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sie miteinander zum Missionshaus zurück. Tarvins Entrüstung, daß Käte in eine solch abscheuliche Sache verwickelt werden sollte, machte ihn beinahe ärgerlich über Käte selbst, aber beim Anblick des kranken Knaben schwand aller Groll aus seiner Seele. Fast zu schwach, um den Kopf zu heben, lag das Kind auf einem Bett im Missionshaus. Frau Estes, die ihm eben seine Arznei gereicht hatte, stand auf, erstattete kurzen Bericht und ging wieder ihrer eigenen Arbeit nach. Ein weißes Musselinhemd war alles, was der Knabe trug, aber sein Säbel und der juwelenbesetzte Gurt lagen quer über seine Beine.

      »Salaam Tarvin Sahib,« murmelte er mit schwacher Stimme. »Es thut mir sehr leid, daß ich krank war….« Tarvin beugte sich zärtlich über ihn.

      »Strenge dich nur nicht mit Sprechen an, mein Kleiner!«

      »Ich bin ja wieder wohl jetzt … bald wollen wir miteinander ausreiten, Tarvin Sahib. …«

      »Warst du sehr übel dran, kleiner Mann?«

      »Ich weiß es nicht. Mir ist alles dunkel. Ich war im Palast … habe gelacht über die Tänzerinnen … dann bin ich umgefallen. Ich weiß nicht, was dann geschah … wie ich hierherkam. …«

      Er schluckte gierig das kühlende Getränk, das ihm Käte vorhielt, dann sank der Kopf in die Kissen zurück, indes das eine wachsgelbe Händchen mit dem Säbelgriff spielte. Käte kniete neben dem Bett und schob den Arm unter sein Kissen, um den Kopf zu stützen. Tarvin glaubte nie vorher genügend gewürdigt zu haben, wieviel Schönheit in ihrem guten, klugen, wahrhaftigen Gesicht lag. Die sonst herb mädchenhafte Gestalt nahm weichere Linien an, der entschlossene Mund zuckte, und aus den feuchten Augen leuchtete ein Liebesstrahl, den Tarvin noch nie gesehen hatte.

      »Komm auf die andre Seite – so,« befahl der kleine Kranke, nach indischer Art durch rasches Einziehen und Spreizen der schmächtigen Finger seinen Wunsch ergänzend.

      Gehorsam kniete Tarvin an der andern Seite des Betts nieder. »So, jetzt bin ich der König und ihr seid mein Hofstaat.«

      Käte lachte melodisch, voll Wonne, daß der Knabe sich so rasch zu erholen schien. Tarvin schob seinen Arm auch unter das Kopfkissen, erwischte dort Kätes Hand und hielt sie fest.

      Der Thürvorhang hob sich leise. Frau Estes hatte ein wenig nach dem Kranken sehen wollen, was sie sah, veranlaßte sie aber, sich leise wieder fortzustehlen. Verwunderlich kam es ihr nicht vor; sie hatte sich ja schon bei Tarvins erstem Besuch ihre Gedanken gemacht.

      Jetzt wurden die Augen des Knaben abermals trüb und schwer und Käte wollte aufstehen, um ihm wieder etwas zu trinken zu geben.

      »Nein, nein, bleib so,« rief er befehlshaberisch und setzte dann, in die heimische Mundart verfallend, mit schwerer Zunge hinzu, »die dem König dienen, sollen ihres Lohns nicht verlustig gehen. Sie sollen Dörfer haben, steuerfreie … drei, fünf Dörfer … Sujjain, Amet und Gungra. Als freies Geschenk sollen sie eingetragen werden, wenn sie heiraten … sie sollen heiraten und immer um mich sein … Fräulein Käte und Tarvin Sahib. …«

      Tarvin begriff nicht, weshalb Kätes Hand plötzlich aus der seinigen schlüpfte; er verstand die Mundart nicht wie sie.

      »Nun fängt er wieder zu phantasieren an,« flüsterte sie leise. »Das arme, arme Kind!«

      Tarvin biß die Zähne zusammen und verfluchte im stillen diese Sitabhai. Käte trocknete dem Knaben den Schweiß von der Stirn und suchte den Kopf, den er jetzt rastlos herumwarf, besser zu stützen. Tarvin hielt ihm die Hände fest, deren dünne Fingerchen sich um die seinigen krallten, während der kleine Körper von den letzten Wirkungen des Giftes geschüttelt wurde.

      Ein paar Minuten lang schlug das Kind wild um sich, rief die Namen aller möglichen Götter an, wollte nach seinem Säbel greifen und erteilte einem unsichtbaren Regiment Befehle, diese weißen Hunde an die Pfosten des Palastthors zu hängen und zu Tode zu räuchern.

