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dann fällt die kahle Stelle wenigstens nicht mehr auf, die du dir vom Anstoßen am Regal geholt hast«, kicherte Tatjana und drückte ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange, bevor sie aus dem Auto stieg und sich mit dem Blindenstock einen Weg zur Haustür bahnte.

      Kopfschüttelnd und grinsend sah Danny seiner Freundin nach. Das Zusammensein mit ihr war jedes Mal ein Fest, und schon jetzt freute er sich darauf, am Abend die Eisdiele für sie leer zu kaufen. Doch davor warteten einige Patienten darauf, von ihm verarztet zu werden, und pflichtbewusst machte er sich auf den Weg.

      »Bei meiner Bekannten war es aber genauso, Herr Doktor«, versicherte die Dame Anfang siebzig, die bei Dr. Norden auf der Behandlungsliege lag und ihn misstrauisch ansah. »Und die hatte einen Schlaganfall.«

      »Nein, Frau Hübchen, da können Sie ganz beruhigt sein«, wiederholte Daniel geduldig und legte eine Schaumstoffrolle unter die Unterschenkel seiner Patientin. »Sie hatten einen kleinen Schwächeanfall und bekommen jetzt von meiner Assistentin eine kreislaufstabilisierende Injektion.« Eigentlich hätte Henrike Hübchen eine Tasse Kaffee zur Unterstützung ihres niedrigen Blutdrucks genügt. Da sie sich damit aber nicht zufriedengeben wollte, tat Daniel ihr den Gefallen und verordnete ihr das Stärkungsmittel. Das gab auch ihm Sicherheit, dass sie zumindest ohne weiteren Schwindelanfall nach Hause kommen würde.

      »Wie können Sie so sicher sein?«, reklamierte die ältere Da­me weiter. »Meine linke Seite ist schon ganz taub, und es kribbelt alles.«

      Nur mit Mühe konnte sich Dr. Norden ein Lächeln verkneifen.

      »Was denn jetzt? Ist die Seite taub oder kribbelt sie?«

      Henrike Hübchen, die ihr Versehen bemerkt hatte, wurde sichtlich verlegen. »Ach, es fühlt sich eben komisch an. Aber vielleicht doch nicht wie ein Schlaganfall«, räumte sie kleinlaut ein.

      Jetzt lachte Daniel doch. »Na, sehen Sie. Dann ist ja alles halb so wild.« Beruhigend tätschelte er die Hand seiner Patientin. »Gleich kommt Janine und gibt Ihnen eine kleine Spritze. Dann sind Sie wieder ganz die Alte.«

      »Jetzt halten Sie mich bestimmt für eine eingebildete Kranke«, verfiel Henrike Hübchen unvermittelt in einen klagenden Jammerton.

      Dr. Norden, der schon auf dem Weg zur Tür gewesen war, kehrte noch einmal zur Liege zurück.

      »Auf keinen Fall«, versicherte er herzlich. »Ganz im Gegenteil bin ich sogar sehr froh über Ihre Hartnäckigkeit. Das zeigt mir nämlich, dass Sie bald wieder auf den Beinen sein werden.« Er lächelte innig. »Und jetzt versprechen Sie mir bitte noch, dass Sie nicht mehr in der Mittagshitze einkaufen gehen, sondern die Besorgungen in Zukunft auf den Morgen oder den frühen Abend verlegen.«

      Frau Hübchen versprach es, und Daniel verließ das Zimmer, um seiner neuen Assistentin Janine die entsprechenden Anweisungen zu geben.

      »Frau Hübchen soll sich auf jeden Fall noch eine Stunde hier ausruhen, bevor sie uns wieder verlässt«, gab er seiner Helferin mit auf den Weg. Nach jahrelanger Tätigkeit in der Behnisch-Klinik war der gelernten Krankenschwester die Arbeit zu anstrengend geworden. Obwohl sie bereits über dreißig war, hatte die mädchenhafte, zierliche Janine Merck allen Mut zusammengenommen und sich in der Praxis Dr. Norden als Praktikantin beworben. Innerhalb kürzester Zeit war sie aus dem Team nicht mehr wegzudenken und hatte auch Freundschaft mit Wendy geschlossen. Deshalb war es nur selbstverständlich, dass Daniel Norden die fleißige Kraft nach Absprache mit seiner Familie vor Kurzem fest angestellt hatte. Jetzt sah Daniel ihr zufrieden nach, wie Janine mit den benötigten Medikamenten, einer Flasche Wasser und einer Zeitung in Richtung Behandlungszimmer verschwand.

      »Sieht so aus, als ob Janine den Abschied von ihrem Verlobten ganz gut verkraftet hat«, stellte Daniel dann in Wendys Richtung fest. Seine langjährige Assistentin saß hinter dem Tresen und schrieb einen Bericht für einen Kollegen.

      »Wenn Sie mich fragen, ist eine Fernbeziehung die einzige Art, wie man es dauerhaft mit einem Mann aushält«, gab Wendy keck zurück, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.

