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Schlitz und konstatierte 94 Kilo.

      Also das war nun der ganze Erfolg nach drei Wochen des Darbens, Kurierens und Kasteiens! Ein ganzes Kilogramm!

      Halt – an dem Automaten befand sich auch eine Tabelle, nach der man genau feststellen konnte, wieviel man wiegen dürfe. Ich fand, daß meiner Körperlänge ein Gewicht von 65 Kilo angemessen wäre. Also hätte ich 30 Kilo zu viel, und sie zu beseitigen, forderte 90 Wochen Marienbad! Es war doch geradezu lächerlich, solch einen Ort für Entfettungskuren zu empfehlen!

      Ebenso lächerlich war übrigens diese Tabelle. Als ob man so rein mechanistisch die Leibesstärke eines Menschen vorschreiben könnte, als ob sie nicht individuelle Bestimmung wäre wie meine Augen, meine Stimme, meine Hand, mein Temperament! Ich ging die Reihe meiner Ahnen durch bis ins 15. Jahrhundert – soweit ich sie kannte, waren sie meistens oder doch großenteils wohlbeleibt gewesen. Es war also meine Bestimmung, dick zu sein. Was wußten die Aerzte von meiner Bestimmung! Gewiß war es vernünftig und geraten, einem Uebermaß vorzubeugen. Das wollt' ich ja auch, tat ich ja auch! Aber wie weit man gehen darf, das kann kein Automat und kein Arzt bestimmen; das muß man selbst fühlen. Ein vernünftiger und leidlich gebildeter Mensch soll sein eigener Arzt sein.

      Danach beschloß ich nun zu handeln, und da gerade mein Geburtstag war, aß ich ein Gericht Knödel, wie ich sie so sehr liebe. Ich wußte wohl, daß ich nach diesen Knödeln wieder Gewissensbisse fühlen würde; aber Gewissensbisse machen mager, und so wurde die gewünschte Wirkung auf einem Umwege doch erzielt.

      Hartnäckig wie ich in der Verfolgung eines einmal gesteckten Zieles bin, setzte ich bis zum Ende meines Aufenthalts meine Kur ohne Unterbrechung fort. Daß ich mich für das Diner meines Freundes revanchierte, ist selbstverständlich. Ich konnte mich unmöglich einladen lassen, ohne wieder einzuladen. Um Exzessen vorzubeugen, gab ich indessen kein Diner, sondern nur ein Frühstück; daß meine Gäste erst nach Mitternacht aufbrachen, ist nicht meine Schuld; ich konnte sie doch nicht fortschicken.

      So hatte sich denn unter den Mitgliedern dieses Kreises ein höchst erfreuliches Verhältnis herausgebildet, und dieses harmonische Einvernehmen fand in einem Abschiedsessen, das die Herren mir am Abend vor meiner Abreise gaben, seinen natürlichen Ausdruck. Die Herren überhäuften mich mit Aufmerksamkeiten jeglicher Art; sie hatten ein Menü zusammengestellt, das ausschließlich aus meinen Lieblingsspeisen bestand, und wollten es sich nicht nehmen lassen, mich von der Festtafel direkt an den Zug zu begleiten. Ich nahm dies Anerbieten mit Vergnügen an, ließ mich aber selbstverständlich durch allen Jubel und Trubel in meinem Pflichtgefühl nicht beirren. Unter dem Vorwande, daß ich mir noch Handschuhe kaufen müsse, trat ich auf dem Wege zum Bahnhof in ein Handschuhgeschäft mit allein richtiger Personenwage. Ich legte alles ab: Hut, Mantel, Taschenmesser usw., nur nicht das Portemonnaie – es war von keinem Belang mehr – setzte mich in den Stuhl und machte mich so leicht wie möglich.

      »95,3 Kilo!«

      Das »weitbeschreyte« altberühmte Marienbad hatte mir also nicht nur nichts geholfen; es hatte mir zu meiner Fülle noch 200–300 Gramm hinzugebürdet. Und auf diesen Schwindel war selbst ein Goethe hineingefallen!

      Daheim schilderte ich meinen Freunden bis ins Einzelne hinein die Marienbader Kur und ihre Vorschriften.

      »Und das hast du vier Wochen lang befolgt?« riefen sie wie aus einem Munde.

      »Im großen und ganzen – und im wesentlichen ja!« versetzte ich mit einer großen und runden Armbewegung.

