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einem Bewohner, der ebenfalls von mir verkörpert wird. Warum bin ich auch hierhergezogen? Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Angesichts meiner brenzligen Situation kommt mir jedweder vorstellbare Grund irrelevant vor. Ich bin gar nicht sicher, ob ich selbst diese Entscheidung getroffen habe. Möglicherweise hatte mir meine Wohnung bereits ihren Willen aufgezwungen, ehe ich mich ihr mit allem, was mir gehört, anvertraut und gleichzeitig ausgeliefert habe. Vielleicht haben mich die verfänglichen Gezeiten des Wohnungsmarktes dieser Bestie in Gestalt einer Immobilie in den Organismus gespült wie einen x-Beliebigen, an dem sich verwirklichen lässt, was mit unzähligen anderen ebenfalls möglich gewesen wäre. Oder mein Unterbewusstsein hat mich hierhergeführt, jener schwer durchschaubare Bereich, mit dessen Hilfe meine Wohnung mit mir kommuniziert. Dabei handelt es sich um eine einseitige Kommunikation. Verspüre ich Hunger, bewege ich mich nahezu unwillkürlich Richtung Küche. Alle Räume lassen sich ausschließlich durch Türen betreten. Gelegentlich knarrt der Boden unter meinen Füßen und gibt mir damit zu verstehen, jede meiner Bewegungen werde registriert. Ausblick gewährt mir meine Wohnung nur durch ein paar Fenster, deren Position und Ausrichtung nicht ich festgelegt habe. Ich werde also von dem, was ich durch sie sehe, viel eher gesehen als umgekehrt. Waschen kann ich mich nur an zwei, drei dafür vorgesehenen Stellen. Nichts geht auf eine meiner Ideen zurück. Mir bleibt bestenfalls die äußere Form überlassen. Obwohl ich die Fenster putze, sind sie kurze Zeit später wieder verschmutzt.

      Eine Woche nach meinem Einzug habe ich ein Bild aufgehängt. Zunächst wollte die Wand das verhindern, indem sie dem Nagel ein Eindringen verwehrte. Dann ließ der Raum das Bild schief wirken, indem er sich neigte. Zuletzt nahm ich das Bild eigenhändig herunter, da ich der Meinung war, es sei meinem beständigen Blick nicht gewachsen. In Wahrheit hat mich meine Wohnung gegen mich selbst eingesetzt, nachdem ich auf die ersten Warnschüsse – ein Hammerschlag auf den Daumen, mehrere Löcher in der Wand, letztendlich ein Bohrloch, das zugespachtelt werden musste – nicht reagiert hatte.

      Damals habe ich zum ersten Mal klein beigegeben und mich damit als geeigneter Bewohner erwiesen: Verhalte ich mich anders als für mich vorgesehen, lastet ein schlechtes Gewissen auf mir. Reumütig bemühe ich mich, die ursprüngliche Situation umgehend wiederherzustellen. Es sieht dann zumeist mehr nach vorher aus, als es zuvor jemals ausgesehen hat. Sobald es im Vorzimmer läutet, weiß ich, was zu tun ist: Ich versuche den Eindruck zu erwecken, nicht zu Hause zu sein.

      Wo wird es passieren, lautet die Frage, die mich seit Wochen beschäftigt. Wird es wie ein Unfall aussehen oder wie eine Kurzschlusshandlung? Wenn ich abends das Licht ausmache, frage ich mich, ob ich den morgigen Tag überhaupt noch erleben werde, aber die Dunkelheit verbirgt ihre wahren Absichten. Halte ich in der Früh Hände und Gesicht unters kalte Wasser, rechne ich jedes Mal damit, einem elektrischen Schlag zu erliegen. Die Toilettenspülung betätige ich erst, nachdem ich den Deckel zugemacht und mich einige Schritte entfernt habe. Aus demselben Grund steige ich aus der Badewanne, ehe ich das Badewasser auslasse. Ich stecke auch den Kopf nicht mehr ins Backrohr. Einmal hatte ich das Gefühl, meine Wohnung versuche mich aus dem Fenster zu werfen. Eine geradezu heitere Kraft zog mich förmlich in die Küche, in der ein Fenster sperrangelweit offen stand. Am liebsten – so viel habe ich verstanden – hätte mich die Zirkulation meiner Wohnung durch die Eingangstür hinein- und durch das Fenster wieder hinausbefördert, wie ein Blutkreislauf, der einen Eindringling durch den Organismus spült, um ihn hinterrücks auszuscheiden.

      Als ich ins Arbeitszimmer zurückkehre, sitzt kein Schillerfalter mehr auf dem Fensterbrett. Vielleicht ist er bloß vorbeigekommen, um nachzusehen, ob ich schwach geworden bin und ihm im Halbschlaf hinterherfolge.

      Sobald mir meine finanzielle Situation in den Sinn kommt, klettere ich auf den Schrank. Ich habe herausgefunden, dass ich hier oben sitzend am besten darüber nachdenken kann. Meine Beine baumeln ins Vorzimmer, und ich muss den Kopf einziehen, um ihn mir nicht am Plafond anzustoßen. Wie soll ich es jemals schaffen, aus meiner Lage, die ich als verzwickt bezeichnen würde, herauszukommen? Wird es zu dem entsprechenden Überangebot an Entbehrungen jemals eine angemessene Nachfrage geben? Ich schließe die Augen und denke an eine Explosion mehrerer Farbwerte, darunter Eierschalenfarbe und Ocker.

