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war unvermittelt in den Raum gekommen, sofort erkundigte er sich: »Wovon weiß ich nichts?«

      Inge wünschte sich, der Erdboden möge sich auftun, sie verschlingen.

      Inge konnte sich mit nichts entschuldigen. Sie hätte es ihrem Ehemann längst erzählen können. Sie hatte es nicht getan. Diese Situation jetzt war wieder einmal das Resultat einer verpassten Möglichkeit. Die Vergangenheit holte sie ein. Es war wie damals, ein Déjà vù. Es nahm ihr beinahe den Atem. Sie schloss die Augen. Werner und sie hatten niemals den richtigen Zeitpunkt gefunden, Pamela zu erzählen, dass sie adoptiert worden war. Sie waren für ihre Feigheit, für ihre Nachlässigkeit bestraft worden. Etwas, was sie stets verhindern wollten, war eingetreten.

      Pamela hatte es ganz zufällig und ganz nebenbei von klatschsüchtigen fremden Frauen erfahren, dass man sie adoptiert hatte. Pamelas Welt war zusammengebrochen, und das hätte beinahe ihre Familie zerstört.

      Was würde nun passieren? Wie würde Werner reagieren?

      Inge war einfach nicht in der Lage, jetzt etwas zu sagen. Sie dankte dem Himmel, dass ihre Mutter cool genug war, es Werner zu erzählen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, was sich da im Leben seines jüngsten Sohnen ereignet hatte.

      Werner sagte nichts. Er nahm es erst einmal wortlos zur Kenntnis, doch Inge kannte ihren Ehemann lange und gut genug, um zu sehen, wie es in ihm arbeitete.

      Werner rührte den Kaffee nicht an, den Inge vor ihn hingestellt hatte, und den Kuchenteller schob er sogar beiseite. Das war kein gutes Zeichen, das war überhaupt nicht gut, denn Werner liebte Kuchen über alles.

      Bei Teresa war es ganz anders. Die genoss Kaffee und Kuchen. Sah sie nicht, wie durch den Wind Werner war, oder wollte sie es nicht sehen? Anzumerken war ihr nichts.

      Inge brauchte jetzt erst einmal ihren starken schwarzen Kaffee, sonst konnte sie überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. So war es immer bei ihr, obwohl sie längst wusste, dass sie sich da etwas vormachte. Sie warf Werner einen vorsichtigen Blick von der Seite zu.

      Warum sagte er nichts?

      Das jetzt im Raum lastende Schweigen wurde immer schwerer, Inge hatte das Gefühl zu ersticken.

      Warum hatte sie nur so lange geschwiegen?

      Warum hatte sie nicht längst Werner alles erzählt?

      Jetzt hatte sie die Quittung, jetzt holte es sie ein!

      Sie wusste, dass alles, was sie sich jetzt vorwarf, nichts brachte. Es war zu spät. Sie hätte früher den Mund aufmachen müssen!

      Teresa schien nichts von allem bewusst zu sein. Sie trank ihren Kaffee, lobte den Kuchen, von dem sie unbedingt gleich ein Stück für ihren Magnus mitnehmen wollte.

      Vielleicht versuchte Teresa, mit einem derartigen Verhalten so etwas wie Normalität herzustellen. Inge wurde auf jeden Fall das Gefühl nicht los, dass ihre Mutter damit genau das Gegenteil erreichte. Doch das konnte auch nur ihre subjektive Meinung sein.

      Endlich brach Werner das Schweigen!

      »Bei Hannes hat sich grundlegend etwas verändert. Alle waren darüber informiert, bis auf mich. Ich wusste bis eben nichts davon. Habt ihr vergessen, dass ich der Vater bin?« Seine Stimme klang anklagend, auch ein wenig beleidigt. Inge war nicht in der Lage, dazu jetzt etwas zu sagen. Zum Glück rettete ihre Mutter die Situation. Sie und Werner verstanden sich ganz ausgezeichnet. Sie schätzten einander sehr, auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren. Für Teresa war Werner nicht der bekannte, überaus geschätzte Professor Werner Auerbach, sondern er war ihr Schwiegersohn, der Ehemann ihrer einzigen Tochter Inge, vor dem musste sie nicht vor lauter Ehrfurcht versinken. Wenn sie ihm etwas zu sagen hatte, dann tat sie das auch, ohne ein Läppchen vor den Mund zu nehmen.

