Скачать книгу

die in ihrem ganzen Liebesleben niemals die leidenschaftliche Sprache der Romane vernommen hatte, blieb wie gebannt zurück, aber mit einem Gefühl des Glücks und mit pochendem Herzen, und sie sagte sich, dass es sehr schwer sei, sich einem solchen Einfluss zu entziehen. Zum erstenmal hatte Theodosius ein neues Beinkleid angelegt, grauseidene Strümpfe und Escarpins, eine schwarzseidene Weste und eine schwarze Atlaskrawatte, in deren Knoten eine geschmackvoll gewählte Nadel glänzte. Er trug einen neuen modernen Rock und gelbe Handschuhe unter den weißen Manschetten; er war der einzige Mann mit guten Manieren und Haltung in diesem Salon, den die Gäste inzwischen unmerklich gefüllt hatten. Frau Pron, eine geborene Barniol, war mit zwei siebzehnjährigen Pensionärinnen erschienen, die ihrer mütterlichen Sorgfalt von Familien anvertraut waren, die in Bourbon und Martinique wohnten. Herr Pron, Professor der Rhetorik an einer von Geistlichen geleiteten Schule, gehörte zu der Klasse der Phellions; aber anstatt sich in oberflächlichen Phrasen und Erklärungen zu ergehen und immer als Vorbild zu glänzen, war er ein trockener Prinzipienmensch. Herr und Frau Pron, der Glanz des Salons Phellion, hatten ihren Empfangstag Montags; sie waren durch Barniols sehr eng mit den Phellions befreundet. Trotzdem er Professor war, tanzte der kleine Pron noch. Der gute Ruf des Instituts Lagrave, mit dem Herr und Frau Phellion zwanzig Jahre lang verbunden gewesen waren, war unter der Leitung des Fräuleins Barniol, der gewandtesten und ältesten der stellvertretenden Vorsteherinnen, noch gewachsen. Herr Pron hatte in dem Bezirk, der vom Boulevard Mont-Parnasse, dem Luxembourg und der Rue de Sèvres begrenzt wird, großen Einfluss. Sobald daher Phellion seinen Freund erblickte, nahm er ihn aus eigenem Antrieb unter den Arm, um ihn in einem Winkel in die Verschwörung Thuillier einzuweihen; nach einer Unterhaltung von zehn Minuten holten sie Thuillier, und die Fensternische, die sich gegenüber derjenigen befand, in der Flavia ihren Gedanken nachhing, vernahm eine Diskussion zu dritt, die der der drei Schweizer im »Wilhelm Tell« sicher nicht nachstand. »Sehen Sie nur,« sagte Theodosius, der wieder zu Flavia hingegangen war, »wie der ehrenwerte fleckenlose Phellion intrigiert! ... Geben Sie einem ehrlichen Mann einen zureichenden Grund an die Hand, und er wird sich ganz unbedenklich auf die unsaubersten Machenschaften einlassen; jetzt holt er sich den kleinen Pron zur Hilfe, und Pron wird mit ihm Schritt halten, alles im Interesse von Felix Phellion, der jetzt dort Ihre kleine Celeste belagert ... Gehen Sie doch hin und trennen Sie die beiden ... Sie stecken schon seit zehn Minuten zusammen, und der junge Minard umkreist sie wie eine wütende Bulldogge.«

      Felix, noch tief bewegt von der edelmütigen Herzensregung Celestes, an die, außer Frau Thuillier, niemand mehr dachte, hatte in seiner Harmlosigkeit einen genialen Einfall, wie ihn die ehrliche Schlauheit echter Liebe erzeugt; aber er war kein Mann der Form; die Mathematik machte ihn, zerstreut. Er begab sich zur Frau Thuillier, da er sich dachte, dass Frau Thuillier Celeste an sich ziehen würde. Diese kluge Erwägung, die nicht auf tiefer Berechnung beruhte, war für Felix um so erfolgreicher, als der Advokat Minard, der Celeste nur ihrer Mitgift wegen begehrte, nicht gleich einen so glücklichen Gedanken hatte, und seinen Kaffee in Gesellschaft von Laudigeois, Barniol und Dutocq trank, die er im Auftrage seines Vaters, der mit einer Neuwahl der Kammer von 1842 rechnete, in eine politische Unterhaltung verwickelt hatte.

      »Wer müsste Celeste nicht lieb haben!« sagte Felix zu Frau Thuillier.

      »Das arme, liebe Kind, sie ist die Einzige auf der Welt, die mich lieb hat!« sagte die Sklavin, während sie ihre Tränen zurückhielt.

      »Oh, nein, gnädige Frau, wir haben Sie doch, beide lieb!« erwiderte der Unschuldige lachend.

      »Wovon sprechen Sie denn hier?« fragte Celeste, die zu ihrer Patin gekommen war.

