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Minuten und die Zuschauer schnappten über … Zieht die Handschuhe aus!Tritt ihm in die Eier!Mach ihn kalt! … Einzelne Pappbecher flogen gegen den Ring, Bierspritzer regneten auf meinen Kopf. Die Halle zitterte wie unter Strom. Jetzt stand einer im Ring, der Aurel hieß, und, Mann, hatte der Herz; er fraß einen linken Haken, seine Knie sackten durch und seine Augen verloren sich, aber er kam zurück und schickte seinen Gegner mit einer Rechten auf die Bretter. Immer wieder entfaltete sich das Leben zu atemberaubender Blüte; aber die Augen der Zuschauer waren glasig und voll Blutgier, und sie beschmutzten es, sobald sie ihre Lippen öffneten.

      Ich hatte alle Hände voll zu tun. Ich schlug den Rundengong, nahm die Zeit und achtete auf Regelverstöße. Gleichzeitig kritzelte ich Stichworte für meinen Artikel in das Notizbuch. Rechts von mir bohrte der Ringarzt in der Nase. Links von mir saß der Ringsprecher. Er war ein schlaksiger Kerl, hatte einen Pferdeschwanz im Nacken und trug sein Kinn hoch. Wenn er nichts anzusagen hatte, redete er unentwegt auf mich ein, besprühte meine Wange mit Speichel und Worten: wie anspruchsvoll seine Tätigkeit war, das Modulieren der Stimme und die klare Ar-ti-ku-la-tion, welch weitläufige Ausbildung er hatte durchlaufen müssen, und die berühmten Shows, die er schon mit seinem Talent veredelt hatte. Was? Ich hätte noch nie vom Bayrischen Eisstock Grand Prix gehört? Bestimmt, weil ich ein Ösi war.

      Aber all dies änderte nichts daran, dass ich nach jedem Kampf den Sieger auf einen Zettel schreiben musste, damit er ihn ablesen konnte und nichts durcheinanderbrachte.

      Mit zitternden Fingern reichte ich ihm den letzten Zettel. Dann ließ ich mich erschöpft gegen die Stuhllehne sinken. In meinem Schädel summte ein Bienenstock. Das Hemd klebte mir am Rücken. Drei Stunden Hochspannung hatten alles aus mir herausgeholt.

      Der Ringsprecher nahm einen Schluck aus seiner Coladose, gurgelte und legte das Mikrofon an die Lippen. Dann zögerte er. Er knipste das Mikro aus und fauchte mich an:

      »Was soll das heißen? Schneider? Oder Schreiber? Das kann ja kein Schwein lesen.«

      Ich antwortete ihm nicht. Ich hatte genug; genug von seiner Arroganz, genug vom Gegröle und Gejohle, genug davon, ein Zahnrad zu sein in dieser mit Blut geölten Maschinerie. Ich beugte mich vor und verstaute das Notizbuch im Rucksack. Dabei murmelte ich ein unhörbares Leck mich am Arsch. Oberhalb der Tischplatte Jubel, das Klicken des Mikrofons, dann seine Stimme, die sich wie Donner über die Halle senkte:

      »MEINE DAMEN UND HERREN! WAS FÜR EIN KAMPF!«

      Als ich wieder hochkam, kletterte er gerade in den Ring. Dort reckte ein Kämpfer seine Fäuste in die Höhe und suhlte sich im Applaus. Dem anderen wurde auf die wackeligen Beine geholfen. Der Sprecher baute sich im Auge der Scheinwerfer auf.

      »SIEGER … DURCH K.O. NACH DREI MINUTEN FÜNFZEHN IN DER ZWEITEN RUNDE … WOLF SCHNEIDER.«

      Der Sieger fasste ihn scharf ins Auge. Er hieß Schrauber.

      »MEINE DAMEN UND HERREN! EINE GROSSARTIGE KAMPFNACHT GEHT ZU ENDE. ICH DARF SIE AN DIE AFTER-SHOW-PARTY IM DIAMONDS ERINNERN. DORT HABEN SIE GELEGENHEIT, DIE KÄMPFER ZU TREFFEN. ALLES GUTE UND … SPORT FREI!«

      Der Ringsprecher stieg aus dem Ring.

      »Du kannst mich am Arsch lecken!«, spuckte er mir hin. Dann stapfte er davon. Ich sah ihm gleichgültig hinterher. Ein Zeit lang blieb ich noch sitzen, sah zu, wie die Ränge sich leerten, wie die Handwerker kamen und begannen, den Ring abzubauen, wie Kämpfer mit verschwollenen Augen und Sporttaschen umhergingen.

