr Lieblingsspielzeug gewesen. Denn die Hoffnung war die Wärme, die sie aus der Kälte ihrer Einsamkeit rettete, das Licht in der Dunkelheit ihrer Angst und die Brücke zum Glück. Die Hoffnung war ihr vertrautestes Spielzeug. Daher ahnte sie, was gleich passieren würde, und schaute Verliebtheit, die mit der Hoffnung in ihren Händen verschmolzen schien, voller Sorge an.

      Da fing das Spielzeug Hoffnung auch tatsächlich an, sich zu verändern. Es verlor seinen Glanz, seine Gestalt und seine bunte Farbe. Es wurde stachelig und dunkelgrau, fast schwarz wie die Nacht. Die Hoffnung hatte sich in Enttäuschung verwandelt.

      Obwohl Verliebtheit diese Verwandlung schon so oft erlebt hatte, wollte sie sich damit nicht abfinden. Verzweifelt und verbittert warf sie das schwarze Ungetüm in ihren Händen weg, weit weg von ihrem Rucksack und weit weg von sich. Die zur Enttäuschung gewordene Hoffnung blieb aber dort nicht liegen, sie rollte zurück und schlüpfte wieder in den Rucksack hinein.

      Da drehte sich Verliebtheit um und fragte Liebe völlig aufgelöst:

      „Hast du das gesehen?! Hast du das gesehen?! Das passiert mir so oft! Fast jedes Mal, wenn ich traurig bin und versuche, mich durch das Hoffnungsspiel abzulenken, oder wenn ich einfach nur Freude habe, damit zu spielen, verwandelt es sich. Manchmal in Enttäuschung, was mich verbittert und wütend macht, und manchmal in eine Art grauen Nebel, der sich ausbreitet und überall niederschlägt. Alles erscheint dann grau und trostlos. Ich bin dann so verzweifelt, komme mir so haltlos vor und bekomme Angst. Doch am schlimmsten ist es, wenn sich das Hoffnungsspiel verwandelt und ich es wegwerfe, aber es einfach zurück in meinen Rucksack schlüpft. Egal wie weit ich es auch wegwerfe, werde ich die Hoffnung nicht los.“

      Der fragende Blick von Verliebtheit veranlasste Liebe zu der Äußerung:

      „Vielleicht wirst du die Hoffnung deshalb nicht los, weil du sie nur mit den Händen wegwirfst, aber im Herzen behältst.“

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       Ewige Geburtswehen

      Durch die unzähligen Erfahrungen, die Verliebtheit mit ihrer Hoffnung gemacht hatte, waren ihr Lust und Frust des Hoffnungsspiels sehr vertraut. Der Gedanke, dass sie die Hoffnung mit der Hand wegwirft, aber im Herzen behält, war jedoch neu für sie. Die leise Ahnung, dass nicht die Hoffnung, sondern womöglich sie selbst der Schöpfer ihres Leidens sein könnte, verunsicherte sie zutiefst und ihre Ohnmacht tat ihr in der Seele weh. Diese Gefühle vermittelte sie auch Liebe mit der Frage:

      „Ist das nicht schrecklich, dass ich nicht über meine Spielzeuge bestimmen kann?“

      In diesem Augenblick senkte Verliebtheit ihren Kopf, damit Liebe die Tränen, die ihr über die blassen Wangen rollten, nicht sehen konnte, und fragte verzweifelt:

      „Kannst du mir helfen oder hast du vielleicht einen Rat für mich? Bitte, bitte sag ja. Sag, dass du weißt, wie ich meine Spielzeuge in den Griff bekomme.“

      Liebe umarmte Verliebtheit zärtlich mit ihren Blicken, zögerte aber mit der Antwort. Sie kannte ja die Gefühle von Verliebtheit, weil sie selbst lange eine Verliebtheit gewesen war. Sie kannte die schönen Erinnerungen, die sie selbst wie kostbare Juwelen für Zeiten der Not aufbewahrt hatte. Die bitteren Kerne der Enttäuschungen, die immer übrig geblieben waren, wenn das Fleisch der süßen Früchte der Leidenschaft aufgezehrt war. Und diese Hoffnung, die Hoffnung, die mit gestrecktem Arm und offener Hand um Erfüllung ihrer Wünsche gebettelt hatte.

