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du nur hoffen, wo du doch sonst so scharfsinnig bist, gegen Millionen anzukämpfen?«

      »Geliebte Adeline!« rief der Baron aus, indem er seine Frau umarmte und ans Herz drückte. Sie träufelte ihm Balsam in die offene Wunde seiner Eitelkeit. »Wenn der Herzog von Hérouville sein Vermögen verlöre, würde sich Josephas Wahl zwischen ihm und mir ganz gewiss nicht für ihn entscheiden«, sagte der Baron.

      »Lieber Freund«, begann Adeline, indem sie nochmals ihre letzte Kraft zusammennahm, »wenn du unbedingt eine Geliebte haben musst, warum hältst du dir dann nicht wie Crevel solche, die nicht teuer sind, aus einem Stande, wo sie mit wenigem zufrieden sind? Das wäre nur unser aller Vorteil. Ich verstehe dein Bedürfnis, nur deine Eitelkeit begreife ich nicht!«

      »Was bist du für eine vortreffliche Frau!« rief er aus. »Ich bin ein alter Narr und verdiene nicht, einen Engel wie dich zur Gefährtin zu haben.«

      »Ich bin einfach die Josephine meines Napoleons«, erwiderte sie in leiser Melancholie.

      »Josephine reichte nicht an dich heran!« erklärte er. »Komm, ich will mit meinem Bruder und meinen Kindern Whist spielen. Ich werde mich meiner Vaterpflichten erinnern und meine Hortense verheiraten. Ich will brav werden!«

      Die arme Adeline war so gerührt von dieser Güte, dass sie sagte: »Dies Geschöpf muss einen recht schlechten Geschmack haben, wenn sie einen anderen, wer es auch sei, meinem Hektor vorzieht. Ich würde nicht für alles Gold der Erde auf dich verzichten! Wie kann man dich lassen, wenn man das Glück hat, von dir geliebt zu werden!«

      Der Blick, mit dem der Baron für die Schwärmerei seiner Frau dankte, bestärkte sie in ihrem Glauben, dass Sanftmut und Ergebenheit die mächtigsten Waffen der Frau seien. Hierin täuschte sie sich. Wenn edle Gefühle übertrieben werden, können sie die gleiche Wirkung wie die größten Laster haben. Bonaparte ist Kaiser geworden, weil er auf das Volk schießen ließ, zwei Schritt von dem Platze entfernt, wo Ludwig der Sechzehnte Thron und Kopf verlor, weil er das Blut eines Herrn Sauce nicht vergießen wollte.

      Nachdem Hortense mit Steinbocks Petschaft unter ihrem Kopfkissen geschlafen hatte, um sich auch nachts nicht davon zu trennen, stand sie am folgenden Tage frühzeitig zum Ausgehen angekleidet da und ließ ihren Vater bitten, zu ihr in den Garten zu kommen, sobald er seine Toilette beendet habe. Es war gegen halb zehn Uhr, als Vater und Tochter Arm in Arm das Seineufer entlang über den Pont-Royal nach der Place du Carrousel gingen.

      »Wir wollen so tun, als gingen wir spazieren, Vater!« schlug Hortense vor, als sie durch das Tor auf den Riesenplatz kamen.

      »Spazierengehen? Hier?« fragte der Vater spöttisch.

      »Man kann ja glauben, wir gingen ins Museum. Siehst du dort hinten ...«, dabei zeigte sie auf die Holzbuden, die sich an den Häusern hinzogen, die rechtwinklig zur Rue du Doyenné lagen, »dort hinten sind Raritäten- und Bilderläden!«

      »Deine Tante Lisbeth wohnt dort.«

      »Ich weiß wohl; aber sie darf uns nicht sehen.«

      »Was hast du eigentlich vor?« fragte der Baron, als sie noch ungefähr dreißig Schritte von den Fenstern der Frau Marneffe entfernt waren, an die er sich plötzlich erinnerte.

      Hortense hatte ihren Vater vor die Auslage eines der Läden an der Ecke des Häuservierecks geführt, das sich längs der Galerien des alten Louvre ausbreitet und dem Hotel de Nantes gegenüberliegt. Der Baron blieb draußen und vertrieb sich die Zeit damit, nach den Fenstern der hübschen kleinen Frau hinüberzuschauen, die tags zuvor ihr Bild in das Herz des alten Lebemannes eingeschmuggelt hatte, just um die Wunde zu heilen, die er so bald darauf empfangen sollte. Er war somit auf dem besten Wege, den Rat seiner Frau zu befolgen.

      Halten wir es fortan mit den kleinen Bürgerfrauen! sagte er zu sich selbst, indem er Frau Marneffes Reize vor seiner erregten Phantasie erstehen ließ. Diese Frau wird mich die habgierige Josepha schnell vergessen lassen.

