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      Ulrike Schmitzer

      DIE FALSCHE WITWE

      Roman

      © Edition Atelier, Wien 2011

      www.editionatelier.at Lektorat, Satz: Angela Heide Umschlaggestaltung: Julia Kaldori unter Verwendung des Fotos Steckdose von view7/PHOTOCASE ISBN 9783902498410

      Die Personen und Handlungen dieses Romans sind frei erfunden. Mögliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

      Das Buch ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere für Übersetzungen, Nachdrucke, Vorträge sowie jegliche mediale Nutzung (Funk, Fernsehen, Internet). Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder weiterverwendet werden.

      Mit freundlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

      1

      Ein Brief vom Gericht. Ein Rsa-Brief. So schnell hat sie ihn nicht erwartet. Sie muss ihn bei der Post abholen. Sie schlüpft aus den Gartenschuhen in die Stadtschuhe, zieht sich eine Jacke über. Die Benachrichtigung in der Tasche, fährt sie mit dem Rad zur Post. Ihr kräftiges, weißes Haar gerät durcheinander. Grüß Gott. Die Schalterbeamtin greift zum abgegriffenen Karton und fingert ihren Brief heraus, noch bevor sie den gefalteten Benachrichtigungszettel aus der Tasche nehmen kann. So, sagt die Beamtin und legt den Brief zur Unterschrift vor. So, wiederholt sie automatisch. Keine Fragen, kein neugieriger Blick. Zu oft kommen Briefe vom Gericht, das allein macht noch niemanden verdächtig.

      »Was bist du doch für ein Idiot«, hat sie ihn angeschrien. »Ich plage mich jahrzehntelang, und du machst im Suff alles zunichte. Ich hab dir gesagt, geh nicht mehr zum Stammtisch, der Krallinger ist ein boshafter Mensch. Aber nein, du musst ständig dorthin rennen und unser ganzes Leben zerstören.«

      Ein Wort habe das andere ergeben. Sie hätten über den Tod geredet und dann habe er gesagt, dass er schon tot sei, offiziell zumindest. Das sei aus ihm herausgekommen. In dem Moment habe er gewusst, dass es ein Fehler war. Der Krallinger habe zu bohren begonnen, erst auf lustig und dann sei ihm die Zornesröte ins Gesicht gestiegen und er habe sich furchtbar aufgeregt, dass es keinen Anstand mehr gebe und dass nicht nur die Afrikaner ihn aussaugen wollten, sondern auch die eigenen Leute, und dann sei er volltrunken auf die Polizei gegangen und habe ihn angezeigt.

      Was hätte ich denn tun sollen, fragte er. Sie konnte nicht mehr antworten, ihr Schluchzen erdrückte ihre Stimme. Er versuchte sie zu trösten, dass so eine Anzeige noch nicht bedeute, dass deshalb die ganze Wahrheit ans Licht komme. Es sei einfach eine Anzeige wegen Betrugs und sonst gar nichts. Sie solle sich nicht so aufregen. Das werde schon wieder. Zwei Tage später war er tot.

      Das Begräbnis ist erst in zehn Tagen. Der Pfarrer hat vorher keine Zeit. Er muss drei Orte betreuen und zurzeit wird viel gestorben, sagt er. Und dann sind auch noch zwei Taufen und eine Hochzeit, und die könne man keinesfalls verschieben. Die haben es eilig, sagt er.

      Ich muss mit euch reden, hat sie am Telefon gesagt. Sie zupft an ihrem Pullover, drückt mit der flachen Hand ihre weißen Locken im Nacken nach oben. Anna und Eva sitzen am Küchentisch.

      »Das ist mein Platz«, sagt Eva grinsend und verweist Anna auf die Längsbank. Zwei Kinderseelen im Körper von fast 60jährigen Frauen.

      »Watsche?«, fragt sie ganz wie in alten Zeiten und Anna tut, als ob sie zusammenzucken würde und Angst hätte – genauso wie damals. Eva sieht Anna nicht oft.

      »Da bin ich gespannt«, sagt Anna. »Wahrscheinlich informiert sie uns über das geheim gehaltene Vermögen.«

      »Da würde ich nicht nein sagen«, sagt Eva.

      Anna war sein Liebling. Sie sitzen am Küchentisch und warten. Ihre Mutter verschiebt die Dosen auf der Küchenkredenz um ein paar Zentimeter, wischt mit der bloßen Hand Brösel weg und öffnet die Lade, während sie sagt, dass es ein Problem gibt. Sie holt ihre Brille und einen Brief aus der Schublade.

      »Der ist vom Gericht«, sagt sie.

      Anna schaut sie erschrocken an. »Um was geht’s denn? Ist es wegen dem Erbe vom Onkel?«, fragt sie.

      »Nein. Lies.«

      »Lies laut«, sagt Anna zu Eva.

      Eva überfliegt den Brief »… Staatsanwaltschaft erhebt Anklage … Paragraph 147, Abs. 3 StGB … schweren Betruges begangen … Täuschungshandlung … mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen … Gesamtsumme von fast zwei Millionen Schilling.«

      »Was heißt Paragraph 147?«, fragt Anna.

      »Schwerer Betrug«, sagt Eva und schaut die Mutter an.

      »Schwerer Betrug«, wiederholt sie.

      »Ich verstehe überhaupt nichts.« Annas Stimme bricht. »Das muss doch eine Verwechslung sein, oder?«

      Die Mutter schweigt. Sie ist dünn und alt geworden. Sie hat dunkle Augenhöhlen. Ihre Hand, in der sie die Brille hält, zittert.

      »Was ist passiert?«, fragt Eva.

      »Das Ganze ist doch schon gar nicht mehr wahr. Das ist schon gar nicht mehr wahr! Ich weiß gar nicht, was die jetzt wollen.«

      Eva trinkt einen Schluck Kaffee, schenkt Anna nach. Sie bemerkt es gar nicht.

      »Ich habe zu viel Pension bekommen. Und da sind sie jetzt draufgekommen. Das hätte ich melden müssen«, sagt die Mutter.

      »Was? Und deshalb wollen sie dich einsperren?«, fragt Anna hysterisch.

      »Eingesperrt wird hier niemand«, sagt Eva.

      »Aber wieso bringen sie eine alte Frau vor Gericht? Das gibt’s doch gar nicht. Das müssen sie doch selber kontrollieren, dafür gibt’s doch diese ganzen Beamtenburgen!«

      »Anna, bitte, reg dich nicht so auf«, sagt Eva. Sie spürt, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Sie schaut ihre Mutter an.

      »Das kann ich doch nie im Leben zurückzahlen. Irgendwann war es zu spät, versteht ihr. Irgendwann wusste ich, dass der Geldbetrag schon zu hoch ist, um alles in Ordnung bringen zu können. Wenn ich es gemeldet hätte, wären wir ruiniert gewesen«, sagt sie und ihr Blick bittet um Zustimmung.

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