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nichts davon erfahren. Kommt sie mir wieder zwischen die Finger, solls ihr schlecht bekommen!«

      Bei diesen Worten legte sie ihr Umschlagetuch ab. Trotzdem er sich sehr in der Gewalt hatte, konnte Rudolf nicht hindern, daß er zusammenfuhr, als er an einer dicken, vergoldeten Halskette, die das Weib trug, einen kleinen heiligen Geist aus Lapis Lazuli an silbernem Ringe hängen sah, der ganz dem von Frau Georges geschilderten glich. – Da schoß Rudolf ein Gedanke durch den Sinn. Von Schuri hatte er gehört, daß der vor einem halben Jahre aus dem Bagno entwichene Verbrecher sich vor der Polizei durch Verunstaltung seines Gesichts gesichert habe, und von Frau Georges hatte er gehört, daß ihr Mann vor einem halben Jahre aus dem Bagno entwichen sei, ohne daß irgend jemand wußte, wohin er sich geflüchtet habe, oder was aus ihm geworden sei. Sollte dieser Bakel der Mann seiner armen Frau Georges sein? Daß dieser Verbrecher zur wohlhabenden Gesellschaftsklasse gehört hatte, stand nach der gewählten Ausdrucksweise, deren er fähig war, nicht wohl zu bezweifeln. Ein Gedanke schloß sich nun an den andern. Rudolf besann sich, daß ihm Frau Georges von dem verzweifelten Widerstande erzählt hatte, den dieser rasende Verbrecher den Polizisten entgegensetzte, als er abgeführt werden sollte, und daß er, dank seiner ungeheuren Körperkraft, fast noch entkommen wäre. Wenn nun Bakel – wie er jetzt unter seinesgleichen genannt wurde – wirklich der Mann von Frau Georges war, dann mußte er doch wissen, was aus seinem und ihrem Kinde geworden! Glücklicherweise fiel es dem Räuber nicht auf, daß Rudolf in sich gekehrt eine lange Weile sitzen blieb, seine Aufmerksamkeit wurde durch das Essen in Anspruch genommen, von dem er die besten Bissen seiner Kameradin auf den Teller legte.

      Nach einer Weile sagte Rudolf zu dieser: »Sie haben da eine wirklich sehr schöne Kette ..« – »Ja, aber unecht, ich behelfe mich mit ihr nur so lange, bis mir mein Mann mal eine echte kaufen kann.« – »Und was ist das für ein kleines blaues Ding dran?« fragte Rudolf weiter. – »Auch, ein Präsent von meinem Manne ..« Rudolf war nun überzeugt, daß er sich auf der rechten Fährte befand, und wartete ängstlich gespannt auf die Antwort des Verbrechers. Der saß aber und ließ sich das Essen schmecken. Erst nach einer Weile sagte er zur Eule: »Das Ding darfst du nicht weggeben, Finette, auch wenn du eine bessere Kette bekommst, ist es doch ein Talisman!« – »Was? Ein Talisman?« fragte Rudolf, scheinbar gleichgültig, »wer glaubt wohl noch an so etwas? Wo, zum Teufel! haben Sie ihn denn aufgestöbert? So etwas bekommt man doch heute kaum noch!« – »Talismane werden freilich nicht mehr gemacht, Herr«, erwiderte der Verbrecher, »aber der, den Sie am Halse meiner Frau sehen, ist von sehr hohem Alter. Um aber auf das Geschäft zu kommen, von dem Sie sprechen, und das also in der Allee des Veuves liegen soll?« – »Ganz recht!« erwiderte Rudolf, »Nr. 17, und bewohnt von einem steinreichen Manne, namens ...«

      »O, ich brauche seinen Namen nicht zu wissen«', erwiderte der Räuber, »aber in einer Stube des Landhauses, sagen Sie, liegen 60 000 Franks in Gold?« – Rudolf nickte. – »Und Sie sind im Haus bekannt?« – Rudolf nickte wieder.

      »Das Haus ist schwer zu erreichen?« – »Nach der Allee des Veuves schließt es eine sieben Fuß hohe Mauer ab, davor liegt ein Garten, und im Erdgeschoße hat es Fenster. Sie sagen, der Schatz werde nur von einem Portier bewacht?« – Rudolf nickte. – »Und wie haben Sie sich den Plan gedacht?« – .Einfach genug. Es wird über die Mauer gestiegen und entweder die Tür gesprengt oder ein Fensterladen aufgebrochen.« – »Und wenn der Pförtner munter wird?« – »Das möchte zu seinem Besten nicht eben sein«, erwiderte Rudolf, »hat der Plan Ihren Beifall?« – »Ehe ich die Gelegenheit nicht mit meiner Alten ausbaldowert habe, kann ich Ihnen, wie Sie wohl einsehen werden, Bescheid nicht geben. Verhält sich aber alles so, wie Sie sagen, nun, dann halte ich es fürs beste, ohne Säumnis an die Arbeit zu gehen, am besten schon heut abend.«

      Der Räuber faßte Rudolf dabei scharf ins Auge... »Heut abend schon?« wiederholte Rudolf, »nein, das ginge nicht. Heut abend bin ich behindert.« – »Wirklich? Nun, und morgen kann ich nicht.« – »Warum?« – »Aus demselben Grunde nicht wie Sie,« sagte der Räuber lachend. –

