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darin. Der eine war groß, mit breiten Schultern und kantigem Gesicht, wie einem Gemälde von Albin Egger-Lienz entstiegen. Der andere war kleiner und rothaarig. Ihre Hosenbeine waren akkurat aufgestrickt, die Stiefel glänzten, und sie hatten kühne, entschlossene Mienen.

      »SALUTIEREN, SOLDAT!«, rief der Große plötzlich.

      Der andere riss die Hand zur Schläfe. Dann lachten sie. Na toll! Ich war an zwei Wahnsinnige geraten. Der Große zog den Reißverschluss seiner Tasche auf und fischte zwei Flaschen Bier heraus.

      »Da, Michael. Auf deine Beförderung.«

      »Danke. Zum Stabsgefreiten fehlt zwar noch ein Stück, aber zum Anstoßen reicht es.«

      »Genau. Heute machen wir einen drauf, was?«

      »Aber logo. Heut lassen wir’s krachen.«

      »Die Weiber … ich sag dir … die Weiber stehen auf Uniformen.«

      »Und soll ich dir was sagen? ICH AUCH!«

      »HAHAHAHAHAHA!«, brüllte der Große aus vollem Hals.

      »HAHAHAHAHA!«

      »Prost, Michael.«

      »Prost, René. Sollen wir?«

      »Aber sicher!«

      »KAMERAAADEN, LASST UNS SINGEN …«, brüllten sie.

      Die Takte dieses Soldatenlieds prallten mir gegen den Schädel wie Hammerschläge. Mich beschlich das unheimliche Gefühl, Gehirnzellen einzubüßen. Fast wünschte ich mir einen Krieg, allein, um ihnen diese Flausen auszutreiben; um ihren beknackten Soldatenstolz im Pfeifen der Kugeln zerbröseln zu sehen. Ich packte meinen Rucksack, drängte mich grob zwischen den Knien der beiden durch und verschwand in den nächsten Wagen.

      Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und atmete tief durch. Hier tönte nichts als sanftes Gemurmel und Gebrabbel, wie Meeresrauschen. Was für eine Wohltat! Ich sah mich nach einem Sitzplatz um, konnte aber keinen finden. Also ging ich weiter in den nächsten Waggon. Aber auch hier war alles voll.

      Ich arbeitete mich zwischen den schwankenden Sitzreihen bis zur nächsten Abteiltür vor, zog sie auf und gelangte in das Zwischenstück, das die Waggons verband. Es war kaum zwei Meter lang und ein wenig so, als stünde man im Inneren eines Akkordeons. Der Boden bestand aus Stahlschuppen, die sich überlappten und in den Kurven ineinanderschoben. Durch die Ritzen sah man hinab auf die rasenden Schienen; ein ungeheures Brausen stieg auf.

      Mittendrin saß ein Mädchen auf einer Reisetasche. Unsere Blicke streiften einander. Ich wollte weitergehen, aber durch das Fenster in der Abteiltür konnte ich sehen, dass sich auch im nächsten Waggon die Menschen stauten.

      »Stört es dich, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte ich laut gegen den Lärm der Schienen.

      »Nein«, rief sie.

      Ich legte meinen Rucksack ab und setzte mich ihr gegenüber. Sie war damit beschäftigt, in einem Seitenfach ihrer Reisetasche zu kramen, und ich nutzte die Gelegenheit, sie genauer zu betrachten. Ein blondes Durcheinander von Haaren umrahmte ein Gesicht, das mich aus irgendeinem Grund an eine Gauklerin denken ließ. Sie strahlte etwas Verschmitztes aus, das mir gefiel. Schließlich fand sie, was sie suchte, nahm eine Bierdose heraus und kippte zischend den Verschluss. Sie trank einen Schluck und spähte über die Dose zu mir herüber. Ihre Augen waren grün wie ein Sumpf oder wie Aventurin.

      »Alles voll, was?«, fragte sie.

      Ich nickte.

      »Wohin fährst du?«

      »Frankfurt«, sagte ich.

      »Dann hast du ja nicht mehr allzu lange.«

      »Ungefähr eine halbe Stunde noch. Und du?«

      »Ich fahre noch ewig. Ich bin nach Amsterdam unterwegs. Übers Wochenende.«

      »Eine schöne Stadt«, sagte ich.

      »Ich glaube nicht, dass ich von der Stadt allzu viel mitbekommen werde«, antwortete sie und schmunzelte.

