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sein?

      Sie mußte sich an der Armstütze des Wagensitzes festhalten, sonst wäre sie vielleicht heruntergerutscht.

      Da trat ihr Vater aus dem Haus.

      Ann hielt ihn auf.

      »Dad, weißt du eigentlich, wer der Mann ist?«

      »Natürlich, das ist Earp.«

      »Hast du ihn auch mal nach seinem Vornamen gefragt?«

      »Nein, weshalb?«

      »Wyatt heißt er. Ganz kurz und schlicht Wyatt Earp. Schon mal gehört den vollen Namen: Wyatt Earp…!«

      Der Rancher griff nach seinem Hut und nahm ihn langsam vom Kopf. »Wyatt Earp…«

      »Ja, Vater, unser prächtiger Cowboy ist niemand anderes als Wyatt Earp! Sheriff Fenner hat ihn eben laut genug begrüßt. Offenbar kennt er ihn. Und weißt du, wer der andere Mann ist, der da eben aus dem Boden aufgetaucht zu sein scheint?«

      Barring sog die Luft tief ein.

      »Nein, Ann, das weiß ich nicht. Aber wenn du mir jetzt sagst, daß es Doc Holliday ist…«

      »Ist er, Vater.«

      Da kam der Marshal schon auf den Rancher zu.

      »Es ist bisher alles in Ordnung, Mister Barring. Ich habe den Sheriff rufen lassen, damit auch er dabei ist und sich von der ordnungsgemäßen Abwicklung der Dinge überzeugen kann.«

      John Barring musterte den Marshal plötzlich mit ganz anderen Augen. Auch den Spieler sah er forschend an. Den Hut hatte er immer noch in der Hand, als er leise sagte: »Meine Tochter sagte mir eben, daß Sie… Wyatt Earp wären?«

      »Ja, das ist richtig. Und dieser Mann ist Doc Holliday. Er wird uns ein wenig den Rücken decken.«

      Ann stieg vom Wagen und vermochte die Augen nicht von den beiden Männern zu lassen. Sie war so verblüfft wie ihr Vater, der vor Überraschung ganz vergessen hatte, den Sheriff zu begrüßen.

      *

      Es war genau Mittag.

      Wyatt Earp und John Barring ritten zum Creek hinunter. Dort stiegen sie von den beiden Pferden. Während Barring durch das hier kaum knöcheltiefe Wasser zum jenseitigen Ufer watete, blieb der Marshal bei den Pferden stehen.

      Die beiden Männer blickten nach Westen.

      »Er kommt nicht«, meinte der Schotte nach einer Minute.

      »Er kommt!« beharrte der Marshal.

      Und da tauchten in der Ferne auf dem Hügelkamm auch schon zwei Reiter auf, die rasch näherkamen.

      James Elliot und sein Sohn Roger kamen heran und stiegen ebenfalls von den Pferden.

      Ohne ein Wort der Begrüßung rief Elliot, indem er nach Osten deutete: »Da drüben sind Reiter! Ich habe sie von oben gesehen!«

      »Es sind zwei Männer«, entgegnete der Marshal. »Der eine ist der Sheriff und der andere mein Freund Holliday.«

      »Wer?«

      »Mein Freund Holliday.«

      »Wer sind Sie überhaupt?« knurrte Elliot bissig.

      »Mein Name ist Earp. Wyatt Earp.«

      Da griff sich James Elliot unwillkürlich an den Hals.

      »Wyatt… Earp?«

      Auch seinem Sohn war die Kehle auf einmal sehr trocken geworden.

      Der Fremde sollte Wyatt Earp sein! Der große Marshal, von dem man schon soviel gehört hatte!

      »Außerdem haben Sie keinen Grund zur Klage«, rief der Missourier, »denn Ihre Reiter halten oben hinter dem Hügelkamm, also in gleicher Entfernung.«

      »Woher wollen Sie das wissen?«

      »Ich habe sie gesehen.«

      Elliot nickte.

