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hatte sich in faden Schmeicheleien erschöpft, aber der Provenzale hatte mit einem verständnisvollen Blick tausendmal mehr gesagt.

      Von einem Sonntag zum andern hatte Flavia auf eine Erklärung gewartet; sie sagte sich:

      »Er weiß, dass ich nichts habe, und er selbst besitzt keinen Heller! Vielleicht ist er wirklich fromm.«

      Theodosius wollte nichts überstürzen, und wie ein geschickter Musiker hatte er sich die Stelle seiner Partitur angestrichen, wo er das Zeichen zum vollen Einsatz geben wollte. Als er merkte, dass Colleville ihn bei Thuillier verdächtigte, hatte er, nach geschickter Vorbereitung während drei bis vier Monaten, die er auf das Studium Flavias verwandt hatte, seine Ladung abgeschossen, und es war ihm damit ebenso geglückt, wie am Morgen mit Thuillier.

      Als er sich zu Bett legte, sagte er sich:

      »Die Frau habe ich gewonnen, der Mann kann mich nicht leiden; jetzt, in diesem Augenblick werden sie sich zanken, aber ich werde der Stärkere sein, denn sie macht mit ihrem Manne, was sie will.«

      Darin hatte sich der Provenzale allerdings getäuscht, denn es hatte nicht den geringsten Streit gegeben, und während er das zu sich sagte, schlief Colleville bereits neben seiner kleinen, süßen Flavia, welche dachte: ›Theodosius ist ein überlegener Mensch.‹

      Bei vielen Männern wird ebenso wie bei la Peyrade, die Überlegenheit durch die Kühnheit oder die Schwierigkeit des Unternehmens erzeugt; die Anstrengungen, die sie machen, straffen ihre Muskeln, und sie verbrauchen außerordentlich viel Kraft; dann, nach dem Erfolge oder dem Misslingen, ist alle Welt erstaunt, sie klein, elend oder erschöpft zu sehen. Nachdem er den beiden Personen, von denen das Geschick Celestes abhing, eine Wissbegierde eingeimpft hatte, die fieberhaft werden musste, spielte Theodosius den Beschäftigten: fünf bis sechs Tage hindurch war er von früh bis abends abwesend, so dass er Flavia erst dann wiedersah, als ihre Begierde einen Höhepunkt erreicht hatte, wo man alle Schicklichkeit beiseite setzt, und dass er den alten Beau zwang, zu ihm zu kommen.

      Am nächsten Sonntag war er ziemlich sicher, Frau Colleville in der Kirche zu finden; sie traten auch beide in demselben Augenblick heraus, trafen sich in der Rue des Deux-Eglises, und Theodosius bot Flavia den Arm, die ihn auch annahm und ihre Tochter mit ihrem Bruder Anatole vorausgehen ließ. Dieses jüngste Kind, das jetzt zwölf Jahre alt war, sollte in das Seminar eintreten und war in Barniols Institut in Halbpension, wo es den Elementarunterricht erhielt, und der Schwiegersohn Phellions hatte natürlich den Preis für die Halbpension mit Rücksicht auf die erhoffte Verbindung zwischen Phellion und Celeste ermäßigt.

      »Haben Sie mir die Ehre und die Gunst erwiesen, über das, was ich Ihnen neulich so unbeholfen sagte, nachzudenken?« fragte der Advokat mit einschmeichelndem Ton die hübsche Fromme und drückte ihren Arm ebenso zärtlich wie stark an sein Herz, denn er schien sich zu bezwingen, um im Widerstreit mit seinem Empfinden respektvoll zu erscheinen. »Täuschen Sie sich nicht über meine Absichten«, fuhr er fort, als Frau Colleville ihm einen Blick zuwarf, wie ihn die Frauen, die die hohe Schule der Leidenschaft durchgemacht haben, zu schleudern verstehen, und dessen Ausdruck ebensogut eine strenge Zurückweisung wie eine geheime Übereinstimmung der Gefühle bedeuten kann. »Ich liebe Sie, wie man ein schönes Wesen liebt, das im Kampf mit dem Unglück steht; die christliche Nächstenliebe umfasst die Starken wie die Schwachen, und ihr Schatz gehört allen. Zart, reizend, elegant wie Sie sind, geschaffen, die Zierde der vornehmsten Gesellschaft zu sein, welcher Mann kann Sie anschauen ohne das tiefste Mitgefühl im Herzen, dass Sie unter diesen widerwärtigen Kleinbürgern leben müssen, die nichts von Ihnen verstehen, nicht einmal den aristokratischen Reiz einer Ihrer Haltungen oder eines Ihrer Blicke oder eines der einschmeichelnden Laute Ihrer Stimme! Ach ... wenn ich reich wäre! Ach, wenn ich Einfluss hätte! Ihr Mann, der gewiss ein guter Kerl ist, müsste Generalsteuereinnehmer werden, und Sie würden ihn dann zum Deputierten machen! Aber ich, ein armer Ehrgeiziger, dessen erste Pflicht ist, seinen Ehrgeiz zu zügeln, da ich die letzte Nummer in dem Beutel der Familienlotterie bin, ich kann Ihnen nur meinen Arm anbieten, nicht mein Herz. Ich erhoffe alles für mich von einer reichen Heirat, und seien Sie überzeugt, dass ich meine Frau nicht nur glücklich, sondern zu eine der ersten Frauen des Landes machen würde, wenn sie mir die Mittel gewährte, vorwärts zu kommen ... – Es ist schönes Wetter, machen wir einen Spaziergang durch den Luxembourgpark«, fuhr er fort, als sie an die Rue d'Enfer gelangt waren, an die Ecke des Hauses der Frau Colleville, dem gegenüber ein Durchgang nach dem Garten über die Treppe eines kleinen Hauses führt, dem letzten Rest des berühmten Karthäuserklosters.