      »Mein Kind,« entgegnete das fromme Opferlamm, zog ihr Patenkind an sich und küsste es auf die Stirn, »er sagt, dass ihr beide mich lieb habt.«

      »Seien Sie mir ob dieser Anmaßung nicht böse, mein Fräulein!« sagte der zukünftige Kandidat der Akademie der Wissenschaften leise, »und lassen Sie mich alles tun, um diese Absicht zu verwirklichen! ... Sehen Sie, ich bin nun einmal so, dass mich Ungerechtigkeit in tiefe Erregung versetzt! ... Ach, wie recht hat der Heiland gehabt, wenn er das Himmelreich den Sanftmütigen und den unschuldigen Lämmern verhieß! ... Wer Sie vorher nur geliebt hat, Celeste, der muss Sie um Ihrer edelmütigen Herzensregung bei Tische willen anbeten! Aber einen Märtyrer vermag eben nur die Unschuld zu trösten! ... Sie sind ein gütiges junges Mädchen, und Sie werden einmal als Frau der Stolz und das Glück Ihrer Familie werden. Glücklich der, der Ihr Gefallen erringen wird!«

      »Aber liebste Patin, was sieht denn Herr Felix nur an mir? ...«

      »Er weiß dich zu würdigen, mein Engel, und ich werde für Euch zu Gott beten ...«

      »Wenn Sie wüssten, wie glücklich ich bin, dass mein Vater Herrn Thuillier einen Dienst erweisen kann ... und wie gern ich Ihrem Bruder nützlich sein möchte! ...«

      »Also,« sagte Celeste, »haben Sie wohl die ganze Familie lieb?«

      »Aber gewiss«, erwiderte Felix.

      Die echte Liebe versteckt sich immer hinter dem Geheimnis der Schamhaftigkeit, selbst in ihrem Ausdruck, denn sie gibt sich schon von selbst zu erkennen; sie hält es nicht für nötig, wie die unechte Liebe, einen Brand zu entfachen, und wenn ein Beobachter in den Salon Thuillier hätte hineinblicken können, so würde er über den Vergleich der umfangreichen Vorbereitung, die Theodosius getroffen hatte, mit dem einfachen Vorgehen Felix' ein Buch schreiben können: Der eine repräsentierte die Natur, der andere die Gesellschaft; das Wahre und das Falsche standen einander gegenüber. Als sie bemerkte, wie ihrer entzückten Tochter die Glückseligkeit vom Gesichte abzulesen war, und wie das junge Mädchen von dem Gefühl, eine unausgesprochene Liebeserklärung verstehen zu können, verschönert wurde, fühlte Flavia einen Stich des Neides im Herzen; sie begab sich zu Celeste und sagte leise zu ihr:

      »Du benimmst dich nicht passend, mein Kind, alle Leute sind auf dich aufmerksam geworden, und es ist kompromittierend, wenn du dich so lange Zeit mit Herrn Felix allein unterhältst, ohne dass du weißt, ob wir das billigen.«

      »Aber, Mama, meine Patin war doch zugegen.«

      »Ach, entschuldigen Sie, liebe Freundin,« sagte Frau Colleville, »ich hatte Sie garnicht bemerkt ...«

      »Sie machen es wie alle Welt«, entgegnete dieser heilige Johannes Chrysostomos.

      Dieses Wort traf Frau Colleville wie ein Pfeil mit einem Widerhaken; sie warf auf Felix einen Blick von oben herab und sagte zu Celeste: »Komm, setz dich hierher, mein Kind«, setzte sich selbst neben Frau Thuillier und wies ihrer Tochter einen Platz neben sich an.

      »Und wenn ich mich totarbeiten soll,« sagte Felix zu Frau Thuillier, »ich muss Mitglied der Akademie der Wissenschaften werden, und ich werde auch irgendeine wichtige Entdeckung machen, damit ich ihre Hand auf Grund meiner Berühmtheit erhalte.«

      »Ach,« sagte die arme Frau zu sich, »ich hätte solch einen stillen und freundlichen Gelehrten haben müssen; wie er ist! ... Dann hätte ich mich bei einem solchen Leben im Schatten in Ruhe entwickeln können ... Du hast das nicht gewollt, lieber Gott; aber füge wenigstens diese beiden Kinder zusammen und beschütze sie! Sie sind eins für das andere geschaffen.«

      Und sie blieb in Nachdenken versunken, während sie den Höllenlärm mit anhörte, den ihre Schwägerin, dieses richtige Arbeitspferd, machte, die mit Hilfe der beiden Dienstboten den Tisch abdeckte, alles aus dem Speisezimmer herausräumte, damit die Tänzer und Tänzerinnen Platz hätten, und wie ein Kapitän auf der Kommandobrücke, der sich zum Kampfe anschickt, brüllte: »Ist noch genug Johannisbeersaft da? Es muss noch Mandelmilch besorgt werden«; oder: »das sind nicht genug Gläser und zu wenig Wein mit Wasser; nehmt die sechs Flaschen Landwein dazu, die ich eben heraufgeholt habe. Passt aber auf, dass Coffinet, der Portier, sich keine nimmt! ... Karoline, du bleibst am Büfett ... Wenn um ein Uhr noch getanzt wird, gibts noch Schinkenbrötchen. Aber dass mir nichts unnütz verschwendet wird! Pass ordentlich auf. Gebt mir den Besen her und sorgt, dass die Lampen gefüllt sind, und dass mir ja nichts zerbrochen wird. Was vom Nachtisch übriggeblieben ist, müsst ihr etwas zurechtmachen und aufs Büfett stellen ... Ob meine Schwägerin wohl daran denkt, ein bisschen zu helfen! Ich weiß nicht, was sie sich denkt, die Schlafmütze! ... Mein Gott, wie langsam sie ist! ... Nehmt

Скачать книгу