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meine Hand.

      »Sollen wir nach Hause gehen und eine Partie Tricktrack spielen?« fragte ich ihn. »Das Klappern der Würfel wird Sie daran hindern, Glocken, zu hören.«

      Wir kehrten nach Clochegourde zurück. Kaum dass wir einige Worte wechselten: der Comte beklagte sich über heftige Schmerzen, ohne sie näher zu bestimmen. Als wir im Salon beisammensaßen, herrschte eine unerklärlich beklommene Stimmung. Der Comte saß in einen Sessel vergraben, versunken in tiefes Nachdenken, das seine Frau nicht stören wollte; denn sie verstand sich auf die Symptome der Krankheit und sah die Anfälle voraus. Ich tat wie sie und schwieg. Da sie mich nicht bat, fortzugehen, glaubte sie vielleicht, das Tricktrackspiel würde den Comte erheitern und seine unselige nervöse Reizbarkeit vertreiben; deren Ausbrüche sie zu Tode quälten. – Nichts war schwieriger, als den Comte zu diesem Spiel zu bewegen, das er doch immer mit Vorliebe spielte. Einem eitlen Dämchen gleich wollte er gebeten sein, wollte sich nötigen lassen, damit es nicht aussehe, als tue man ihm einen Gefallen, vielleicht gerade, weil es sich so verhielt. Wenn ich im Eifer einer anregenden Unterhaltung einen Augenblick meine demütige Pose vergaß, so wurde er mürrisch, schroff, beleidigend, ärgerte sich über die Unterhaltung und widersprach allem, was man sagte. Wenn ich durch seine schlechte Laune so gewarnt war, schlug ich ihm ein Spielchen vor. Er zierte sich – erstens sei es zu spät, meinte er, und zweitens liege mir ja doch nichts daran. Kurzum, er zierte und wand sich wie eine Frau, bei der man schließlich nicht mehr weiß, was sie will. Ich demütigte mich und flehte ihn an, mich nicht eine Kunst vergessen zu lassen, in der man so leicht aus der Übung kommt, – Diesmal bedurfte es einer ausgelassenen Heiterkeit, um ihn zum Spielen zu bringen. Er beklagte sich über Schwindelanfälle, die ihn am Rechnen hinderten, sein Schädel sei wie in einen Schraubstock gespannt, er höre schrille Töne ... Dabei atmete er schwer und stieß tiefe Seufzer aus. Endlich gab er nach und setzte sich zurecht. Madame de Mortsauf verließ uns, um die Kinder zu Bett zu bringen und die Dienstboten ans Abendgebet zu erinnern. Solange sie fort war, ging alles gut. Ich richtete mich so ein, dass Monsieur de Mortsauf gewann; und bald hatte sein Glück ihm die Stirn geglättet. Der plötzliche Übergang von einer Schwermut, die ihn die düstersten Prophezeiungen ausstoßen ließ, zu dieser trunkenen Freude, zu diesem ausgelassenen und fast sinnlosen Gelächter beunruhigte mich. Es überlief mich eisig. Ich hatte ihn nie in einem so unzweideutigen Anfall gesehen. Unsere engen Beziehungen hätten ihre Frucht getragen, er nahm sich vor mir nicht mehr zusammen. Jeden Tag versuchte er mehr, mich seiner Tyrannei zu unterwerfen und mich immer von neuem zum Opfer seiner Launen zu machen. Es scheint eben, als seien geistige Krankheiten Geschöpfe, die ihre Begierden und ihre Instinkte haben, die ihre Macht ausdehnen wollen, wie ein Gutsbesitzer darauf aus ist, sein Land zu vergrößern. – Die Comtesse kam herunter, setzte sich an den Spieltisch, um beim Sticken besser zu sehen. Aber sie konnte ihre Furcht nur schlecht verhehlen. Ein verhängnisvoller Zug, den ich nicht hindern konnte, änderte den Gesichtsausdruck des Comte. War er heiter gewesen, so wurde er jetzt finster; vorhin noch hochrot, wurde er jetzt gelb; seine Augen flackerten. Und dann geschah ein letztes Unglück, das ich weder ahnen noch abwenden konnte. Monsieur de Mortsauf tat einen für ihn verhängnisvollen Wurf, der sein Geschick entschied. Alsbald sprang er auf, stieß mit dem Spieltisch nach mir, warf die Lampe auf die Erde, schlug mit der Faust auf die Konsole und raste durch den Salon – ›gehen‹ wäre kein Wort dafür. Der Sturzbach von Beleidigungen, Verwünschungen, unflätigen Anreden, unzusammenhängenden Sätzen, der aus seinem Munde drang, hätte die Vorstellung erwecken können, als sei ich nach mittelalterlichem Brauch etwa sein Leibeigener. Was sollte ich tun?

      »Gehen Sie in den Garten!« sagte sie und drückte mir die Hand.

      Ich verließ das Zimmer, ohne dass der Comte mich bemerkte. Von der Terrasse aus, wohin ich langsamen Schrittes gegangen war, hörte ich seine laute Stimme und sein Ächzen, das aus der Stube neben dem Esszimmer drang. Durch den Sturm hindurch vernahm ich auch die Stimme des Engels, die von Zeit zu Zeit ertönte wie Nachtigallengesang nach Regenschauern. Ich ging unter den Akazien auf und ab, in einer wundervollen Spätaugustnacht, und wartete auf die Comtesse. Sie würde kommen, irgendeine ihrer Bewegungen hatte es mir versprochen.