      Während er nach den Fenstern seines neuen Liebchens spähte, erkannte er auf einmal Herrn Marneffe, der seinen Überzieher selbst abbürstete und augenscheinlich Ausschau hielt und jemanden vom Platze her zu erwarten schien. Der verliebte Baron fürchtete bemerkt zu werden (was später auch geschehen sollte) und drehte der Rue du Doyenné den Rücken zu, aber nur so weit, dass er von Zeit zu Zeit noch einen Blick nach den Fenstern werfen konnte. Durch diese Wendung sah er sich aber plötzlich Auge in Auge mit Frau Marneffe, die, von den Kais herkommend, um die vorgelagerten Häuser herum zu ihrem Hause ging. Valerie zuckte zusammen, als sie den erstaunten Blick des Barons auffing. Ihre Augen antworteten verschämt-kokett.

      »Welch hübsche Frau«, sprach der Baron wie vor sich hin, »wie geschaffen, um Torheiten zu begehen!«

      »Ach, mein Herr«, antwortete sie, indem sie sich mit einer Bewegung, als fasse sie einen plötzlichen Entschluss, ihm zuwandte, »Sie sind der Herr Baron Hulot, nicht wahr?«

      Erstaunt bejahte er es.

      »Da der Zufall unsere Blicke einander zum zweiten Male begegnen lässt und da es scheint, dass ich das Glück habe, Sie zu interessieren oder neugierig gemacht zu haben, so will ich Ihnen sagen: machen Sie keine Torheiten, sondern üben Sie lieber Gerechtigkeit! Meines Mannes Geschick liegt in Ihrer Hand.«

      »Wie meinen Sie das, Gnädigste?« fragte der Baron galant.

      »Mein Mann arbeitet unter Ihrer Oberleitung im Kriegsministerium in der Abteilung des Herrn Lebrun, unter Herrn Coquet«, erwiderte sie, ihn anlächelnd.

      »Ich wäre wohl geneigt, Frau ... Frau ...?«

      »Frau Marneffe!«

      »Meine liebe Frau Marneffe – geneigt, wollte ich sagen, eine Ungerechtigkeit um Ihrer schönen Augen willen zu begehen. Eine Kusine von mir wohnt in Ihrem Hause; ich werde sie dieser Tage, so bald wie möglich, besuchen. Legen Sie mir Ihr Gesuch dort vor!«

      »Verzeihen Sie meine Kühnheit, Herr Baron! Aber Sie werden verstehen, warum ich es wagte, so zu reden. Wir haben nämlich gar keine Protektion.«

      »Soso!«

      »Herr Baron, Sie missverstehen mich!« sagte sie und schlug die Augen nieder.

      Dem Baron kam es vor, als ginge damit die Sonne unter.

      »Ich bin in Verzweiflung, aber ich bin eine anständige Frau«, fuhr sie fort. »Vor einem halben Jahre habe ich meinen einzigen Beschützer verloren, den Marschall Montcornet.«

      »Sind Sie nicht seine Tochter?«

      »Jawohl, Herr Baron, aber er hat mich nie als solche anerkannt.«

      »Aber er hat Ihnen doch einen Teil seines Vermögens hinterlassen?«

      »Er hat mir nichts hinterlassen, Herr Baron, weil sich kein Testament vorgefunden hat.«

      »Armes Kind! Ja, ja, der Marschall ist an einem Schlaganfall gestorben. Verzagen Sie nur nicht! Mut! Man wird nicht vergessen, was man der Tochter eines Bayard des Kaiserreichs schuldet!«

      Frau Marneffe grüßte graziös. Sie war ebenso stolz auf ihren Erfolg wie der Baron auf den seinen.

      Zum Teufel, wo mag sie zu so früher Stunde herkommen? fragte er sich, indem er den Wellenbewegungen ihres Kleides nachblickte, das sie mit einer etwas übertriebenen Koketterie trug. Um vom Baden zu kommen, sieht sie zu ermüdet aus. Ihr Mann erwartet sie. Das ist rätselhaft und gibt zu denken.

      Nachdem Frau Marneffe in ihrem Hause verschwunden war, entschloss sich der Baron, nachzusehen, was seine Tochter drinnen im Laden mache. Er trat ein, und da er noch immer nach Frau Marneffes Fenster hinblickte, hätte er beinahe einen jungen Menschen mit blassem Gesicht und leuchtenden grauen Augen umgerannt, der einen schwarzwollenen Sommerüberzieher, ein grobes Leinwandbeinkleid und gelblederne Halbschuhe trug. Er stürzte wie ein Hühnerhund aus der Tür und lief auf Frau Marneffes Haus zu, in dem er auch verschwand.

      Als Hortense den Laden betrat, hatte sie sofort die bewusste Gruppe erkannt, die in der Nähe der Tür auf einem Tische zur Schau gestellt wurde. Selbst ohne Kenntnis ihrer Entstehungsgeschichte hätte die Gruppe

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