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kam mir in den Sinn. – Ich wußte nun, woher die plötzliche Gärung im Innern, die Änderung meines Gemüts entstanden; ich schämte mich meines freveligen Beginnens, und diese Scham galt mir in dem Augenblick für die tiefe Reue und Zerknirschung, die ich in wahrhafter Buße hätte empfinden sollen. So war ich in tiefes Nachdenken versunken und hörte kaum auf den Alten, der nun, wieder auf die Jägerei gekommen, mir manchen Strauß schilderte, den er mit den bösen Freischützen gehabt. Die Dämmerung war eingebrochen, und wir standen vor dem Gebüsch, in dem die Hühner liegen sollten; der Förster stellte mich auf meinen Platz, schärfte mir ein, weder zu sprechen noch sonst mich viel zu regen und mit gespanntem Hahn recht sorglich zu lauschen. Die Jäger schlichen leise auf ihre Plätze, und ich stand einsam in der Dunkelheit, die immer mehr zunahm. – Da traten Gestalten aus meinem Leben hervor im düstern Walde. Ich sah meine Mutter, die Äbtissin, sie schauten mich an mit strafenden Blicken. – Euphemie rauschte auf mich zu mit totenbleichem Gesicht und starrte mich an mit ihren schwarzen, glühenden Augen, sie erhob ihre blutigen Hände, mir drohend, ach, es waren Blutstropfen, Hermogens Todeswunde entquollen, ich schrie auf! – Da schwirrte es über mir in starkem Flügelschlag, ich schoß blindlings in die Luft, und zwei Hühner stürzten getroffen herab. “Bravo!” rief der unfern von mir stehende Jägerbursche, indem er das dritte herabschoß. – Schüsse knallten jetzt ringsumher, und die Jäger versammelten sich, jeder seine Beute herbeitragend. Der Jägerbursche erzählte, nicht ohne listige Seitenblicke auf mich, wie ich ganz laut aufgeschrien, da die Hühner dicht über meinem Kopf weggestrichen, als hätte ich großen Schreck, und dann, ohne einmal recht anzulegen, blindlings drunter geschossen und doch zwei Hühner getroffen; ja, es sei in der Finsternis ihm vorgekommen, als hätte ich das Gewehr ganz nach anderer Richtung hingehalten, und doch wären die Hühner gestürzt. Der alte Förster lachte laut auf, daß ich so über die Hühner erschrocken sei und mich nur gewehrt habe mit Drunterschießen. – “Übrigens, mein Herr”, fuhr er fort, “will ich hoffen, daß Sie ein ehrlicher, frommer Weidmann und kein Freijäger sind, der es mit dem Bösen hält und hinschießen kann, wo er will, ohne das zu fehlen, was er zu treffen willens.” – Dieser gewiß unbefangene Scherz des Alten traf mein Innerstes, und selbst mein glücklicher Schuß in jener aufgeregten, entsetzlichen Stimmung, den doch nur der Zufall herbeigeführt, erfüllte mich mit Grauen. Mit meinem Selbst mehr als jemals entzweit, wurde ich mir selbst zweideutig, und ein inneres Grausen umfing mein eignes Wesen mit zerstörender Kraft. Als wir ins Haus zurückkamen, berichtete Christian, daß der Mönch sich im Turm ganz ruhig verhalten, kein einziges Wort gesprochen und auch keine Nahrung zu sich genommen habe. “Ich kann ihn nun nicht länger bei mir behalten”, sprach der Förster, “denn wer steht mir dafür, daß sein, wie es scheint, unheilbarer Wahnsinn nach langer Zeit nicht aufs neue ausbricht und er irgendein entsetzliches Unheil hier im Hause anrichtet; er muß morgen in aller Frühe mit Christian und Franz nach der Stadt; mein Bericht über den ganzen Vorgang ist längst fertig, und da mag er denn in die Irrenanstalt gebracht werden.”

      Als ich in meinem Gemach allein war, stand mir Hermogens Gestalt vor Augen, und wenn ich sie fassen wollte mit schärferem Blick, wandelte sie sich um in den wahnsinnigen Mönch. Beide flössen in meinem Gemüt in eins zusammen und bildeten so die Warnung der höhern Macht, die ich wie dicht vor dem Abgrunde vernahm. Ich stieß an die Korbflasche, die noch auf dem Boden lag; der Mönch hatte sie bis auf den letzten Tropfen ausgeleert, und so war ich jeder neuen Versuchung, davon zu genießen, enthoben; aber auch selbst die Flasche, aus der noch ein starker berauschender Duft strömte, schleuderte ich fort durch das offne Fenster über die Hofmauer weg, um so jede mögliche Wirkung des verhängnisvollen Elixiers zu vernichten. – Nach und nach wurde ich ruhiger, ja der Gedanke ermutigte mich, daß ich auf jeden Fall in geistiger Hinsicht erhaben sein müsse über jenen Mönch, den das dem meinigen gleiche Getränk in wilden Wahnsinn stürzte. Ich fühlte, wie dies entsetzliche Verhängnis bei mir vorübergestreift; ja, daß der alte Förster den Mönch eben für den unglücklichen Medardus, für mich selbst, hielt, war mir ein Fingerzeig der höheren, heiligen Macht, die mich noch nicht sinken lassen wollte in das trostlose Elend. – Schien nicht der Wahnsinn, der überall sich mir in den Weg stellte, nur allein vermögend, mein Inneres zu durchblicken und immer dringender vor dem bösen Geiste zu warnen, der mir, wie ich glaubte, sichtbarlich in der Gestalt des bedrohlichen, gespenstischen Malers erschienen? Unwiderstehlich zog es mich fort nach der Residenz. Die Schwester meiner Pflegemutter, die, wie ich mich besann, der Äbtissin ganz ähnlich war, da ich ihr Bild öfters gesehen, sollte mich wieder zurückführen in das fromme, schuldlose Leben, wie es ehemals mir blühte, denn dazu bedurfte es in meiner jetzigen Stimmung nur ihres Anblicks und der dadurch erweckten Erinnerungen. Dem Zufall wollte ich es überlassen, mich in ihre Nähe zu bringen.