      Dann ließen die Krämpfe nach, er sprach leise vor sich hin und rief nach seiner Mutter.

      Vor Tarvins innerem Auge stand eine ferne Ebene, die sich sachte zum Fluß hinabsenkte. Dort hatten sie den Kirchhof von Topaz abgesteckt gehabt, als ein kleines Grab gegraben werden mußte. Hecklers erstes Kind war in einem roh gezimmerten Särglein von Tannenholz hinabgesenkt worden, Käte hatte daneben gestanden und auf ein fingerlanges Brettchen von Tannenholz, das sein einziges Grabmal bildete, Namen, Geburts-und Todestag des Kindes geschrieben.

      »Nein, nein, nein!« wimmerte der Maharadscha Kunwar. »Ich lüge nicht, ich spreche die Wahrheit, und ich war so müde, so müde von dem heidnischen Tanz im Tempel, daß ich nur gerade über den Hof ging. … Es war eine neue Tänzerin da, ein Mädchen aus Lucknow, und sie sang von dem ›grünen Busch von Mundora‹…. Jawohl, aber nur ein bißchen Mandelkäse, weißen Mandelkäse, Mutter. Ich war so hungrig, Mutter … ein Stückchen weißen Mandelkäse … warum soll ich nicht essen, wenn ich Lust dazu habe? Bin ich eines Straßenkehrers Sohn oder ein Prinz, Mutter? Hebt mich auf! Hebt mich auf! Es ist schrecklich heiß in meinem Kopf, ganz innen … Lauter, lauter … ich verstehe nicht… bringt man mich zu Käte? Käte wird mich gesund machen! Wie war die Botschaft?«

      Das Kind rang verzweifelnd die Hände.

      »Die Botschaft! Die Botschaft! Ich habe sie vergessen. … Keiner im ganzen Staat spricht englisch wie ich … aber die Botschaft hab’ ich vergessen …

      »Tiger, Tiger, glühend bunt

       In dem Wald zur Nacht,

       Welch unsterblich Wesen schuf

       Deiner Farben Pracht.

      »Jawohl, Mutter … bis sie weint. Das Ganze soll ich sagen, bis sie weint, ich will’s nicht vergessen, ich hab’s ja auch nicht vergessen das erste Mal. … Beim großen Gott Har! Nun hab’ ich’s doch vergessen.«

      Er fing bitterlich zu weinen an.

      Käte, die schon an so vielen Schmerzenslagern gestanden hatte, blieb ruhig und stark. Sie beschwichtigte das Kind mit leiser, besänftigender Stimme, reichte ihm einen beruhigenden Trank und that, wie Tarvin bewundernd sah, gelassen und sicher in jedem Augenblick das Richtige. Er dagegen war im Innersten erschüttert vom Anblick dieser Qualen und von der Hilflosigkeit, womit er dabeistehen mußte.

      Der Maharadscha Kunwar that einen tiefen schluchzenden Atemzug und zog die Brauen kraus.

      »Mahadeo ki jai!« schrie er. »Es kommt wieder, es fällt mir ein! Eine Zigeunerin hat’s gethan, eine Zigeunerin hat’s gethan … und das soll ich sagen, bis sie weint. …«

      Käte richtete sich auf; es war ein furchtbarer Blick, womit sie Tarvin ansah. Er verstand ihn, nickte ihr zu und ging, sich hastig die Augen trocknend, hinaus.

      Sechzehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      »Ich will den Maharadscha sprechen!«

      »Der Maharadscha ist nicht zu sprechen.«

      »Dann warte ich, bis er kommt.«

      »Er wird den ganzen Tag nicht kommen.«

      »Dann warte ich den ganzen Tag.«

      Tarvin setzte sich bequem zurecht im Sattel und stellte sein Pferd genau in die Mitte des Hofs, wo seine Zusammenkünfte mit dem Maharadscha in der Regel stattfanden.

      Die Tauben schliefen im Sonnenschein, der Springbrunnen führte ein Selbstgespräch, wie eine Taube gurrt, ehe sie ihr Nest aufsucht. Die weißen Marmorfliesen glühten und strahlten die Hitze wider, heiße Luftwellen fluteten von den grün vergitterten Mauern herab. Der Thorhüter wickelte sich wieder in sein Leintuch und schlief weiter, und mit ihm schlief, so schien es, die ganze Welt in einem Schweigen befangen so überwältigend wie die Hitze. Tarvins Roß biß in die Zaumstange, und das Klirren des Metalls erweckte das Echo der schweigenden Wände. Der Mann darauf schlang ein großes seidenes Taschentuch um den Hals, um den Sonnenstrahlen wenigstens

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