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gelungener Arbeit regt wohl bei allen Menschen den Appetit an. Mein diesmaliges Gegenüber am Mittagstisch verzehrte ein Riesenstück von einem Karpfen auf böhmische Art. Ich fragte den Kellner, ob noch ein so gutes Stück da sei, und als er es bejahte, bestellte ich es. Im übrigen aber hielt ich mich streng an die Vorschrift und aß nur noch eine Fleischspeise, ein Gemüse und ein Kompott nebst Brot. Ebenso blieb ich am Abend streng bei meiner Diät, und wenn ich mir darüber hinaus eine Portion Palatschinken bewilligte, so wird nur der etwas darin finden, der diese Speise nicht kennt. Palatschinken sind ganz dünne Pfannkuchen, die mit Kompott oder Fruchtgelee bestrichen und dann aufgerollt werden. Wenn ich den Erfinder dieses Gebäcks kennte, so würde ich ihm ein Denkmal errichten, und wie man Gelehrte, Dichter und Staatsmänner auf ihren Monumenten wohl mit einer Pergamentrolle darstellt, so würde ich ihm einen Palatschinken in die Hand geben. Außerdem muß man wissen, wie solche Sachen in Oesterreich bereitet werden. Ich lobe die österreichischen Mehlspeisen (die man dort merkwürdigerweise »Müllspeisen« nennt) grundsätzlich, weil, wer das unterläßt, beim nächsten Wiederbetreten des Landes als lästiger Ausländer ausgewiesen wird; aber ich lobe sie auch aus innerster Ueberzeugung. Sie werden selbst von den Hamburger Köchen nicht erreicht – sapienti sat.

      So lebte ich abermals fünf Tage in Fasten und Kasteiungen dahin, mir nur hin und wieder einen kleinen Seitensprung gestattend, um das allzu schnelle Entfettungstempo wohltätig zu verlangsamen. Der »Herzkollaps« stand mir als warnendes Gespenst vor Augen. Dabei war ich so intensiv mit meiner Arbeit beschäftigt, daß ich mir beim Frühstück aus reiner Zerstreutheit zwei Eier oder Butter oder Schinken, einmal sogar alles zugleich kommen ließ und in Gedanken verzehrte. Am zehnten Tage schritt ich fröhlich zur Wage. Nach meinem Spiegelbilde und meinem Allgemeingefühl schätzte ich meine Gewichtsabnahme auf drei Pfund. Das Resultat lautete: »94,5 Kilo.«

      »Sie müssen sich irren!« rief ich.

      »Bitt' schön, schauen der Herr selbst nach,« sagte der Mann und gab mir den Zettel.

      »Dann ist Ihre Wage nicht richtig!«

      »Bitt' schön, das ist die genaueste Wage in ganz Marienbad.«

      Gewogen und zu schwer befunden, ein umgekehrter Belsazar, verließ ich wankend das Haus. Ich ging in eine Buchhandlung und kaufte mir das Heft: »Wie werde ich energisch?« und begann meine Kur von vorn.

      Ich trank Brunnen, daß ich zeitweilig an der fixen Idee litt, ich sei ein Rohr der städtischen Wasserleitung; ich knabberte morgens meinen einsamen Zwieback und scherzte dazu blutenden Herzens mit der appetitlichen Kellnerin, »ich kroch durch alle Krümmen des Gebirgs«, die in der Umgegend Marienbads aufzufinden sind, »den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch, die in den Runsen schäumend niederquillt,« und schwitzte, oder, wie der Gebildete sagt: transpirierte, daß man die disjecta membra poetae in der ganzen Gemarkung hätte zusammenlesen können. Beim Mittagessen saß ich mit niedergeschlagenen Augen wie eine züchtige Pastorentochter, um die andern nicht essen zu sehen; denn, weiß der Teufel, obwohl ich jeden Tag anderswo saß, immer hatte ich zum Gegenüber einen Schlemmer und Fresser, der einen Rekord brechen zu wollen schien. Eine Tochter, die mir in diesen Tagen schrieb, daß man zu Hause eine »großartige« Aalsuppe mit Schwemmklößen gegessen habe, verstieß ich auf telegraphischem Wege. Mein »Ugolino« rückte natürlich nicht von der Stelle. Meinem »Freunde« wich ich, wenn ich ihn von weitem sah, in größtmöglichem Bogen aus. Ja, dieser »Freund«, er konnte lachen; er war ein »hagerer Wollüstling« wie Calcagno, »Bildung gefällig und unternehmend«; er konnte machen, was er wollte, er war und blieb geschmeidig wie ein Rapier. Man klagt ein langes und breites über die ungleiche Verteilung des Besitzes, über die ungleiche Verteilung der Geistesgaben, über die ungleiche Verteilung von Schönheit und Körperkraft; aber gibt es eine schreiendere Ungerechtigkeit, als daß Menschen jahraus, jahrein Diners von fünfzehn Gängen mit zugehörigen Weinen und Likören vertilgen, ohne auch nur um die Dicke eines Lindenblättchens zuzunehmen? Muß einen nicht ein darmzerfressender Neid durchwühlen, wenn man das ansieht und um jeden elenden Kartoffelschmarrn ein Pfund schwerer wird?

