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vor zweitausend Jahren auch Liebe gegeben und gebe auch jetzt noch, wo das Christentum nicht hingelangt ist, wenn man nur die verschiedenen Formen unterscheiden will, in welche das wahre Gefühl sich hüllt. Gewiß ist schon mancher einzelne Unglücksmensch und mancher arme rauhe Volksstamm durch das eindringlich und heiß ausgesprochene Wort Liebe aufgeweckt und einem hellern und schönern Dasein gewonnen worden; wenn aber solche gewonnenen Völker, einmal dem Christentum einverleibt, endlich das ganze Bewußtsein und die Bildung der christlichen Welt, welche wir alle zusammen ausmachen, erreicht haben, dann wird jenes naive Morgengefühl der Liebe wieder untergehen in der allgemeinen Kälte der alten Christenwelt und nur da bestehen, wo es ursprünglich in den Menschen wurzelte, also zuletzt überall auferstehen. Schon die unmittelbare Rücksicht auf den lieben Gott ist mir hinderlich und unbequem, wenn sich die natürliche Liebe in mir geltend machen will. Da einmal bei unseren Handlungen das Denken an Gott und das Verdienst in den Augen Gottes so fest in die Menschenwelt gewebt ist, so kann man oft trotz aller Unbefangenheit nicht verhindern, daß bei guten oder vielmehr pflichtmäßigen Handlungen nicht im tiefsten Innern der Hinblick auf Gott auftaucht mit der eigennützigen Hoffnung, daß Er uns die Tat wohlgefällig gutschreiben werde. Schon oft ist es mir begegnet, daß ich einen armen Mann auf der Straße abwies, weil ich, während ich ihm eben das wenige geben wollte, das ich hatte, zugleich an das Wohlgefallen Gottes dachte und nicht aus Eigennutz handeln wollte. