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Physiologie der Ehe. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Physiologie der Ehe
Год выпуска 0
isbn 9783955014742
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Zugegeben. Inwiefern finden Sie aber hierin eine neue Auffassung?«
Nun, ich wende mich an die Neuvermählten von gestern und heute, an die, die eben aus der Kirche oder vom Standesamt kommen und sich der Hoffnung hingeben, ihre Frauen für sich allein behalten zu können; an die, die irgendein Egoismus oder sonst ein unerklärliches Gefühl verleitet, beim Anblick der Leiden ihres Nächsten zu sagen: » Mir passiert so etwas nicht!«
Ich wende mich an die Schiffer, die zur See gehen, nachdem sie manches Schiff haben scheitern sehen; an die Junggesellen, die sich zu verheiraten wagen, nachdem sie den Schiffbruch mehr als einer ehelichen Tugend verschuldet haben. Und dies ist mein Gegenstand – er ist ewig neu, ewig alt!
Ein junger Mann, oder auch vielleicht ein ältlicher Herr, verliebt oder nicht, erwirbt als sein Eigentum durch einen allen Vorschriften entsprechend protokollierten, auf dem Standesamt und im Himmel unterzeichneten und in die Steuerlisten eingetragenen Ehevertrag ein junges Mädchen mit langen Haaren, mit schwarzen feuchten Augen, mit kleinen Füßchen, mit zierlichen, spitzen Fingern, mit rotem Mund, mit elfenbeinweißen Zähnen – gut gewachsen, lebenatmend, appetitlich, sauber, weiß wie eine Lilie, mit den begehrenswertesten Schätzen der Schönheit reich bedacht: ihre gesenkten Wimpern gleichen den Stacheln der Eisernen Krone; ihre Haut ist frisch wie die Blumenkrone einer weißen Kamelie, gehoben durch den Purpur der roten Kamelie; in ihrer jungfräulichen Gesichtsfarbe glaubt das Auge den Duft einer jungen Frucht und den kaum wahrnehmbaren Flaum eines bunten Pfirsichs zu sehen; ihre azurnen Adern verbreiten eine wonnige Wärme über die klare Haut; sie fordert und gibt das Leben; sie ist ganz Freude und ganz Liebe, ganz Anmut und ganz Naivität. Sie liebt ihren Gatten, oder glaubt ihn wenigstens zu lieben.
Der verliebte Ehemann hat in seinem tiefsten Herzen zu sich gesagt: »Diese Augen werden nur mich sehen, dieser Mund wird nur für mich in Liebe zucken, diese weiche Hand wird nur über mich streichelnd die Schätze der Wonne ergießen, nur für mich wird dieser Busen wogen, nur meinem Willen wird diese schlummernde Seele erwachen; ich allein werde meine Finger in diese glänzenden Locken tauchen; ich allein werde in träumerischer Liebkosung dieses erzitternde Köpfchen streicheln. Ich werde den Tod zum Wächter bestellen, um dem fremden Räuber den Zugang zu unserm Ehebett zu wehren; dieser Thron der Liebe wird vom Blute der Unbesonnenen schwimmen oder von meinem Blute. Ruhe, Ehre, Glück, Blutsbande, Vermögen meiner Kinder – alles ist in unserm Ehebett; ich will das alles verteidigen, wie eine Löwin ihre Jungen. Wehe dem, der seinen Fuß in meine Höhle setzt!«
Nun, mutiger Ringer, wir klatschen deinem Vorhaben Beifall! Bis jetzt hat kein Mathematiker die Längen- und Breitengrade auf dem Meere der Ehe zu bestimmen gewagt. Die alten Ehemänner haben sich geschämt, die Sandbänke, die Riffe, die Klippen, die Brandungen, die Monsune, die Küsten und die Strömungen zu bezeichnen, die ihre Schiffe zerstört haben – so sehr schämten sie sich ihres Schiffbruchs. Es fehlte ein Führer, ein Kompaß für die verheirateten Pilger; dieses Werk ist bestimmt, ihnen diesen Dienst zu leisten.
Abgesehen von Gewürz- und Schnittwarenkrämern gibt es so viele Leute, die zu reinem Zeitvertreib sich mit Nachforschungen nach den geheimen Gründen der Handlungsweise der Frauen beschäftigen, daß es ein Werk der Barmherzigkeit ist, ihnen abschnitts- und kapitelweise alle geheimen Situationen der Ehe aufzuzählen; ein gutes Inhaltsverzeichnis wird sie instand setzen, alle Herzbewegungen ihrer Frauen zu durchschauen, wie sie in der Logarithmentafel das Ergebnis einer Multiplikationsaufgabe finden.
Nun, was meinen Sie dazu? Zu zeigen, wie man eine Frau verhindern kann, ihren Gatten zu betrügen – ist das nicht ein neues Unternehmen, an das sich noch kein Philosoph herangewagt hat? Ist das nicht die Komödie der Komödien? Ist das nicht ein anderes › speculum vitae humanae‹? Es handelt sich nicht mehr um jene müßigen Fragen, denen wir in dieser Betrachtung ihren Anteil eingeräumt haben. Heutzutage verlangt das Jahrhundert auf dem Gebiete der Moral wie auf dem der exakten Wissenschaften Tatsachen, Beobachtungen. Wir liefern sie.