      Das Traurigste in diesen dunklen Tagen war, daß meine heimischen Zigarren alle geworden waren. In Oesterreich werden die Zigarren von der Regierung gedreht. Sie werden aus einem tabakähnlichen Stoffe verfertigt (ich halte es für eine Art Baumwolle), sind nicht billig, brennen aber vorzüglich und riechen nicht. Man kann sie Säuglingen geben, die die Muttermilch nicht vertragen. Der österreichische Patriot pflegt seine Zigarren zu verteidigen, indem er sagt: »Ja freilich, unsere Zigarren taugen nichts; aber das ist das Gute am Monopol: man kriegt sie in der ganzen Monarchie, auch im kleinsten Dorf, in der nämlichen Qualität!« Uebrigens stimmt das nicht einmal; denn in den kleinen Spezereigeschäften auf den Dörfern werden sie gewöhnlich zwischen Petroleum und Chlorkalk aufbewahrt, und dann riechen sie. Freilich halten sie auch dann keinen Vergleich aus mit den italienischen Zigarren. Aus einer Zigarre in Venedig roch ich einmal Seife, Zimt, Gorgonzola, Buchdruckerschwärze, ranziges Oel, Rhabarbertropfen, Kaffee und muffig gewordene Spaghetti heraus. An der Schweizer Grenze fragte mich ein Zollbeamter, ob ich auch italienische Zigarren im Koffer hätte. »Herr!« rief ich außer mir. »Wie kommen Sie dazu, mir Perversitäten zuzumuten?!«

      Warum ich mir keine Zigarren von Deutschland hereingeschmuggelt hatte? Ich halte mich nicht für berechtigt, einen Staat, mit dem wir einen Dreibund geschlossen haben, in seinen Finanzen zu schwächen. Offen gestanden, hatt' ich's auch vergessen.

      An einem dieser Tage, von denen schon die Koheleth sehr richtig bemerkt, daß sie uns nicht gefallen, stand ich gedankenvoll vor dem Stadt- und Posthause, noch beschäftigt mit einem Brief, in dem mir Weib und Kinder ihre Verlassenheit klagten. Wie gern wäre ich zu ihnen geeilt, wenn nicht Pflichten gegen das schnöde Fleisch mich an diesen Marterort gebannt hätten. Da fiel eine Hand auf meine Schulter, und neben mir stand mein Freund Calcagno.

      »Famos, daß ich Sie treffe!« rief er, »gerade wollt' ich Ihnen schreiben. Also morgen um drei Uhr kommen ein paar nette Kerle zu mir zu einem einfachen Mittagessen. Tun Sie mir die Liebe, mit von der Partie zu sein!«

      Ich kannte seine »einfachen Mittagessen«; Lucullus war Kasernenküche dagegen. Ich lehnte ab unter Hinweis auf meine Kur.

      »Aber, Teuerster, Ihre Kur soll nicht das geringste darunter leiden! Lauter leichte Sachen! Schließlich brauchen Sie ja nur zu essen, was sich mit Ihrer Kur verträgt! Und wenn Sie nicht wollen, essen Sie gar nichts! Wenn Sie nur dabei sind!«

      Ich bemerkte noch einmal mit vor Entschlossenheit bebender Stimme, daß ich fest bleiben müsse.

      »Aber jeder vernünftige Arzt gestattet doch Ausnahmetage; er schreibt sie sogar vor. ›Meide die Gewohnheit,‹ sagt Schweninger, ein Mann, der Bismarck entfettete! Wenn Sie sich an diese Lebensweise gewöhnen, werden Sie dick statt mager. Es ist eine bekannte Beobachtung, daß Sträflinge sogar bei der Zuchthausmenage fett werden –«

      »Sie haben recht!« rief ich im frohen Gefühl, eine neue Wahrheit gefunden zu haben. »Ich komme; ich komme bestimmt!«

      »Na bravo! Das ist ein Manneswort. Sie werden sehen, es wird nett!«

      O, ob es nett wurde! Es gab Kaviar, getrüffelte Gänseleber, Brüsseler Poularde, Langusten, Zungenragout, Sorbet usw. usw. Dazu 68er Stefansberg, 93er Hattenheimer Bildstock, 69er Lafitte Schloß-Abzug, 47er Yquem, ganz alten Heidsieck; kurz: Weine von einem unglaublichen Innenleben und von einem Alter, daß man bei jedem Glase unwillkürlich nach dem Kopfe griff, um ehrerbietig den Hut abzunehmen. Und zu jedem Gericht und jedem Wein gab der Wirt nicht ohne Scharfsinn eine überzeugende Erklärung, warum und inwiefern sie kurgemäß wären. Von dem alten Heidsieck zu trinken, verbot mir gleichwohl meine Selbstzucht.

      »Auf Sekt will ich denn doch lieber verzichten,« erklärte ich und hielt die Hand übers Glas.

      »Warum denn gerade auf Sekt?« rief Calcagno mit grenzenlosem Erstaunen. »Alle Rennpferde kriegen Sekt! Haben Sie schon einmal ein korpulentes Rennpferd gesehen?«

      Für streng logische Schlüsse habe ich immer eine Schwäche besessen; ich zog meine Hand zurück. – –

      Andern Mittags, als ich aufgestanden war, schlenderte ich über die Kreuzbrunnenpromenade

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