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      Die Lehrerin, die Deutsch und Mathematik unterrichtete, bemerkte nichts von Connys schlechter Verfassung. Schließlich konnte sie nicht jeden ihrer 32 Schüler beobachten.

      Jens dagegen fiel sofort auf, daß Conny unglücklich war. Obwohl er es nicht zugeben wollte, hatte er zu diesem Mädchen eben doch eine ganz besondere Beziehung. Von Tag zu Tag wurde ihm Conny vertrauter, und er freute sich an jedem Schultag darauf, sie wiederzusehen.

      Vor der Klasse konnte er sie allerdings nicht auf ihren Kummer ansprechen, denn man hätte ihm das als Bevorzugung ausgelegt. So hielt Jens Biologie-Untericht und gestaltete seinen Vortrag so interessant, daß ihm die Schüler gebannt zuhörten und sich durch allerlei Fragen an der gründlichen Erörterung des Stoffs beteiligten.

      Nur Conny saß still an ihrem Platz und starrte ins Leere. Sie schien gar nicht zu hören, was um sie vorging.

      Jens hätte das Mädchen gerne aufgerufen, doch er wollte Conny den Spott der Mitschüler ersparen, die sicher gelacht hätten,wenn sie keine Antwort gewußt hätte. Kinder konnten grausam sein, das wußte Jens, der sich sehr viel Mühe gab, auf jeden Schüler einzugehen. Seine Kollegen sahen das als sinnlos an,weshalb er kein besonders gutes Verhältnis zu ihnen hatte. Sie waren der Ansicht, daß er durch sein Interesse an den Kindern und die Zuwendung, die er jedem einzelnen gab, das Klima zu Ungunsten der übrigen Lehrkräfte verschob. Das paßte den anderen natürlich nicht. Während sie sich streng an die Unterrichtsstunden hielten, hatte Jens auch noch am Nachmittag für seine Schüler Zeit. Wenn er keinen Unterricht hatte, traf er sich mit ihnen, um in der freien Natur jene Dinge zu erläutern, die im Unterricht behandelt wurden. Jungen und Mädchen waren begeistert bei der Sache, und es war klar, daß Jens Seeger dadurch zum beliebtesten Lehrer wurde.

      Das aber brachte ihm bei den Kollegen Neid und Mißgunst ein, was Jens aber nicht störte. Er mochte Kinder und sah in seinem Beruf nicht einen Job, um Geld zu verdienen, sondern die Möglichkeit, Kontakt zu jungen Menschen zu halten, sie positiv zu beeinflussen.

      Conny war unter all den Schülern sein ausgesprochener Liebling, aber das ließ er sich nicht anmerken. Er behandelte alle Schüler mit der gleichen Freundlichkeit und mit jenem Verständnis, das ihm das Vertrauen der Jugend einbrachte.

      Am Ende der Unterrichtsstunde hatte Jens noch Eintragungen ins Klassenbuch zu machen. Er setzte sich an den für Lehrer vorgesehenen Tisch und beugte sich über die Spalten der aufgeschlagenen Seite.

      Lärmend verließen die Kinder das Klassenzimmer. Einige kamen noch, um Jens etwas zu zeigen oder um ihm zum Abschied die Hand zu geben.

      Conny saß noch immer traurig auf ihrem Platz und rührte sich nicht. Sabine versuchte, sie zum Mitgehen zu bewegen, doch sie schüttelte nur den Kopf.

      »Was ist?« fragte Jens, als das blonde Mädchen allein zurückgeblieben war.

      »Ich mag nicht nach Hause«, schluchzte Conny.

      Der junge Lehrer blinzelte verständnislos. Kindertränen waren etwas, das er nicht ertragen konnte. Sie taten ihm weh, als sei er selbst von einem schlimmen Schmerz betroffen. Jens klappte das Klassenbuch zu und ging zu seiner Schülerin.

      »Hast du Ärger? Bist du ausgeschimpft worden?« Mitleidig strich Jens über Connys blonden Schopf. Weich und zart fühlten sich ihre Haare an.

      Conny holte tief Luft. Mit beiden Händchen wischte sie sich über die Augen, ließ aber gleich darauf den Kopf wieder hängen.

      »Zuerst war es der blöde Udo, der immer meine Mami angebaggert hat.« Aus dem Mund einer Neunjährigen hörte sich dieser Ausdruck merkwürdig an.

      Doch Jens lachte nicht, denn er fand die Vorstellung überhaupt nicht lustig.