      Daniel, der von ihren letzten beiden unerfreulichen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht wusste, lachte laut auf. Er suchte noch nach einem passenden Kommentar, als das Telefon klingelte.

      »Praxis Dr. Norden, Sie sprechen mit Wendy. Was kann ich für Sie tun?«, begrüßte Wendy den Anrufer wie immer mit zuvorkommender Höflichkeit. Dabei blinzelte sie ihrem Chef zu. Doch während sie dem Anliegen des Anrufers aufmerksam lauschte, wurde ihre Miene ernst. »Natürlich. Ich denke, es ist besser, wenn ich sofort einen Wagen von der Klinik anfordere. Aber Dr. Norden kommt auf jeden Fall hinaus aufs Gestüt.« Gleich darauf legte sie auf. »Das war die Sekretärin vom Gestüt Kühn. Frau Kühn wurde von einem Pferd mit den Hufen im Brustbereich getroffen.«

      »Rufen Sie in der Behnisch-Klinik an«, rief Dr. Norden alarmiert und war schon auf dem Weg, um seine Tasche zu holen. An der Tür zum Wartezimmer hielt er inne. Angesichts der Patienten, die dort auf ihre Behandlung warteten, drehte er sich noch einmal um. »Wann kommt Danny?«

      Wendy sah auf die Uhr.

      »Pünktlich, wie er immer ist, müsste er in spätestens fünf Minuten hier sein.«

      »Gut.« Daniel Norden nickte zufrieden. Wieder einmal erwies es sich als Glücksfall, dass sein ältester Sohn in die Praxis eingestiegen war. »In dringenden Fällen erreichen Sie mich auf dem Handy.« Damit wandte er sich ab und verließ eilig die Praxis. Jede Minute zählte. Er durfte keine Zeit mehr verlieren.

      »Auf drei!«, diktierte der Unfallchirurg Dr. Steffen Eisend, und Dr. Norden rechts und ein weiterer Helfer links der Trage packten mit an. »Eins, zwei, drei!« Zu gleicher Zeit griffen die drei Männer zu und hoben die bewusstlose Simone Kühn so behutsam wie möglich auf den Behandlungstisch im Schockraum der Behnisch-Klinik. Die ersten Untersuchungen gingen zügig vonstatten.

      »Durch den Tritt des Pferdes hat die Patientin eine Lungenprellung erlitten«, erklärte Steffen Eisend seinem Kollegen Norden, der vor Ort Erste Hilfe geleistet und Simone Kühn dann in die Klinik begleitet hatte.

      Daniel betrachtete die Bilder der Computertomographie und deutete auf einige Stellen.

      »Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich hierbei um freie Flüssigkeit handelt?«, fragte er besorgt.

      Dr. Eisend nickte.

      »Im Rahmen der Lungenprellung ist es zu Rissen im Gewebe und kleineren Gefäßen gekommen. Blutungen sind die Folge. Dadurch, dass die Lunge nicht ruhiggestellt werden kann und sich bei jedem Atemzug bewegt, braucht dieses Organ eine gewisse Zeit, bis es sich stabilisiert hat«, erläuterte der erfahrene Chirurg und sah die Bilder selbst noch einmal eingehend an. »Zum Glück hat Frau Kühn keine schweren Lungenveränderungen, wie sie beispielsweise Raucher aufweisen. Größere Lungengefäße sind auch nicht gerissen. Deshalb bin ich vorsichtig optimistisch, was bleibende Schäden angeht.«

      Erleichtert atmete Daniel auf.

      »Dann hat Frau Kühn ja nochmal Glück im Unglück gehabt.« Doch das Herz wurde ihm wieder schwer, wenn er daran dachte, dass Simone eine anstehende Untersuchung der Schilddrüse aus Angst davor, das Schicksal ihres geliebten Pferdes ihrem Vater zu überlassen, aufgeschoben hatte. Und nun musste sie das Tier doch allein lassen.

      »Ganz so einfach ist es leider nicht«, korrigierte Steffen Eisend die Meinung seines Kollegen. »Die Patientin muss noch eine Weile zur Beobachtung in der Klinik bleiben.«

      »Sie meinen wegen der Gefahr einer Lungenentzündung, die aufgrund des Sekretstaus entstehen könnte«, wusste Daniel Norden, welches Risiko Dr. Eisend unter allen Umständen vermeiden wollte.

      Der Unfallchirurg nickte.

      »In den nächsten Tagen ist absolute Ruhe und Schonung angesagt. Frau Kühn sollte sich unter keinen Umständen aufregen.«

      Obwohl Daniel wusste, dass gerade dieses Unterfangen schwierig sein würde, versprach er, Simone ins Gewissen zu reden. Nach ein paar weiteren Worten wurde der Kollege zu einem neuen Notfall gerufen, und Dr. Norden blieb bei seiner Patientin, die von den Schwestern versorgt und schließlich

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