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saß der weit über achtzig Jahre alte Abbé Laporte, der an dem Kirchlein schon seit der Revolution angestellt war. Sein hageres Gesicht war von weißem Haare eingerahmt, das tief auf den Kragen und auf die Soutane niederfiel. Die Hände zitterten ihm, als er sie aufhob, die Eintretenden zu segnen ... »Herr Abbé«, sagte Rudolf, indem er sich tief vor dem Greise verneigte, »Frau Georges will so gut sein, sich des armen Mädchens anzunehmen, und auch Sie, Herr Abbé, möchte ich recht bitten, ihr mit Liebe entgegenzukommen.« – »Auf unsre Liebe hat sie ein Recht wie alle, die sich uns mit Liebe nahen. »Gottes Güte ist unerschöpflich, mein liebes Mädchen, und er hat es Ihnen bewiesen dadurch, daß er Sie in den schmerzlichen Prüfungen, die er über Sie verhängte, nicht verließ, sondern schützend die Hände über Sie hielt. Der edle Mann; der Sie aus Not und Drangsal rettete, hat das Wort der Schrift erfüllt, das da heißt: Der Herr ist nahe denen, die ihn anrufen; er wird die erhören, die ihn fürchten; er wird ihre Stimme erhören und sie erretten. – Auch an Frau Georges werden Sie ein Beispiel Seiner Güte vor Augen haben, und in mir jederzeit einen willigen Ratgeber. So wird der Herr in Seiner Güte sein Werk vollenden.«

      »Und ich werde«, sagte Marie, »zu Ihm beten für die, welche Mitleid mit mir gehabt und mich wieder zu Ihm geführt haben, mein Vater«, sagte Marie, mit einer fast unwillkürlichen Bewegung vor dem Geistlichen auf die Kniee sinkend. – »Und nun leben Sie Wohl, Marie«, sagte Rudolf, ihr ein goldenes Kreuz an schwarzem Samtbande gebend; dann setzte er hinzu: »Nehmen Sie das kleine Kreuz zum Andenken an mich! Ich habe heut morgen den Tag Ihrer Befreiung und Erlösung eingravieren lassen – es wird ja nicht lange dauern, bis ich wieder herkomme ...« Murph öffnete, während Marie das Kreuz inbrünstig an die Lippen drückte, die Tür und meldete, daß die Pferde angespannt seien ... »Leben Sie Wohl, mein Vater«, sagte Rudolf zu dem Abbé, »leben Sie Wohl, meine gute Frau Georges! Ich lege Ihnen Marien ans Herz ... Und Sie, Marie! Noch einmal lebewohl!«

      Zweites Kapitel. Die Zusammenkunft.

      Tags darauf befand sich Rudolf, noch immer in Handwerkertracht, Punkt 12 Uhr vor der Tür des Wirtshauses »Zum Bienenkörbe«, unweit vom Tore von Bercy. Abends vorher hatte Schuri sich an dem ihm von Rudolf bezeichneten Orte eingefunden. Um Mittag herum goß es in Strömen. Rudolf sah von Zeit zu Zeit ungeduldig nach dem Tore hin. Endlich sah er in der Ferne einen Mann mit einem Weibe kommen, in denen er, trotzdem sie durch einen Schirm beschattet wurden, Bakel und die Eule erkannte. Als sie näher kamen, erkannte er weiter, daß mit beiden Personen eine völlige Umwandlung vorgegangen war: der Räuber trug jetzt nicht mehr seine ärmliche Kleidung, sondern ging in langem, grünem Rock, mit blendend weißem Halstuch über einem saubern Hemd, und hatte einen braunen runden Hut auf dem Kopfe. Das Weib hatte einen großen Schal um und eine weiße Haube auf. In der Hand hielt sie einen Strickbeutel. Wären nicht beide so schrecklich anzusehen gewesen, der Mann mit dem von Vitriol verbrannten Gesicht und das Weib mit ihrem einen Auge, so hätte man sie recht gut für ehrsame Bürgersleute halten können.

      Der Regen hatte momentan ausgesetzt. Rudolf ging, seinen Abscheu überwindend, dem häßlichen Paare ein paar Schritte entgegen. Bakel sprach jetzt nicht mehr Rotwelsch, sondern ein elegantes Französisch, das sich um so befremdlicher anhörte, als es einen Mann von guter Bildung verriet und von dem Wesen eines Verbrechers, als den Rudolf den Mann gestern gesehen, grell abstach. Rudolf wurde, als er Bakel gegenübertrat, mit einem tiefen Bückling von ihm begrüßt, während das Weib heuchlerisch knickste.