      »All right. Und was soll ich hier? Sie sind es also, der mich herbeordert hat, Marshal?«

      »Richtig, das habe ich. Weil Sie sich jetzt hier mit Mister Barring vernünftig unterhalten sollen.«

      »Ausgeschlossen. Er ist mein Feind, hat mich beleidigt und hat…«

      »Ruhe!« donnerte der Marshal über den Creek.

      »Sie haben jetzt hier Gelegenheit, alles in Ruhe mit Mister Barring zu besprechen!«

      Und dann sprachen sie, die beiden ehemaligen Freunde.

      Sie sprachen fast eine Stunde miteinander.

      Und dann reichten sie sich auf einmal die Hände.

      Ein befreites Lachen brach über die Lippen James Elliots.

      »Alter Freund, und ich hielt dich für einen Banditen! Damned! Jetzt such dir endlich ein paar Cowboys, und dann wird es auch bei dir aufwärts gehen!«

      Er versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß – und John Barring stolperte zurück, genau in den Creek.

      Wyatt Earp fing ihn im allerletzten Moment auf.

      Elliot stand mit erschrockenem Gesicht da.

      »Geht’s wieder los?« fragte Barring ihn grinsend.

      »Um Himmels willen! In diesem Leben nicht mehr, John. Dazu ist es zu kurz. Mach’s kurz und bestell’ June einen Gruß. – Vorwärts, Junge«, wandte er sich an seinen Sohn, »wir haben heute noch eine Menge Arbeit!«

      Rogers Augen hingen an dem Marshal. Er hob die Hand grüßend zum Hut und folgte dann dem Vater.

      John Barring hatte sich längst aufgerichtet. Verwundert blickte er auf den Marshal, der immer noch im Bachbett kniete.

      »Was gibt’s denn da, Mister Earp?«

      Wyatt blickte zu ihm auf. »Haben Sie mir nicht mal von einem Indianer erzählt, der von einem Geheimnis des Silver Creeks sprach?«

      Barring, glücklich über den guten Ausgang dieses Zusammentreffens mit Elliot, winkte lachend ab.

      »Ja, ja, alte Geschichten einer Rothaut!«

      Da nahm Wyatt Earp seine rechte Hand aus dem Wasser und hielt ihm ein haselnußgroßes blinkendes Metallstück entgegen.

      »Wissen Sie, was das ist, John Barring?«

      Der Schotte kniete sofort neben ihm nieder und nahm das Metall in seine verarbeiteten Hände.

      »Gold! Allmächtiger! Gold ist im Creek!«

      »Und was für Stücke! Hier, da, dort!«

      Wyatt nahm noch drei weitere Körner aus dem Sand des Baches.

      »Ihr Silver Creek ist Gold wert, Mister Barring. Ich wette, daß Sie bald genug Geld hier herausgeholt haben werden, um sich ein Wassergrabennetz vom Black Trail River in Ihre Weide ziehen zu lassen…«

Cover Die Outlaws von Santa Fé

      Es gab sie damals schon, die jungen Leute, die man heute nicht ganz richtig ›halbstark‹ nennt. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nannte man sie in den Unionstaaten Nordamerikas bedeutend treffender die cry boys, die Schrei-Jungen, also die Unzufriedenen, die Großmäuler, die Verdrossenen, die Besserwisser.

      Stan Ripper allerdings hätte mit seinen neunzehn Jahren schon über dieses Stadium hinaus sein müssen. Gattertore von Corrals aushängen, Wagen umkippen, Fensterläden aushängen, Wagen umkippen, Fensterläden zuleimen, ganze Holztreppen nächtlicherweise abnehmen und Türschilder auswechseln – für dies alles hätte er längst zu erwachsen sein müssen. Und dennoch war er ein cry boy geblieben. Und zwar einer, der nicht mehr harmlos genannt werden konnte. Der Unfug, den er anstellte,

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