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zum Entsetzen von Josef Rosenknecht.

      »Was haben Sie vor?«, fragte er schrill. »Ich bin doch kein Karnickel, in dem Sie einfach mit einer Pinzette herumstochern können! Sind Sie denn überhaupt ein richtiger Arzt?« Wenn es seine Körpermasse zugelassen hätte, wäre er am liebsten von der Liege gesprungen. So aber war er Danny hilflos ausgeliefert.

      Der junge Arzt holte tief Luft und versenkte die Pinzette im Bauchnabel seines Patienten, ruckelte und zerrte ein wenig. Josef stieß einen Schmerzensschrei aus, als Danny triumphierend und sichtlich erleichtert die Pinzette hochhielt.

      Der Tierarzt hatte sich inzwischen wieder gefangen. Ungläubig starrte er auf das undefinierbare Stück, das Danny mit der Pinzette hochhielt.

      »Was um alles in der Welt ist das denn?«, fragte er sichtlich entsetzt.

      »Wann haben Sie denn zum letzten Mal den Bauchnabel gereinigt?«, stellte Danny Norden übermütig vor Erleichterung eine Gegenfrage.

      »Meinen Bauchnabel?« Josef sah den jungen Arzt ungläubig an. »Der wird doch von selbst sauber wie bei allen Säugetieren. Oder haben Sie schon mal einem Schimpansen beim Bauchnabelbohren zugeschaut?«, fragte er in seiner rustikalen Art, die Danny zum Lachen brachte.

      »Das hier ist ein sogenannter Nabelstein, der sich entwickeln kann, wenn man den Schmutz im Bauchnabel nicht regelmäßig entfernt.« In diesem Moment schickte Danny einen dankbaren Gedanken gen Himmel. Er galt seinem Professor, der in einer äußerst vergnüglichen Vorlesung kuriose Fälle der Medizin vorgestellt hatte. Nicht im Traum hatte Danny daran gedacht, dass ihm dieses Wissen einmal nützlich sein könnte und die Stunde als gute, aber sinnlose Unterhaltung verbucht. Weit gefehlt, wie er an diesem Nachmittag feststellte.

      »In Ihrem Fall hat sich der Stein in die Haut gefressen und dort eine Entzündung verursacht«, erklärte er, während er sich daranmachte, die entstandene Wunde fachgerecht zu reinigen und zu desinfizieren. »Kein Wunder, dass Sie Schmerzen hatten.«

      Während er geschickt arbeitete, herrschte tiefe Stille im Raum. Nur der Atem von Josef Rosenknecht war zu hören und gedämpfte Geräusche, die von der Straße und vom Rest der Praxis ins Behandlungszimmer drangen.

      »So, jetzt verschreibe ich Ihnen noch ein Antibiotikum, und in ein paar Tagen kommen Sie wieder vorbei zur Kontrolle.« Danny hatte seine Arbeit beendet und half seinem Patienten von der Liege.

      Sichtlich verlegen stand der Tierarzt vor ihm.

      »Hmhm«, räusperte er sich umständlich. »Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«

      »Schon gut. So ein Irrtum kann ja jedem mal passieren«, winkte Danny großmütig ab. Nie im Leben hätte er zugegeben, dass er sich unglaublich darüber freute, einen weiteren Patienten von seinen Fähigkeiten überzeugt zu haben. Das gelang ihm beileibe nicht immer, und jedes Mal war es ein echter Triumph. Der Lohn harter Arbeit, Empathie und ausgesprochener Freundlichkeit den Patienten gegenüber. »Wer weiß, vielleicht würde es mir ähnlich ergehen«, gab er zu, während er Herrn Rosenknecht zur Tür brachte. Er reichte seinem Patienten die Hand.

      »Wie auch immer: Sie sind ein guter Arzt und werden Ihrem Vater eines Tages ganz schön Konkurrenz machen. Na, wenigstens nehmen Sie mir keine Patienten weg.« Josef lächelte breit und nickte anerkennend. »Ihr Vater kann stolz auf Sie sein.« Mit diesen Worten verließ der Tierarzt das Behandlungszimmer und ließ einen stolzen jungen Arzt zurück, der wieder einmal die Bestätigung bekommen hatte, genau am richtigen Ort zu sein und das zu tun, was sein Herz ihm befahl.

      *

      Gegen Abend wurde es ruhiger in der Praxis Dr. Norden, sodass Wendy ihre Neugier endlich stillen konnte.

      »Und? Wie geht es dir jetzt als Strohwitwe?«, fragte sie ihre Kollegin Janine, während sie Laborberichte in Patientenkarten einsortierte. »Bereust du es schon, nicht mit Lorenz nach Amerika gegangen zu sein?«

      »Seh ich so aus?« Janine lachte leise.