      Warum die Kerle sich in die Rippen stießen und mein bester, treuester Freund sogar laut herausprustete, ist mir noch heute ein Rätsel.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Sache begann sehr harmlos. Als ich vor Jahren einmal mit Roswithen spazieren ging, fragte sie mich: »Vater, magst du gern Ziegen leiden?«

      Ich kann eigentlich nicht behaupten, daß ich die Reize der Ziegen überwältigend finde; es sind ja auch nicht gerade die schönsten und liebenswürdigsten Damen, die man als Ziegen bezeichnet. Ich antwortete also langsam, gedehnt und ohne jeden Schwung:

      »Nun jaaa – hm, – wie man's nimmt – warum nicht?«

      »Ich schrecklich gern!« seufzte Roswitha. »So kleine junge Ziegen find' ich reizend!«

      Ja, wenn sie noch klein sind, sind sogar die Menschen reizend. Dachte ich, sagte ich natürlich nicht.

      Damit schien dieses Thema erschöpft.

      Wir hatten damals nur einen recht kleinen Garten, in dem freilich ein paar alte mächtige Bäume standen, eben deshalb aber Gras und Kräuter nur kümmerlich gediehen.

      Nach Monaten spazierten wir durch einen wunderschönen, riesengroßen Park, einen Park, dessen sich der reichste König nicht zu schämen brauchte, einen Park wie ein kleines Fürstentum, mit Hügeln und Tälern, Teichen und Tempeln, Rosenlauben und Wiesen.

      »Vater,« fragte Roswitha, »wenn der Mann, dem dieser Park zugehört, dir ihn abverkaufen wollte – kauftest du ihn denn?«

      »Nein,« versetzte ich mit großer Klarheit. Ich wußte wohl, warum.

      »Aber wenn er ihn dir schenken wollte – nähmst du ihn denn?«

      »Ja,« versetzte ich mit erhöhter Klarheit. Falsche Scham schien mir hier nicht am Platze.

      »Ich auch!« rief Roswitha triumphierend. »Und weißt, was ich denn täte?«

      »Hm?«

      »Denn kaufte ich mir 'ne süße kleine Ziege, und die ließ' ich auf der Wiese grasen. Denn hat sie doch genug zu essen, nicht?«

      »Ich denke doch.«

      Wir wurden durch den Schrei eines radschlagenden Pfauen abgelenkt, und ich machte keine Anstrengungen, das verlassene Thema wieder aufzunehmen. Und Roswitha schien zu fühlen: Für heute ist es genug. Man soll nichts forcieren.

      Die Lektüre seiner Kinder kann man nicht sorgfältig genug überwachen. Ich hatt' es daran fehlen lassen: Roswitha erwischte eine Geschichte mit einer Ziege darin. Es war »Heidi« von Johanna Spyri, gewiß eine nette Geschichte, wenn keine Ziege darin wäre, und wenn die nicht noch obendrein »Schneehöppli« hieße. Durch Namen fixieren wir die Begriffe, nageln wir sie in unserm Gedächtnis fest. Nun hatte Roswithens Sehnsucht einen Namen: »Schneehöppli«; nun saß die Sehnsucht fest.

      »Wenn ich verheiratet bin, dann kann ich doch tun, was ich will, nicht?«

      Sie nahm mein Schweigen für Bejahung.

      »– und wenn ich denn Ludwig heirate, denn kauf' ich mir 'ne Ziege, und die soll »Schneehöppli« heißen. Wenn ich Fritz heirate, der will drei Kinder haben; aber wenn ich Ludwig heirate, der will keine Kinder haben, denn schaff' ich uns 'ne Ziege an.«

      Von Zeit zu Zeit rückte der Termin des Ziegenkaufes ein tüchtiges Stückchen vor. »Wenn ich groß bin, denn kauf' ich mir –« und so weiter. –

      »Wenn ich nicht mehr zur Schule gehe und 'n ganzen Tag frei habe, denn kauf' ich mir –« und so weiter.

      Roswithens ältere Schwester Herta verdiente seit einiger Zeit Geld. Das kam so. Meine Frau und ich sind übereinstimmend der Meinung, daß selbst eine sauber gespielte Sonate von Beethoven und die Fähigkeit, »Comment vous portez-vous« und »I am very glad to see you« und solche gebildeten Dinge zu sagen, für den Lebenskampf eines Weibes nicht ganz ausreichen. Unsere Töchter lernen deshalb einen richtigen Beruf, und Herta interessierte sich lebhaft für den Haushalt. Sie trat bei ihrer Mutter in die Lehre und mußte von der Pike auf dienen, wenn man das Gerät, mit dem der Fußboden gescheuert wird, eine Pike nennen kann. Sie bekam den Namen »Minna«, wurde mit »Sie« angeredet und erhielt fünfzig Taler Lohn pro anno, und abgesehen davon, daß sie öfters der Herrschaft gegenüber einen etwas vertraulichen Ton anschlug und gelegentlich den Hausherrn küßte, füllte sie ihre Stelle redlich

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