      Nach einigem Nachdenken versetzte Rudolf: »Nun, mag' es sein, wie Sie wollen, heut abend also! Wir treffen uns, bestimmen Sie nur, wo?« – »Wo?« wiederholte Bakel, »besser schon, wir gehen überhaupt nicht auseinander.« – »Wie meinen Sie das?« – »Was ist da weiter zu meinen? Die Allee des Veuves wird bald öde und verlassen sein. Wir können uns also ganz bequem in der zehnten Stunde dorthin auf den Weg machen.« – »Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich Mißtrauen bei Ihnen in meine Absichten voraussetze.« – »Lassen wir alle Sentimentalität beiseite. Ich will annehmen, daß an Ihrer Mitteilung etwas Wahres ist, und da es ja lohnt, sich um die Hälfte von 60 000 Franks ein bißchen anzustrengen, will ich den Versuch machen. Aber sogleich heute abend oder überhaupt nicht. Wird es nichts, weiß ich, wie ich mit Ihnen daran bin; und Sie dürfen, wenn ich damit schlecht abschneide, sicher drauf rechnen, daß ich mich früher oder später bei Ihnen abfinden werde.« – »Nun, und daß ich Ihnen nichts schuldig bleiben werde, darauf dürfen Sie ebenfalls rechnen.« – »Aber wozu denn all die Reden?« mischte sich die Eule ein; »es ist ja weder gehauen, noch gestochen. Mein Mann hat doch ganz recht. Entweder gleich heut abend oder überhaupt nicht.«

      Rudolf sah sich in die ärgste Verlegenheit gesetzt. Ließ er sich diesen Anlaß, den Mann in seine Gewalt zu bringen, entgehen, so fand sich jedenfalls in absehbarer Zeit kein anderer. Er verließ sich auf den Zufall, auf seine Gewandtheit, Kraft und Unerschrockenheit und sagte zu Bakel: »Gut also, wir bleiben bis zum Abend beisammen. Eine Zigarre gibts doch bei Ihnen?« – »Selbstverständlich,« erwiderte Bakel, »meiner Frau macht ein bißchen Tabaksqualm gar nichts aus.« – »Werden Sie auch genug Zigarren haben?«« fragte Rudolf aufstehend; »ich könnte ja welche holen.« – »Nichts da! Bleiben Sie nur. Das kann meine Frau besorgen.«

      Der Räuber hatte seine Absicht durchschaut, die Frau, ging und Rudolf setzte sich wieder. Beide Hände unter der Bluse versteckend, unterhielt er sich wieder mit dem Räuber und nahm, als er sich unbeobachtet wähnte, einen Bleistift aus der Westentasche und brachte flink ein paar Worte auf einen Zettel. Alles verrichtete er aber unter seiner Bluse. Um den Worten einen gewissen Grad von Deutlichkeit zu wahren, setzte er sie weit auseinander, und nachdem es ihm geglückt war, damit zu stande zu kommen, ohne die Aufmerksamkeit seines Kameraden zu wecken, stand er auf und trat ans Fenster, denn nun galt es, den Zettel seiner Bestimmung zuzuführen. Er begann ein Liedchen zu trällern und an die Scheibe zu trommeln. Bakel trat zu ihm und fragte: »Nun, Kamerad, was ist denn das für eine Melodie?« – »Meine Rose kriegst du nicht!« – »Sehr nette Melodie! Möchte bloß wissen, ob sie anderen auch gefällt. Man siehts ja sofort, wenn sich die Leute umdrehen.«

      Drittes Kapitel. Vorbereitungen.

      Nach wenigen Augenblicken kam die Frau von dem Gange zurück. – Rudolf sagte: »Wie es scheint, hat der Regen nachgelassen. Wie wäre es, wenn wir uns nach einem Wagen selbst bemühten? Man wird ja ganz steif vom Sitzen.« – »Was sagen Sie?« meinte Bakel; »nicht mehr regnen sollte es? Sie sind doch nicht etwa blind geworden?« – Nun, dann wollen wir von der Kellnerin einen Wagen holen lassen«, sagte Rudolf, sich eine Zigarre ansteckend: »hergeholt werden muß einer.« – »Das war das gescheiteste, was Sie bisher gesagt haben«, erwiderte Bakel, »heda, Jungfer!« Und als die Person kam, drückte ihr Rudolf ein paar Sous in die Hand. Im Nu war sie unterwegs, einen Wagen zu holen. Im Wirtshause befand sich auch ein Weinschank. Am Schenktische stand ein Kohlenträger mit geschwärztem Gesicht, den großen Hut über die Augen gedrückt, und bezahlte seine Zeche, als die drei Personen vorbeigingen. Rudolf tauschte, so scharf ihn auch der Räuber überwachte, einen Blick mit Murph aus; er wollte, um auch ein paar Worte mit ihm zu wechseln, zuletzt einsteigen, aber Bakel zwang ihn, gleich hinter dem Weibe sich in den Wagen zu setzen. Leise rief ihm Bakel zu, ob er es durchaus drauf anlegen wolle, sich um alles Vertrauen bei ihm zu bringen, aber der Kohlenträger erschien, ebenfalls ein Lied trällernd, auf der Schwelle der Schenke und warf Rudolf einen verwunderten, fast besorgten Blick nach.

      Der Kutscher fragte, wohin er fahren solle. Rudolf rief laut: »In die Allee des Veu –« ... Aber Bakel fiel ihm ins Wort und überschrie ihn: »Ins Wäldchen, in die Akazienallee!« Dann warf er den Schlag

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