      Dann rappelte ich mich auf und ging in den Backstagebereich, um meine Kohle abzuholen. Das Büro war nicht zu verfehlen. Aus der Tür zog sich eine meterlange Menschenschlange. Kämpfer, Trainer und Hilfskräfte standen dicht gedrängt und robbten im Schneckentempo vorwärts.

      Ich stellte mich hinten an. Die Reihe verkürzte sich wie eine langsam brennende Zündschnur. Nach einer Viertelstunde durchtrat ich als Letzter den Türrahmen. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch kauerte Knopp. Er lehnte schwer auf den Ellbogen und sah aus, als erlitte er gerade den sechsten Herzanfall des Tages. Als ich herantrat, benetzten süßliche Dämpfe meine Zunge. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht auszuspucken.

      »Nimm Platz«, schnaufte er, ohne mich anzusehen.

      Ich setzte mich.

      »Wie viel?«, fragte er.

      »Fünfhundert.«

      Er hob den Blick und starrte mich durchdringend an.

      »Die Gage für Kämpfer ist dreihundert.«

      »Ich bin kein Kämpfer«, sagte ich.

      »Was denn sonst?«

      »Der Reporter aus Wien«, antwortete ich müde, »Und ich habe den Nebenkampfrichter gemacht.«

      »Ach ja. Du bist das … Peter, oder?«

      »Ja«, sagte ich ungerührt.

      »Danke übrigens. Fünfhundert also?«

      Bedächtig zählte er fünf grüne Banknoten aus der Kasse. Als ich ihm zusah, kribbelte es hinter meinem Nabel, und meine Finger juckten; am liebsten hätte ich ihm die Scheine aus den Händen gerissen. Sie sahen verlockend und zauberhaft aus, wie Eintrittskarten in ein fernes Wunderland.

      »Bis wann schaffst du den Artikel?«

      »Morgen Mittag«, sagte ich und krallte mir das Geld.

      »Schick ihn dann gleich rüber. Hast du unsere E-Mail-Adresse?«

      »Ja, hab ich.«

      »Ich hätte noch einen kleinen Auftrag für dich.«

      »Nichts für ungut. Aber ich habe kein Interesse.«

      »Ich zahle was extra.«

      »Ich bin nicht käuflich«, sagte ich.

      Aber als er einen Fächer aus Geldscheinen über den Tisch breitete, war ich mir dessen nicht mehr so sicher; und als er auf hundertfünfzig aufrundete, weil er meinen Wankelmut bemerkte, und sagte, es handle sich lediglich um ein Interview, schiss ich auf meine Vorsätze und steckte das Geld in die Hosentasche.

      »Um wen geht’s denn?«, fragte ich.

      »Aurel Mahler. Er hat eine makellose Statistik. Acht Siege, keine Niederlage. Hat heute eine gute Show gemacht. Ich will ihm vielleicht einen Titelkampf geben. Mit dem Interview sollen ihn die Leute ein wenig kennenlernen.«

      »Er kommt aus Wien, oder?«, erinnerte ich mich.

      »Ja. Er gehört zum Wolves Gym.«

      »O.k. Ist so gut wie erledigt.«

      »Na dann …«

      »Wie komme ich denn von hier ins Hotel?«, fragte ich.

      »Es gibt einen Fahrdienst. Draußen vor der Halle.«

      »Danke.«

      »Schon gut«, keuchte er, »DER NÄCHSTE!«

      Aber es kam niemand mehr. Knopp ächzte wie eine Dampfmaschine und schlug die Metallkasse zu.

      »JUNGS!«, rief er.

      Zwei Sicherheitsleute stapften herein. Ich zwängte mich seitlich zwischen ihnen durch. Als ich die Tür hinter mir schloss, hörte ich noch Knopps Stimme:

      »So, Jungs. Jetzt gehen wir erst mal richtig ficken

      Kapitel IV

      Ich fand Aurel in der Nähe des Ausgangs. Das Publikum hatte die Halle verwüstet zurückgelassen, und er watete knöcheltief durch Flyer, Pappbecher und Werbebroschüren. Er war einen halben Kopf kleiner als ich, aber bärenhaft und furchteinflößend. Als ich ihm zurief, wandte er sich um und starrte mir mit dunklen Augen entgegen. Sein Gesicht war eine Maske aus Stein.

      Ich war völlig ausgebrannt und wollte die Sache nur hinter mich bringen; deshalb übersprang ich alle Gratulationen und Lobesworte

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