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hinkommt, wenn man stirbt. Eva wirft ihr Kleingeld in den Opferstock. Und dann starrt sie Anna an.

      »Anna, gib mir dein Geld!«

      Anna erschrickt, damit hat sie nicht gerechnet. Sie greift in die Tasche ihrer Hose und verschränkt dann die Arme.

      »Ich hab kein Geld«, schreit sie und läuft kreischend aus der Kirche. Eine alte Frau schaut auf, betet aber ihren Rosenkranz weiter. Eva erwischt Anna noch auf dem Platz vor der Kirche. Anna wehrt sich heftig.

      »Bitte, Anna!«

      Eva sagt nicht oft Bitte zu ihr. »Es bleibt unser Geheimnis.«

      »Ich will aber ein Eis und kein Geheimnis«, sagt Anna.

      »Du bekommst beides. Das verspreche ich dir. Ich gebe dir daheim das Geld, spätestens in einem Monat hast du es wieder. In Ordnung?«

      »Bis dahin kann ich längst tot sein«, sagt Anna. »Oder du.«

      Sie gehen zurück in die Kirche. Eva wirft ihre Münze in den Opferstock und stellt eine zweite Kerze in das vom Wachs verpickte Eisengestell.

      Als sie zurückkommen, will die Mutter den Bleistift sehen. Eva muss dringend aufs Klo. »Hier geblieben!«, hält die Mutter sie zurück. »Wo ist der Bleistift?«, fragt sie.

      »Im Geschäft.«

      »Soweit so gut. Aber wo ist das Geld?«

      »Ich habe es dem lieben Gott geschenkt.«

      »Warum um Himmels willen schenkst du der Kirche unser Geld? Du bist doch kein kleines Kind mehr!«

      Eva sagt, dass sie das Geld für einen guten Zweck gespendet habe. Sie verrät nur nicht für welchen. Sie glaube nicht, dass das eine Sünde sei. Die Mutter schüttelt den Kopf.

      »Ist es nicht schon schlimm genug, wenn die Frau Lehrerin für euch beide die alten Hefte aufreißen und daraus neue heften muss? Ihr könnt nicht auch noch verlangen, dass sie euch Bleistifte schenkt! Macht es euch Spaß, wenn ihr immer diejenigen seid, die am wenigsten haben? Genieren muss man sich mit euch! Ich bin es nicht gewohnt, arm zu sein, und ich werde mich auch nicht daran gewöhnen! Das ist doch menschenunwürdig! Und ihr, ihr macht es noch schlimmer! Verschenkt unser Geld! Ausgerechnet der Kirche! Haben die schon irgendwas für uns getan? Machen das vielleicht die anderen Kinder auch? Schaut doch, wie brav die anderen Kinder sind! Ihr macht dauernd Ärger und undankbar seid ihr!«

      »Sonst sagst du immer, was die anderen tun ist uns egal«, sagt Eva.

      »Halt den Mund! Frech auch noch werden!« Bevor sie zuschlagen kann, läuft Eva davon.

      Das mit den Heften stimmt schon, denkt Eva. Und dass andere in der Klasse mehr haben als sie. Aber ihr macht das nichts aus. Nur manchmal hat sie großen Hunger. Und dann geht sie mit den anderen Kindern in die Kinderausspeisung der Amerikaner. Dort gibt es Suppe und Grießkoch. Danach ist der Bauch ganz warm und so voll, dass er fast platzt. Die Mutter hat ihr das verboten, aber die Lehrerin sagt, wenn sie das anschafft, müssen alle Kinder folgen. Manchmal ist Eva froh, wenn Erwachsene etwas befehlen.

      »Du, Mutti«, fragt Eva. Sie reagiert nicht, wischt den Boden weiter auf.

      »Warum geht der Onkel eigentlich nie ins Dorf oder fährt in die Stadt?«

      »Wie kommst du denn darauf?« Die Mutter richtet sich auf, rührt mit dem Fetzen wild im Wasserkübel herum.

      »Stimmt doch.«

      »Der Onkel mag andere Menschen nicht so gern. Er ist lieber für sich.« Sie drückt den Putzfetzen mit aller Kraft aus. Das Wasser spritzt auf den Boden.

      Eva wartet, nimmt ihren ganzen Mut zusammen.