      »Und jetzt«, schnupfte Conny, »jetzt ist es mein Vater. Er hat herausgefunden, daß der Udo im Werk Geld genommen hat, und deshalb mag ihn die Mami. Gestern hat sie ihn zum Essen eingeladen, und sie haben ganz lange miteinander geredet, und geküßt haben sie sich auch. Mein Vater hat sie in die Arme genommen, und ich glaube, sie hat das gern gehabt. Sie hat gemeint, daß er sich sehr verändert habe und daß ihr das gefällt.«

      »Wenn sich deine Eltern wieder vertragen, ist doch alles in Ordnung«, versuchte Jens das Kind zu trösten. Unkompliziert wie er war, setzte er sich vor Conny auf den Tisch und legte den Arm um die schmalen, zuckenden Schultern seiner Schülerin.

      »Ich mag ihn aber nicht, meinen Vater!« erklärte Conny leidenschaftlich.

      »Du wirst dich an ihn gewöhnen, wenn du ihn näher kennst, findest du ihn bestimmt nett.«

      »Er ist ein blöder Angeber. Weiß nicht einmal, wie alt ich bin und wie ich heiße. Cornelia sagt er zu mir!« Das kleine Mädchen fauchte wie eine wütende Katze.

      »Vielleicht solltest du mit deiner Mami darüber reden«, schlug Jens nachdenklich vor.

      »Die sagt, es ist alles wegen der Fabrik. Sie braucht jemand, dem sie vertrauen kann. Der Udo kommt ins Gefängnis, und der Papa soll wieder nach Kuba gehen!« Jetzt weinte Conny erneut.

      »Du mußt Vertrauen haben, Conny. Deine Mami wird schon richtig entscheiden.« Jens streichelte das Kind, um es zu trösten.

      »Sie denkt doch an das Werk und nicht an mich. Was ich will, geht nicht, sagt sie.« Schutzsuchend legte Conny ihren Kopf auf Seegers Knie.

      »Und was willst du?« forschte er bedächtig.

      Conny sah traurig hoch. »Das… das kann ich nicht sagen.«

      Jetzt weinte sie erst richtig los. Ihr schmaler Körper zitterte.

      Etwas hilflos beugte sich Jens tiefer und streichelte die Kleine liebevoll. Was konnte er nur tun, um die Tränen versiegen zu lassen?

      »Hier bist du also!«

      Die anklagend vorgebrachte Feststellung schallte erschreckend laut durch den Raum.

      Jens zuckte ebenso zusammen wie Conny. Er schaute so überrascht hoch, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem erwischt.

      »Darf ich fragen, was diese zärtliche Umarmung bedeutet?« Heidi kam höhnisch lächelnd näher.

      Conny war noch zu jung, um die Situation richtig zu deuten. Sie richtete sich verwundert auf.

      Seeger dagegen wußte sofort, daß seine Freundin eifersüchtig war, und das konnte gefährlich für ihn werden. Er nahm seinen Arm zurück und rutschte vom Tisch. Diese Reaktion, die nur mit seiner Überraschung zu tun hatte, wirkte schuldbewußt.

      »Conny hat Kummer, und ich versuche, sie zu trösten«, rechtfertigte sich Jens und wußte schon jetzt, daß ihm nicht geglaubt werden würde.

      »Fragt sich nur, welcher Art der Kummer deiner Schülerin ist«, meinte Heidi spöttisch. »Geh’ mal rasch nach Hause, Kleine. Wir haben hier noch etwas zu besprechen.« Heidi machte eine Handbewegung, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen.

      Conny nahm ihre Schultasche und ging mit schleppenden Bewegungen zur Tür. Sie verstand nicht, was der junge Sportlehrer falsch gemacht haben sollte. Eines aber wußte sie genau: diese Frau, die ihn so merkwürdig ansah, mochte sie nicht. Als Conny die Tür erreicht hatte, rannte sie wie gehetzt davon.

      »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Ich warte draußen auf dich, du kommst ewig nicht, und als ich dich im Schulhaus suche, finde ich dich in liebevollem tête-á-tête mit einer Schülerin.«

      »Es war so, wie ich dir gesagt habe, und nun mach’ doch nicht mehr daraus«, schnaubte Jens ärgerlich.

      »Wenn du mit meiner Großzügigkeit rechnest, hast du dich verkalkuliert. Du bist schon seit einiger Zeit so merkwürdig. Ich konnte mir das nicht erklären, aber jetzt kenne ich den Grund. Du befaßt dich in Gedanken mit kleinen Mädchen!«

      »Nein, zum Donnerwetter«, brüllte Jens aufgebracht. Er war ein friedfertiger Mensch. Doch wenn man ihn falsch beschuldigte, ärgerte ihn das ungemein.

      »Daß du zu weit gegangen bist, kannst du nicht leugnen. Es war sicher nicht das erste

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