      »Ja, es ist zutreffend, mein lieber Werner, du bist der Vater«, bestätigte Teresa, »doch du darfst nicht vergessen, dass Hannes volljährig ist. Er kann entscheiden, wem er was sagen will. Er hat sich entschieden, dich zunächst einmal nicht einzuweihen, das zu tun, hat er Inge überlassen.«

      »Und das hielt meine liebe Frau nicht für nötig«, jetzt klang seine Stimme bitter, auch wirklich ein wenig beleidigt. Der Herr Professor war es nicht gewohnt, hintenan gestellt zu werden. Er blickte Inge anklagend an. »Wann hättest du es mir denn erzählt, Inge? Überhaupt nicht? Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich rechtzeitig genug in die Küche gekommen bin, um mitzubekommen, was da hinter meinem Rücken geschieht.«

      Werner gefiel sich in der Rolle des Hintergangenen, und Inge war noch so sehr von ihrem schlechten Gewissen geplagt, dass sie wie gelähmt war.

      Sah Teresa, dass von ihrer Tochter jetzt keine Erklärung kommen würde?

      »Werner, Hannes hat dir nichts gesagt, weil er dich kennt, dich und deine Ansprüche an ihn. Du hättest doch direkt wieder damit angefangen, dass Hannes endlich studieren, eine akademische Laufbahn einschlagen sollte. Das wollte er vermeiden. Hannes muss sich erst einmal sortieren, er muss herausfinden, wie sein Weg weitergehen soll.«

      »Und um das herauszufinden, muss er den Jakobsweg gehen, da kommt ihm die Erleuchtung«, bemerkte Werner. »Du liebe Güte, das ist eine Modeerscheinung. Es ist derzeit chic, den Weg zu laufen, seit so ein Schauspieler oder was auch immer dieser Mann ist, ein Buch darüber geschrieben hat, mit dem er sehr viel Geld verdiente. Und noch verdient, weil es immer neue Auflagen gibt. Um intensiv nachzudenken, da reicht es, um unseren wunderschönen Sternsee zu laufen. Es ist gewiss traurig für Hannes, dass sich der Traum von einem Leben in Australien zerschlagen hat. Vielleicht ist es ja auch überhaupt kein Fluch, sondern ein Segen.

      Hannes hat, weiß Gott, mehr in seinem Kopf, als nur zu tauchen, zu surfen und dieses Surfbrett zu promoten. Mit dem Abitur, das er hingelegt hat, ist viel mehr drin, da ist alles, was er gemacht hat, Perlen vor die Säue geworfen.«

      Inge hatte ihr Tief überwunden!

      Das war wieder einmal typisch Werner!

      »Werner, du hättest dir jetzt mal zuhören müssen, dann könntest du verstehen, warum Hannes nicht wollte, dass du es sofort erfährst. Du siehst Hannes nicht so, wie er wirklich ist, sondern so, wie du ihn gern hättest.«

      Werner Auerbach sprang auf.

      »Was für ein Glück, dass du ihn richtig sehen kannst, Inge. Du bist die Liebste, die Beste, die Person, die für alles Verständnis hat. Weißt du was? Ich fühle mich hintergangen, und ja, ich hätte Hannes die Flausen aus dem Kopf getrieben … Jakobsweg …, was für ein Unsinn. Den geht man vielleicht, wenn man mal eine Auszeit braucht, um sich alles mal anzusehen. Es gibt ja unterwegs wunderbare Kirchen, Bauten, es ist eine abwechslungsreiche Landschaft. Man geht diesen Weg nicht in der Situation, in der Hannes sich befindet. Er hat, verdammt noch mal, genug Zeit verloren. Ja, es ist richtig, was da gesagt wurde. Hannes ist erwachsen, aber er soll sich gefälligst auch wie ein Erwachsener benehmen. Als ich in seinem Alter war, da habe ich …«

      Inge unterbrach ihren Mann.

      »Werner, erspar uns das jetzt. Ja, ja, du warst großartig, du warst der Klügste, der Beste, du warst einzigartig. Doch um dich geht es jetzt nicht.«

      Werner schnappte nach Luft, starrte seine Frau an, dann drehte er sich um, rannte aus der Küche und schlug krachend die Tür hinter sich zu.

      Einem Reflex folgend, wollte Inge ihm nachlaufen, doch ihre Mutter hielt sie zurück.

      »Inge, lass das, Werner wird sich schon wieder beruhigen. Er ist ein lieber, netter Kerl, doch manchmal kann man ihn einfach nicht verstehen.«

      Das stimmte.

      »Mama, aber ich hätte …«

      Teresa unterbrach ihre Tochter.

      »Hätte … hätte. Inge, was soll das, du hast nicht. Jetzt weiß er es, und vielleicht überdenkt dein Göttergatte mal sein Verhalten. Ich will jetzt wirklich nicht hetzen, das weißt du. Werner ist nun mal nicht der Nabel der Welt, auch wenn er sich zuweilen dafür hält. Mach nicht so ein bedröppeltes Gesicht. Ich trinke jetzt noch einen Kaffee

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