      »Hat er etwas angestellt? Muss er sich verstecken?«

      »So ein Blödsinn.« Die Mutter lacht, aber anders als sonst. »Was du dir in deinem hübschen Kinderkopf schon wieder ausdenkst. Du machst dir immer viel zu viele Gedanken. Geh spielen! Wo ist denn die Anna?«

      Anna versteckt sich. Sie hat einen Milchzahn verloren, weil sie so schnell gelaufen ist, sagt sie. Jetzt hat sie Angst. »Schau ich aus wie vorher?«, hat sie Eva gefragt. »Wie schau ich denn mit ohne Zahn aus?« »Du wirst dir nie merken, dass es ›mit ohne‹ nicht gibt«, hat Eva gesagt. »Du siehst aus wie vorher, nur ohne Zahn.« Aber Angst haben sie doch beide, dass die Mutter sie nicht wiedererkennen wird.

      3

      »Mutti, ich bin echt müde, ich komme gerade aus Kanada und der Flug hatte totale Verspätung. Ich komme morgen direkt zum Begräbnis, so wie wir das ausgemacht haben. Ich hab geglaubt, Tante Anna hat dir mit der ganzen Organisation geholfen. Die kann das ohnehin viel besser als ich. Ich bin echt k.o.«

      Sie druckst herum. Ich soll unbedingt vorher kommen, sie müsse mir etwas sagen, das man nicht am Telefon besprechen kann.

      »Ich werde sehen, ob ich es früher schaffe«, antworte ich. Dann ruft auch noch Tante Anna an.

      »Ich muss jetzt wirklich schlafen«, sage ich zu ihr. »Bitte erzähl mir das alles morgen, wenn ich da bin.«

      »Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.« Ich bin zu erschöpft, um nachzuhaken. »Ich hab nichts schönes Schwarzes«, sage ich mit vor Müdigkeit heiserer Stimme.

      »Das wird deine kleinste Sorge sein«, antwortet sie.

      Ich komme zu spät. Die Deutschen haben wieder die Autobahn verstopft. Ein Unfall auf der Gegenfahrbar, die Gaffer auf meiner Spur. Tante Anna sieht mich mit dem Auto kommen, rennt mir mit einem schwarzen Kleid entgegen.

      »Na endlich«, sagt sie. Ich ziehe mich im Auto noch schnell um. Ich schwitze und laufe durch den Friedhof. Bei der Aussegnungshalle deutet mir Mutter, wohin ich mich zu stellen habe. In die dritte Reihe. Anna steht neben Mutter in der zweiten Reihe. Großmutter ganz vorne. Die Trauerlinie muss eingehalten werden. Erst jetzt bemerke ich den Sarg, die vielen Blumen und das Foto vom Onkel. Ein paar Trauergäste geben uns der Reihe nach die Hand und nicken mit dem Kopf. Mein Beileid. Beileid. Danke. Sie nehmen sich einen Partezettel vom Stoß. Ich trete aus der Reihe und nehme mir auch einen. Es ist ein altes Foto, ich hätte ein Neueres genommen. Der Onkel sieht sehr jung aus. Aber was ist da passiert? Da steht ein falscher Name! Ich kann es nicht fassen, sie haben einen falschen Namen gedruckt. Ich stoße Großmutter an, doch sie nickt nur. »Das stimmt schon so«, sagt sie. »Ich erklär dir das später.« Ich suche Mutters Blick und sie nickt mir zu. Wir müssen gehen, der Sarg wird auf einen Wagen gehoben und wir gehen schweigend hinter ihm her. Mein Herz klopft laut. Mir wird übel. Was steht da für ein Name? Josef Lienbacher. Wer soll das sein? Der Onkel hieß Franz Maier.

      Die Trauergäste sind weg.

      »Wieso sagt denn niemand was?«, frage ich. »Da steht ein falscher Name und niemand sagt was.«

      Sie haben alle ihr Schnitzel gegessen, ein paar haben sich nach meiner Arbeit erkundigt. Der Silberbauer hat nur den Kopf geschüttelt und gesagt, »was es alles gibt«. Und seine Frau hat mir zugezwinkert und gemeint, »Hauptsache, es macht dir Freude. Das ist das Wichtigste.« Tante Anna fährt mit ihrer Familie nach Hause.

      Großmutter nimmt in der Küche das schwarze Netztuch vom Kopf.

      »Setz dich«, sagt sie zu meiner Mutter und räumt Teller auf den Tisch. Für mich auch einen, obwohl sie mich sonst keines Blickes würdigt.

      »Ich kann jetzt nichts mehr essen«, sagt Mutter.

      »Aber ein kleines Nachtmahl stell ich euch schon hin. Eva, du wirst schon was essen wollen«, sagt sie.

      »Was ist das für ein Name?«, sage ich ungeduldig.

      Mutter schaut mich böse an.

      »Das ist sein Name«, antwortet Großmutter.

      »Aha, und seit wann?«, frage ich.

      »Immer schon«, sagt sie.

      Der Onkel sei ihr Mann gewesen. Ihr rechtmäßiger Ehemann.

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