      Das Anschmiegen des Armes, der auf seinem lag, verkündete ihm das stillschweigende Einverständnis Flavias, und da sie es verdiente, dass er ihr die Ehre eines gewissen Zwanges erwies, so zog er sie schnell mit sich fort, indem er hinzufügte:

      »Kommen Sie! Wir werden nicht immer einen so günstigen Moment abpassen können. Oh,« sagte er »Ihr Mann hat uns gesehen, er steht am Fenster; gehen wir langsamer ...«

      »Sie haben von Herrn Colleville nichts zu befürchten,« sagte Flavia lächelnd, »er lässt mir vollkommene Freiheit in allem, was ich tue.«

      »Ach, Sie sind wirklich die Frau, von der ich immer geträumt habe«, rief der Provenzale mit einer Ekstase und einer Betonung aus, wie sie Seelen in Brand setzen und nur aus dem Munde eines Südländers laut werden können. »Verzeihung, gnädige Frau«, sagte er, indem er sich besann und aus einer höheren Welt zu dem vertriebenen Engel zurückzukehren schien, den er mit frommen Blicken ansah; »Verzeihung, ich muss wieder auf das, was ich sagte, zurückkommen ... Aber, wie soll man kein Mitgefühl mit Schmerzen haben, die man selber empfindet, wenn man sieht, dass sie das Schicksal eines Wesens sind, dem das Leben nur Freude und Glück bescheren dürfte! ... Sie erdulden dasselbe wie ich, ich bin ebensowenig an meinem Platze wie Sie an dem Ihrigen: das gleiche Schicksal macht uns zu Bruder und Schwester! Ach, meine teure Flavia, der erste Tag, an dem es mir vergönnt war, Sie zu erblicken, das war der letzte Sonntag des Septembers i838 ... Sie waren so schön; ich werde Sie immer vor mir sehen, in diesem einfachen Mousselinedelaine-Kleide mit der Garnitur des Tartans irgendeines schottischen Clans! ... An diesem Tage habe ich mich gefragt: ›Was will diese Frau bei den Thuilliers, und vor allem, warum hat sie ein Verhältnis mit einem Menschen wie Thuillier gehabt?‹«

      »Mein Herr!« ... sagte Flavia, erschreckt über die Wendung, die der Provenzale plötzlich dem Gespräche gab.

      »Oh, ich weiß alles!« rief er achselzuckend aus; »Und mir ist auch alles erklärlich ... und ich achte Sie deshalb nicht geringer. Lassen Sie gut sein, Hässliche und Bucklige begehen solche Sünden nicht ... Sie aber, Sie müssen auch den Nutzen aus Ihrem Fehltritt ziehen können, und dabei will ich Ihnen helfen! Celeste wird einmal sehr reich sein, und auf dieser Grundlage ruht Ihre ganze Zukunft; Sie können nur einen Schwiegersohn haben, seien Sie klug genug, ihn richtig auszuwählen. Ein Ehrgeiziger würde es zum Minister bringen können, aber er würde Sie demütigen, Sie schikanieren und Ihre Tochter unglücklich machen; und verliert er sein Vermögen, dann wird er sicher kein neues erwerben. Ja, gewiss, ich liebe Sie mit grenzenloser Zuneigung; Sie sind über der Masse kleinlicher Bedenken, über die die Dummköpfe stolpern, erhaben. Verstehen wir uns. ..«

      Flavia war verblüfft; aber sie hatte trotzdem Verständnis für die ungewöhnliche Freimütigkeit dieser Sprache und sagte sich: ›Er hält nicht hinterm Berge mit seiner Ansicht! ...‹ Aber sie musste sich gestehen, dass sie noch niemals von jemandem so tief in Erregung versetzt worden war wie von diesem jungen Manne.

      »Ich begreife nicht, Herr de la Peyrade, woher Sie diese irrige Ansicht über meine Vergangenheit haben, und mit welchem Rechte Sie ...

      »Oh, Verzeihung, gnädige Frau,« unterbrach sie der Provenzale so kühl, dass es fast verächtlich klang, »ich habe geträumt. Ich habe mir gesagt: ›Alles dies ist sie‹, aber ich sehe, ich stoße auf Vorurteile. Ich weiß jetzt, warum Sie für immer in Ihrem vierten Stock dort oben in der Rue d'Enfer bleiben werden.«

      Und er begleitete diese Worte mit einer energischen Handbewegung, indem er auf die Fenster der Collevilleschen Wohnung zeigte, die man von der Allee des Luxembourgparks, in der sie allein waren, sehen konnte, dieses riesigen Ackerfeldes, das schon von so vielen jungen ehrgeizigen Menschen bebaut worden war.

      »Ich

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