      »Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Bakel, »oder vielmehr aufzufrischen«, setzte er hinzu; »aber wichtige Dinge sinds, die uns jetzt zusammenführen. Gestern abend gegen elf Uhr habe ich den Schuri in der Kaschemme gesehen und herbestellt, falls er Lust haben sollte, es mit uns zu halten; es scheint ihm aber nicht sonderlich viel daran zu liegen.« – »Sie wollen die Sache also in die Hand nehmen?« – »Jawohl, falls Sie... aber wie heißen Sie eigentlich, Herr ...« – »Rudolf ist mein Name.« – »Also, Herr Rudolf«, sagte Bakel, »wir wollen uns in die Kneipe setzen, denn ich habe noch nichts zum Frühstück gegessen und meine Frau ebensowenig. Während wir essen, läßt sich ja von den Geschäften reden.« – »Meinetwegen.« – »Nun, Entschädigung müßten Sie uns eigentlich geben«, begann der Mann, »denn Sie sind doch schuld, daß wir Zweitausend Franks eingebüßt haben. Meine Frau hatte mit dem Langen, der zuletzt in der Kaschemme nach Ihnen fragte, eine Zusammenkunft in Saint-Quen verabredet. Er wollte uns, wenn wir Arbeit für ihn verrichten wollten, zweitausend Franks auszahlen. Schuri hat mir einigermaßen erklärt, wie sich die Sache verhält; aber, Finette«, sagte der Räuber zu dem Weibe, »geh doch immer voraus und bestelle uns einen Imbiß. Wir kommen gleich nach.« Zu Rudolf gewandt, fuhr er fort: »Außerdem sollten uns 500 Franks für eine Brieftasche verabfolgt werden, wenn wir sie wieder aushändigen wollten. Aber das haben wir uns anders überlegt, nachdem wir gesehen haben, daß die Papiere mehr wert zu sein scheinen, und werden die Brieftasche nicht wieder herausrücken.« – Bei diesen Worten klopfte er auf die Brusttasche seines Rockes.

      Rudolf war sehr froh, daß der Mann die Papiere noch bei sich hatte, die ihm erst zwei Tage vorher von Tom geraubt worden waren und die für ihn von sehr hohem Werte waren. Der Auftrag, den er Schuri gegeben, hatte keinen andern Zweck gehabt, als ihn dem Weibe fern zu halten. Auf diese Weise hatte er darauf gerechnet, die Brieftasche sich wieder anzueignen. – »Wir können zusammen ein Geschäft machen,« sagte er, »wenn es Ihnen recht ist. Ich kaufe Ihnen, wenn uns der Anschlag glückt, die Brieftasche ab. Die Papiere, die darin liegen, werden mir, da ich dem Eigentümer nicht fremd bin, mehr nützen als Ihnen. Ich hatte Schuri eine ganz nette Sache vorgeschlagen. Zuerst schien es ihm nicht recht zu sein. Nachher hat er sich aber anders besonnen, indem er mir riet, mich an Sie zu wenden.« – »Ich möchte nicht neugierig erscheinen, anderseits doch aber gern wissen, warum Sie gestern früh mit Schuri eine Begegnung hatten, und was ihn veranlaßt hat, mit der Eule zu reden. Er war verlegen und nicht im stande, mir eine klare, bestimmte Auskunft zu geben.«

      Rudolf fand nach einigem Besinnen zum Glück eine halbwegs wahrscheinliche Mär, die Schuris Ungeschick erklären konnte ... »Die Sache verhält sich so«, sagte er; »mir gefiel die Sache, die ich im Sinne hatte, deshalb, weil sich der fragliche Hausherr zurzeit in Paris befindet, und vorderhand nicht zu befürchten stand, daß er aufs Land zurückkehren werde. Es wäre draußen in Pierrefitte. Meine Cousine dient bei dem Herrn; sie sagte mir, es lägen etwa 60 000 Franks in Gold draußen in Pierrefitte.« – »Und Sie wissen dort Bescheid?« – »Wie bei mir selber. Der Portier ist wohl ein kräftiger Mann. Ich redete mit Schuri, wie gesagt; zuerst war er ganz dabei, dann wollte er nicht mehr; aber einer von denen, die ihre Kameraden verraten, ist er keinesfalls.« – »Nein. Schuri ist ein ehrlicher Kerl. Er hält unbedingt seinen Mund. Aber – da sind wir an Ort und Stelle.«

      Rudolf wollte den Räuber vorausgehen lassen, hatte wohl auch gute Gründe dazu. Bakel wehrte sich aber so sehr dagegen, daß Rudolf schließlich in die Schenke vorausgehen mußte. Bakel klopfte, ehe er sich setzte, die Wände ab, um sich von ihrer Dicke zu überzeugen ... »Es wird notwendig sein, leise miteinander zu sprechen,« sagte er, »es ist keine dicke Wand vorhanden.«

      Eine Aufwärterin brachte das bestellte Frühstück. Der Räuber setzte sich, als sie gegangen war, so neben Rudolf, daß es ihm nicht möglich war, anders als an dem Räuber vorbei die Tür zu gewinnen... »Ich merke, Sie wollen mich am Hinausgehen verhindern?« sagte Rudolf kaltblütig. – Bakel nickte. Dann zog er aus der Rocktasche einen langen Dolch, der in einen Holzgriff gefaßt war ... »Bloß vorsichtshalber,« sagte er, die Brauen zusammenkneifend. – Rudolf seinerseits griff kaltblütig unter seine Bluse und zog einen Revolver hervor, den er Bakel unter die Augen hielt und dann wieder unter der Bluse verschwinden ließ. – »Ich sehe«, sagte der Räuber, »wir passen zueinander, aber so recht verstehen Sie mich noch immer nicht. Sollte mir die Polizei an den Kragen kommen wollen, so würde ich, ob ich Ihnen den Besuch zu verdanken hätte oder nicht, Ihnen ohne Besinnen dies Eisen zwischen die Rippen jagen.« – »Und ich würde dir gewiß nicht bloß zusehen«, sagte die Eule. – Rudolf zuckte die Achseln, goß sich ein Glas voll Wein und trank es auf einen Schluck aus ... »Stecken Sie nur Ihr Käsemesser wieder zu sich«, sagte er lachend, »hier gibts kein Huhn zu spicken, auch keinen Hasen. Sie finden an mir schon

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