      »Na ja, am Anfang warst du nicht gerade begeistert.« Wendy stand an einer der großen Schubladen und blätterte durch die Karten und wieder zurück. »Hast du die Karte von Rebecca Schultze gesehen?«

      »Schultze, Schultze«, dachte Janine laut nach, als es ihr einfiel. »Schau mal, die hab ich hierhergelegt, weil sie morgen einen Termin hat.« Sie reichte Wendy die Akte und sann über die Frage nach, die ihre Kollegin und Freundin ihr zuvor gestellt hatte. »Am Anfang war es wirklich schwierig«, gestand sie nach einer Weile. »Vor allen Dingen auch wegen der Zeitverschiebung. Das passt nie zusammen. Wenn ich Zeit zum Telefonieren habe, hat er keine, und umgekehrt.«

      »Ich glaube, jede neue Lebenssituation ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss, wenn es gelingen soll«, erwiderte Wendy, die sich sicher war, dass ihr diese Art von Herausforderungen eindeutig zu anstrengend war.

      »Es ist halt wie in einer normalen Beziehung, an der man ja auch immer arbeiten muss«, sagte Ja­nine. Mit sinnendem Blick saß sie am Schreibtisch und dachte nach. »Nur, dass Lorenz gar nicht da ist und im Übrigen auch kaum Zeit hat, mich zu vermissen. Es ist genau so, wie du gesagt hast.« Sie schickte Wendy einen innigen Blick. »Er ist so sehr damit beschäftigt, sich um die geschäftlichen Dinge zu kümmern, dass ich in Amerika völlig überflüssig wä­re.«

      Wendy, die die aufkeimende Trauer spürte, umarmte ihre Freundin spontan.

      »Ganz im Gegensatz zu hier. Hier wirst du gebraucht. An allen Ecken und Enden.«

      »Janine, können Sie bitte mal kommen?«, hallte im selben Augenblick Dannys Stimme über den Flur.

      Die beiden Kolleginnen sahen sich verblüfft an, ehe sie in amüsiertes Gelächter ausbrachen und sich Janine auf den Weg zum Juniorchef machte.

      *

      »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Ungläubig starrte Danny Norden seine Freundin Tatjana an, die sich eine große Portion Kartoffelsalat auf den Teller häufte. »Du bist immer noch nicht satt? Nach zwei großen Portionen Eis?«

      »Erstens hast du mir von der einen Portion fast alles weggegessen«, erwiderte sie und lächelte unschuldig in die Runde der Familie Norden, die auch an diesem Abend wieder mit ihrem orientalischen Gast zusammen auf der Terrasse saß und es sich gut gehen ließ. »Und zweitens kann ich Lennis Kartoffelsalat unmöglich wiederstehen.«

      Lenni, die gerade Nachschub brachte, lächelte vor Freude über dieses Kompliment von einem Ohr bis zum anderen.

      »Endlich mal jemand, der meine Küche zu schätzen weiß«, bemerkte sie augenzwinkernd mit einem Blick auf Janni, mit dem sie neulich eine Diskussion über Edelfischnocken geführt hatte.

      »Ich hab mich noch nie beschwert. Dein Essen schmeckt immer super!«, erklärte Anneka mit Nachdruck.

      »Ich schließe mich der Meinung des jungen Fräuleins an.« Der Prinz zwinkerte Anneka verschwörerisch zu. Schlagartig wurden ihre Wangen dunkelrot, und sie senkte schnell den Blick. »Alles, was Sie mir bisher serviert haben, war schlicht fantastisch. Am liebsten würde ich Sie mit in den Orient nehmen, damit Sie für meinen Vater und seine Familie kochen können. Ahmed wäre begeistert«, fuhr Hasher mit dunkel leuchtendem Blick fort.

      Vor Schreck wurden Lennis Augen rund.

      »In den Orient? Ich? Um Gottes willen!«, rief sie und lief schnell zurück ins Haus, als wollte er sie gleich fangen und einpacken.

      Alle lachten. Nur Hasher klang nicht mehr so fröhlich wie noch am Abend zuvor. Fee bemerkte es als Erste. Doch im Moment ließ sie sich nichts anmerken. Dafür war später, wenn sich die fröhliche Runde aufgelöst hatte, noch Zeit genug.

      Danny nutzte die Gelegenheit inzwischen, um die Erfahrungen mit seinem Patienten Dr. Rosenknecht zum Besten zu geben.

      »Josef Rosenknecht?«, fragte Daniel amüsiert. »Ausgerechnet der rustikale Veterinär hat an deiner Qualifikation gezweifelt?«

      »Ich fand das überhaupt nicht zum Lachen«, gab Danny verstimmt zurück. »Ich hatte nur Glück, dass mir

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