      Die Position auf dem Schrank verlasse ich, indem ich mich abstoße und auf dem Vorzimmerboden lande, als käme ich von einem Podest herunter. Fallweise geht damit eine Initialzündung einher, die eine gute Idee auf den Weg bringt. Das Abstoßen lüftet irgendeinen Schleier, der einen Einfall nicht als solchen hat erkennen lassen, und sowie beide Füße den Boden berühren, staucht ihn der damit verbundene Aufprall auf das ideale Format. Zumeist verhält es sich jedoch anders. Ich komme nicht herunter, weil sich eine Idee abzeichnet, sondern um eine andere Position einzunehmen. Von oben fällt mein Blick auf einen Schemel, der unmittelbar vor dem Sofa steht, damit sich meine Füße darauf ausruhen können. Vor diesen Schemel knie ich mich hin und halte meinen Kopf unter seine Sitzfläche. Das ist mir lieber, als ihn oben aufzulegen, als präsentierte ich ihn einem Henker. Unter dem Schemel, stelle ich mir vor, entzieht sich meine Gedankenwelt jeder universellen Gerichtsbarkeit.

      Schon bald nach der Gründung eines eigenen Haushalts empfand ich es als unumgänglich, über meine Finanzen Buch zu führen. Ich begann damit, sämtliche Ausgaben aufzuschreiben, zu kommentieren und mit dem entsprechenden Datum zu versehen. Erst anhand einer solchen Aufstellung fallen einem gewisse Unregelmäßigkeiten auf, und es wird ersichtlich, wo gespart und wo investiert werden sollte. Ähnlich eklatante Schwankungen begegneten mir erst wieder, als ich dazu überging, mein Körpergewicht zu notieren. Ich wiege morgens deutlich mehr als gegen Mittag und nachmittags wiederum weniger als abends. Gelegentlich stand ich nachts auf, um mich auch über diese Werte zu informieren, vergaß jedoch meist die Zahl oder schrieb sie irgendwohin und wusste am nächsten Morgen nicht mehr, wo das gewesen sein könnte. Im Gegensatz zu meinem finanziellen Gebaren stellte es sich, was meinen Körper betraf, als deutlich schwieriger heraus, ausgeglichene Werte zu erzielen. Zunächst legte ich einen Grenzwert fest, der keinesfalls überschritten werden durfte, um in der Folge den Abstand zwischen diesem und dem jeweils angezeigten Gewicht sukzessive schrumpfen zu lassen. Dabei halfen mir häufige Überprüfungen und die digitale Anzeige an meiner Waage, die unaufgeregter über den aktuellen Zustand informiert als jeglicher Zeiger, dem etwas von einem mahnenden Finger anhaftet.

      Glaubwürdige Ausgeglichenheit kehrte jedoch erst in mein Leben ein, als ich begann, meine Körpergröße statt meiner Finanzen oder meines Gewichts zu vermerken. Ich bediene mich dazu einer uralten Methode, der gemäß ich vor der Zimmerwand Aufstellung nehme – zunächst in unmittelbarer Nähe eines Türstocks – und dort eine kleine Bleistiftmarkierung hinterlasse, wo mein Schädel den höchsten Punkt erreicht. Mittlerweile bin ich auf der Suche nach einer freien Wandstelle im Schlafzimmer angelangt. Unbeschriftet sind nur noch die Küche, der Abstellraum und die Toilette. Dann werde ich wieder im Vorzimmer angekommen sein. Je unübersehbarer ich mich meinem Ausgangspunkt nähere, desto häufiger grüble ich, ob zwischen dieser sich allmählich vervollständigenden Linie und dem, was der Volksmund Lebenslinie nennt, eine Verbindung besteht.

      Während der Kaffee in der Tasse auskühlt, schraube ich bereits die Espressokanne auseinander, um ihre einzelnen Teile (Wasserbehälter, Filter, Aufsatz samt Deckel und Griff) abzuspülen. Der Kaffee wird erst getrunken, sobald sich die Kanne, in der er zubereitet wurde, wieder an ihrem Platz im Küchenschrank befindet.

      Diesmal unterläuft mir bei den routinierten, vielleicht allzu routinierten Handgriffen eine Unachtsamkeit: Ich greife den noch heißen Aufsatz mit der bloßen Hand an, bevor ich ihn unters kalte Wasser gehalten habe, und muss ihn, den Griff unter Schmerzen lösend, in die Spüle fallen lassen. Ein Rest Kaffee, der sich noch darin befunden hat, gerät außer Kontrolle und landet an der weiß getünchten Wand, wo er binnen eines Augenblicks die Folgen meiner Unachtsamkeit sichtbar macht. Als ich meine Finger unter den Wasserhahn halte, um dem Schmerz keine Gelegenheit zu geben, sich in meinem Körper auszubreiten, muss ich zusehen, wie der Rest an Kaffee die chaotische Form eines Flecks annimmt, anstatt wie sonst vom Abfluss pflichtbewusst hinuntergeschluckt zu werden.

      Zunächst fixiere ich diesen Fleck, als bestünde eine Möglichkeit, seine scheinbar unbekümmerte Formlosigkeit auf mich übergehen zu lassen. Schließlich wäre es an mir, angesichts meiner Ungeschicklichkeit die Fassung zu verlieren. Als ich bemerke, dass der Fleck in Bewegung

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