Prüfen wir also zunächst den wahren Stand der Dinge, analysieren wir die Kräfte der beiden Parteien. Ehe wir den von unserer Phantasie geschaffenen Kämpen wappnen, wollen wir einen Überschlag über die Zahl seiner Feinde machen, wollen die Kosaken zählen, die in sein kleines Vaterland einfallen wollen.
So schiffe sich denn mit uns ein, wer Lust hat; lache wer kann! Den Anker gelichtet! Die Segel gehißt! Ihr kennt den kleinen runden Punkt, von dem ihr abfahrt. Das ist ein großer Vorteil, den wir vor vielen Büchern voraushaben.
Und wenn wir nun einmal eine Vorliebe dafür haben, beim Weinen zu lachen und beim Lachen zu weinen, wie der göttliche Rabelais beim Essen trank und beim Trinken aß – wenn wir die Manie haben, auf ein und derselben Seite von Heraklit und Demokrit zu schreiben, weder stilgerecht noch in ausgeklügelten Sätzen zu schreiben – daß keiner von der Mannschaft sich erlaube, darüber zu brummen! ... Herunter vom Deck, ihr alten Köpfe mit Fallhüten auf, ihr Klassiker in Windeln, ihr Romantiker in Leichentüchern! – Vorwärts! Komme, was da will!
Alle diese Leute werden uns vielleicht vorwerfen, wir machten's wie gewisse Menschen, die mit lustigem Gesicht sagen: »Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen – da werden Sie aber lachen!« Als ob es sich um etwas zum Lachen handelte, wenn man von der Ehe spricht! Erraten Sie denn nicht, daß wir diese als eine leichte Krankheit ansehen, der wir alle unterworfen sind, und daß dieses Buch die Monographie besagter Krankheit ist?
»Aber Sie selber, Ihr Schiff oder Ihr Buch sehen aus wie jene Postillione, die bei der Abfahrt mit der Peitsche knallen, weil sie Engländer im Wagen haben. Sie werden noch keine halbe Meile in gestrecktem Galopp gefahren sein, so werden Sie schon absteigen, um einen Strang wieder in Ordnung zu bringen oder Ihre Pferde verschnaufen zu lassen. Warum die Trompete blasen, ehe der Sieg erfochten ist?«
Ei, liebe Pantagruelisten! Heutzutage genügt es, nach einem Erfolg zu streben, um ihn zu erhalten; und da schließlich große Werke vielleicht nichts weiter sind als langatmig ausgeführte kleine Ideen, so sehe ich nicht ein, warum ich nicht versuchen sollte, Lorbeern zu pflücken – wär's auch nur, um damit die scharfgesalzenen Schinken zu umkränzen, die uns helfen werden, mit wackerem Durst den Topf leer zu schlürfen. – Einen Augenblick noch, Lotse! Ehe wir abfahren, wollen wir noch eine kleine Definition geben: Leser, wenn ihr von Zeit zu Zeit, wie in der Welt, in diesem Werk den Worten ›Tugend‹ oder ›tugendhafte Frauen‹ begegnet, so soll unter dieser Tugend nichts weiter verstanden sein, als jene mühselige Leichtigkeit, womit eine Gattin ihr Herz einem Gatten bewahrt – es sei denn, daß das Wort in einem allgemeinen Sinn angewandt werde: diese Unterscheidung ist dem natürlichen Scharfsinn eines jeden anheimgestellt.
Ehestatistik
Seit ungefähr zwanzig Jahren beschäftigt sich die Staatsverwaltung mit der Untersuchung, wie viele Hektare Wald, Wiesen, Weinberge, Brachland der Boden Frankreichs enthält. Aber sie ist auch dabei noch nicht stehen geblieben, sie hat Zahl und Art des Viehstandes festgesetzt. Die Gelehrten sind noch weiter gegangen: sie zählten die Klafter Holz, die Kilogramme Rindfleisch, die Liter Wein, die Kartoffeln und die Eier, die in Paris verzehrt werden. Aber niemand ist bis jetzt auf den Gedanken gekommen, zur Ehre der Ehe oder im Interesse der Leute, die sich verheiraten wollen, oder zum Nutzen der Moral und der Vervollkommnung menschlicher Einrichtungen die Zahl der anständigen Frauen festzustellen. Wie? Auf eine Anfrage würde das französische Ministerium antworten können, es habe soundso viel Soldaten unter den Waffen, soundso viel Spione, soundso viel Beamte, soundso viel Schüler – und über die tugendhaften Frauen nichts? Wenn ein König von Frankreich den Einfall bekäme, sich seine erhabene Lebensgefährtin unter seinen Untertaninnen zu suchen, dann könnte die Regierung ihm nicht einmal die Herde weißer Schafe bezeichnen, unter denen er seine Wahl zu treffen hätte? Sie wäre genötigt, eine Art von Rosenmädchen-Preisbewerbung auszuschreiben – und das wäre ja lächerlich.
So wären also die Alten unsere Meister in politischen Einrichtungen so gut wie auf dem Gebiet der Moral? Die Weltgeschichte lehrt uns, daß Asverus, als er unter den Töchtern Persiens eine Frau nehmen wollte, Esther wählte, die tugendhafteste und schönste. Seine Minister mußten also notwendigerweise