      Es fiel mir schwer, den Blick von ihren Brüsten abzuwenden. Immer, wenn sie von ihrem Bier trank oder in die Luft starrte, was oft vorkam, schwenkten meine Augen wie von selbst dorthin zurück. Das Beben des Zuges verlieh ihnen Leben, rüttelte sie sanft; sie waren rund und prächtig und … Stopp! … Meine Pupillen klebten schon wieder daran fest. Ich sah ihr in die Augen, aber sie tat, als hätte sie nichts bemerkt.

      »Du kommst auch aus Wien, oder?«, fragte sie.

      »Hört man das?«

      »Nicht wirklich … ist mehr eine Ahnung … Was machst du denn in Frankfurt?«, fragte sie, dann runzelte sie die Stirn:

      »Wenn ich dir irgendwie zu nahe trete, dann musst du es sagen.«

      »Ist schon in Ordnung«, lachte ich, »Ich bin als Reporter unterwegs. Heute Abend ist in Frankfurt eine Kampfsportveranstaltung. Und ich bekomme Kohle dafür, dass ich darüber schreibe.«

      »Echt?«, fragte sie und lehnte sich ein Stück vor, »Wie läuft das ab? Ich meine, für wen schreibst du? Für eine Zeitschrift?«

      »Direkt für den Veranstalter. Ich schreibe ihm einen Artikel, und er bringt ihn dann in irgendwelchen Magazinen unter. Oder gibt ihn als Presseaussendung heraus.«

      »Und damit verdienst du deinen Lebensunterhalt?«

      »Nein. Ich mache das nicht allzu oft.«

      »Was machst du sonst so? In Wien, wenn du nicht gerade als Reporter herumfährst?«

      »Nichts.«

      »Was meinst du mit: nichts?«

      »Na ja … leben«, sagte ich und lachte.

      Sie warf mir einen verwirrten Blick zu. Eine Minute lang saßen wir uns schweigend gegenüber. Zwischen uns tanzten die Stahlschuppen zum Lärm der Schienen. Dann kramte sie in ihrer Reisetasche, brachte ein Magazin zum Vorschein und begann, darin zu lesen. Ich tat es ihr nach, nahm ein Buch aus meinem Rucksack und hielt es mir vor die Nase. Aber ich betrachtete sie noch eine Weile unauffällig über die Seiten hinweg. Irgendwas an ihrem Mund war sonderbar. Vielleicht hatte sie als Kind eine Hasenscharte gehabt, die operiert worden war. Jedenfalls war der linke Mundwinkel stets ein Stück nach oben gezogen. Es sah eigenartig aus.

      Nach einiger Zeit begann der Zug zu bremsen. Das Gekreische war hier, in unserem Zwischenstück, beinahe unerträglich. Ich stand auf und schwang mir den Rucksack um die Schulter. Gerade wollte ich mich von dem Mädchen verabschieden, da reichte sie mir einen Zettel. Sie sagte irgendwelche Worte dazu, aber der Lärm war so ohrenbetäubend, dass ich nichts verstand. Ich nickte nur und lächelte sie blöd an. Auf dem Zettel standen ein Name und eine Telefonnummer.

      »Danke Iris. Eine gute Fahrt noch«, brüllte ich in das Getöse.

      Sie schrie irgendwas zurück.

      Kapitel II

      Frankfurt empfing mich wie eine bezahlte Hure. Kaum setzte ich einen Fuß auf den Bahnsteig, umtosten mich schnaufende Gestalten, stöhnten Lautsprecherdurchsagen gegen die wartenden Züge, steckten mir die Neonröhren und Anzeigetafeln eine Zunge aus Licht in den Rachen. Für einen Moment war ich so verwirrt, dass ich vergaß, wozu ich eigentlich hier war.

      In der Bahnhofshalle fiel es mir wieder ein. Unter einer elektronischen Anzeigetafel stand ein Mann, der ein Kartonschild mit meinem Namen vor seine Brust hielt. Ein Zuchtbulle. Zwischen seinen wulstigen Lippen qualmte eine Zigarette. Misstrauisch beäugte er jedes vorbeikommende Gesicht.

      Ich stellte mich vor ihn hin und grinste.

      »Kann ich dir helfen?«, fragte er unfreundlich.

      »Ich bin der auf dem Schild«, sagte ich.

      »Sie sind das?«

      »Jepp.«

      »Oh,

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