      Kaum war es Tag worden, als ich des Försters Stimme im Hofe vernahm; früh sollte ich mit dem Sohne abreisen, ich warf mich daher schnell in die Kleider. Als ich herabkam, stand ein Leiterwagen mit Strohsitzen zum Abfahren bereit vor der Haustür; man brachte den Mönch, der mit totenbleichem und verstörtem Gesicht sich geduldig führen ließ. Er antwortete auf keine Frage, er wollte nichts genießen, kaum schien er die Menschen um sich zu gewahren. Man hob ihn auf den Wagen und band ihn mit Stricken fest, da sein Zustand allerdings bedenklich schien und man vor dem plötzlichen Ausbruch einer innern verhaltenen Wut keinesweges sicher war. Als man seine Arme festschnürte, verzog sich sein Gesicht krampfhaft, und er ächzte leise. Sein Zustand durchbohrte mein Herz, er war mir verwandt worden, ja nur seinem Verderben verdankte ich vielleicht meine Rettung. Christian und ein Jägerbursche setzten sich neben ihm in den Wagen. Erst im Fortfahren fiel sein Blick auf mich, und er wurde plötzlich von tiefem Staunen ergriffen; als der Wagen sich schon entfernte (wir waren ihm bis vor die Mauer gefolgt), blieb sein Kopf gewandt und sein Blick auf mich gerichtet. “Sehen Sie”, sagte der alte Förster, “wie er Sie so scharf ins Auge faßt; ich glaube, daß Ihre Gegenwart im Speisezimmer, die er nicht vermutete, auch viel zu seinem rasenden Beginnen beigetragen hat, denn selbst in seiner guten Periode blieb er ungemein scheu und hatte immer den Argwohn, daß ein Fremder kommen und ihn töten würde. Vor dem Tode hat er nämlich eine ganz ungemessene Furcht, und durch die Drohung, ihn gleich erschießen zu lassen, habe ich oft den Ausbrüchen seiner Raserei widerstanden.” Mir war wohl und leicht, daß der Mönch, dessen Erscheinung mein eignes Ich in verzerrten, gräßlichen Zügen reflektierte, entfernt worden. Ich freuete mich auf die Residenz, denn es war mir, als solle dort die Last des schweren finstern Verhängnisses, die mich niedergedrückt, mir entnommen werden, ja, als würde ich mich dort, erkräftigt, der bösen Macht, die mein Leben befangen, entreißen können. Als das Frühstück verzehrt, fuhr der saubre, mit raschen Pferden bespannte Reisewagen des Försters vor. – Kaum gelang es mir, der Frau für die Gastlichkeit, mit der ich aufgenommen, etwas Geld, sowie den beiden bildhübschen Töchtern einige Galanteriewaren, die ich zufällig bei mir trug, aufzudringen. Die ganze Familie nahm so herzlichen Abschied, als sei ich längst im Hause bekannt gewesen, der Alte scherzte noch viel über mein Jägertalent. Heiter und froh fuhr ich von dannen.

      Vierter Abschnitt

      Das Leben am fürstlichen Hofe

       Inhaltsverzeichnis

      Die Residenz des Fürsten bildete gerade den Gegensatz zu der Handelsstadt, die ich verlassen. Im Umfange bedeutend kleiner, war sie regelmäßiger und schöner gebaut, aber ziemlich menschenleer. Mehrere Straßen, worin Alleen gepflanzt, schienen mehr Anlagen eines Parks zu sein als zur Stadt zu gehören; alles bewegte sich still und feierlich, selten von dem rasselnden Geräusch eines Wagens unterbrochen. Selbst in der Kleidung und in dem Anstände der Einwohner bis auf den gemeinen Mann herrschte eine gewisse Zierlichkeit, ein Streben, äußere Bildung zu zeigen.

      Der fürstliche Palast war nichts weniger als groß, auch nicht im großen Stil erbaut, aber rücksichts der Eleganz, der richtigen Verhältnisse eines der schönsten Gebäude, die ich jemals gesehen; an ihn schloß sich ein anmutiger Park, den der liberale Fürst den Einwohnern zum Spaziergange geöffnet. Man sagte mir in dem Gasthause, wo ich eingekehrt, daß die fürstliche Familie gewöhnlich abends einen Gang durch den Park zu machen pflege und daß viele Einwohner diese Gelegenheit niemals versäumten, den gütigen Landesherrn zu sehen. Ich eilte um die bestimmte Stunde in

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