      Seit einigen Tagen lag eine Aussprache zwischen uns in der Luft. Sie wurde unvermeidlich beim ersten Wort, das den übervollen Born unserer Herzen erschließen musste. Welche Scheu verzögerte die Stunde unserer völligen Vertrautheit? Vielleicht liebte sie wie ich das Erbeben, das einem Angstschauer gleicht, das die Empfindsamkeit zermartert in den Augenblicken, wo man sein überströmendes Gefühl zurückhält, wo man zögert, sein Innerstes zu offenbaren, dem Schamgefühl gehorchend, das die Jungfrau beseelt, ehe sie sich vor dem geliebten Gatten enthüllt. Unsere Gedanken, die sich stets mit dieser unvermeidlichen ersten Aussprache beschäftigten, ließen uns ihre Tragweite noch größer erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Eine Stunde verstrich. Ich saß auf der Backsteinbalustrade – da belebten der Hall ihrer Schritte und das leise Rascheln ihres fließenden Gewandes die Stille der Nacht ... Das sind Empfindungen, denen das Herz nicht gewachsen ist. ,

      »Monsieur de Mortsauf ist eingeschlafen«, sagte sie. »Wenn er so ist, gebe ich ihm eine Tasse Mohntee; denn die Anfälle kehren so selten wieder, dass dies überaus einfache Mittel immer seine Wirkung tut.« Und mit veränderter Stimme und ihrem überzeugendsten Tonfall fuhr sie fort: »Monsieur de Vandenesse, ein unglücklicher Zufall hat Ihnen Geheimnisse ausgeliefert, die bisher sorgsam verborgen waren. Versprechen Sie mir, die Erinnerung an diesen Vorfall in Ihrem Herzen zu begraben! Tun Sie es um meinetwillen, ich bitte Sie darum! Ich fordere kein Gelübde von Ihnen, mit dem Jawort eines Ehrenmannes will ich mich zufriedengeben.« – »Brauche ich denn dieses Ja auszusprechen? Haben wir uns nicht schon verstanden?« versetzte ich. »Urteilen Sie nicht zu hart über Monsieur de Mortsauf. Sie sehen hier die Folgen der langen Mühsale, die er in der Fremde erlitten hat«, fuhr sie fort. »Morgen wird er das, was er heute gesagt hat, vollständig vergessen haben, und Sie werden ihn als einen liebenswürdigen, freundlichen Menschen wiedersehen.« – »Hören Sie auf, Madame, den Comte zu rechtfertigen!« antwortete ich. »Ich werde alles tun, was Sie wollen, ich würde mich im Augenblick in die Indre stürzen, wenn ich dadurch Monsieur de Mortsauf die Gesundheit und Ihnen ein glückliches Leben zurückgewinnen könnte. Das einzige, was ich nicht ändern kann, ist meine Meinung. Nichts an mir ist dauerhafter. Ich würde Ihnen mein Leben opfern, mein Gewissen kann ich nicht aufgeben; ich brauche seiner Stimme nicht zu lauschen, aber kann ich es hindern zu sprechen? Nun aber ist meiner Ansicht nach Monsieur de Mortsauf ...« – »Ich verstehe Sie«, unterbrach sie mich mit ungewohnter Schroffheit, »Sie haben recht. Der Comte ist nervös wie eine zimperliche Frau«, fuhr sie fort, und mit dem Wort milderte sie zugleich den Charakter seiner Krankheit, »aber es ist nur zeitweise so, höchstens alle Jahre ein Mal, während der größten Hitze. Wie viele Leiden hat nicht die Emigration verschuldet! Wieviel schönes Leben hat sie nicht vernichtet! Er wäre, ich bin dessen gewiss, ein großer Kriegsheld und der Ruhm seines Vaterlandes geworden!« – »Ich weiß es«, unterbrach ich sie nun meinerseits und gab ihr so zu verstehen, dass es zwecklos sei, mich täuschen zu wollen.

      Sie machte eine Pause, legte ihre Hand auf die Stirn und sagte dann: »Wer hat Sie so in unser Leben treten heißen? Will mir Gott etwa Hilfe schicken? Eine starke Freundschaft, die mich stütze?« Und ihre Hand fest auf die meine legend, fuhr sie fort: »Denn Sie sind gut, edel...«

      Sie hob den Blick gen Himmel, als wollte sie ein sichtbares Zeichen erflehen, das ihre Hoffnungen bestätigte. Dann sah sie mich wieder an. Erschüttert von ihrem Blick, der eine fremde Seele der meinen vermählte, ließ ich mich hinreißen, eine Taktlosigkeit – oder doch einen Verstoß gegen landläufige Anstandsregeln – zu begehen. Aber bedeutet das nicht bei manchen soviel als den heldenhaften Drang, der Gefahr entgegenzustürmen, den Wunsch, einen Zusammenprall abzuwenden, die Furcht vor einem Unglück, das nicht eintrifft, und häufiger noch die jähe Frage eines Herzens an ein anderes Herz, ein Schrei, der Antwort verlangt? Mancherlei Gedanken stiegen in mir auf, leuchtend, und raunten mir zu, den Fleck zu tilgen, der meine Reinheit beschmutzte, jetzt, wo ich dem Tiefsten dieser Frau am nächsten sei.

      »Bevor ich weiterspreche«, sagte ich mit verschleierter Stimme, deren Beben in der tiefsten Stille hörbar war, »erlauben Sie mir, etwas gutzumachen.« – »Schweigen Sie«, sagte sie erregt und legte mir den Finger auf die Lippen. Sie zog ihn gleich wieder weg. ,

      Sie

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