      Liebe kannte diese Gefühle nur allzu gut. Sie kannte sie alle. Alle Spielzeuge, die bunten und schönen, die beleben und Freude bereiten, auch die unvermeidbar ekligen und hässlichen, die verbittern und lähmen. Liebe kannte sie alle, samt ihrem Zauber, ihrer Macht und ihren Tücken, die mit ihrer Magie wie Spielzeuge erscheinen und mit ihrer Zauberkunst so zarte Wesen wie Verliebtheit in ihren Bann ziehen. Liebe erinnerte sich an jene Zeit, als sie selbst noch verliebt gewesen war und leidend und verzweifelt nach Erfüllung, Hilfe und Rat suchte. Und an die lange Zeit und den beschwerlichen Weg ihres Werdens. Ihrer Metamorphose, ihrer Verwandlung von Verliebtheit zu Liebe.

      Ihre erste Geburtswehe war die bittere Erkenntnis: Es gibt keinen Ratgeber und keinen Rat, die wirklich nützen. Es gibt nur die brennenden Fragen, aber keinen, der sie beantwortet und das Feuer löscht. Es war die Erfahrung, dass sie selbst die Frage war und nur sie selbst die Antwort sein konnte – eine Antwort, die sie aber nicht kannte. Die bedrohliche Gewissheit, auf sich selbst angewiesen zu sein, jedoch auf ein ohnmächtiges Selbst, um sich an dem eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen zu müssen, mit gelähmten Händen. Alles Dinge der Unmöglichkeit, wie der Seiltanz eines Gelähmten.

      Liebe wusste, dass diese ewigen Geburtswehen des Werdens unermesslich schmerzhafter sein würden als die Schmerzen, die Verliebtheit jetzt und heute bei den ersten Schritten ihres Weges erlitt. Auch war es Liebe über alle Maße klar: Wenn die Geburtswehen nicht zu einer Geburt führen und die Entbindung von der Bindung zum Rucksack nicht vollzogen würde, würden die Schmerzen bis zum Ende ihrer Tage anhalten. Liebe wusste aber auch, dass dieser Schmerz der Prüftiegel ist, in dem das Überflüssige verbrennt, das Oberflächliche verdampft und das Edle bleibt. Und das Edle ist unvergänglich. Deshalb wünschte sie Verliebtheit von ganzem Herzen diese unvermeidbaren Wehen, damit aus Verliebtheit vielleicht auch einmal Liebe würde.

      Während Liebe an all das dachte und sich erinnerte, beobachtete sie Verliebtheit, die scheinbar teilnahmslos mit dem Gras neben sich herumspielte. Liebe wusste nur allzu gut, dass Verliebtheit jetzt keine Worte der Weisheit brauchte, sondern Trost, Zuversicht und Kraft, damit sie ihren schweren Weg, den sie schon begonnen hatte, auch weitergehen würde.

      In diesem Augenblick wurde die Gedankenkette von Liebe durch die ungeduldige Frage von Verliebtheit unterbrochen:

      „Ich habe dich was gefragt. Warum gibst du mir denn keine Antwort? Du bist doch nicht etwa mit deinem Latein am Ende? Ich wollte ja nur einen Rat von dir. Ich wollte ja nur wissen, wie ich mit meinen Spielzeugen und den Gefühlen, die sie mit sich bringen, umgehen soll.“

      „Oh, entschuldige bitte, dass ich mit der Antwort gezögert habe. Deine Frage war auch sehr lange meine Frage. Meine Spielzeuge waren auch für mich die Quelle meiner Freude und meines Leidens. Auch ich war einst wütend, traurig und verzweifelt über die Macht, die sie über mich hatten. Deshalb verstehe ich dich und kann mir sehr gut vorstellen, wie es in dir aussieht.

      Ich wünschte, es gäbe einen Rat, der dir helfen könnte,

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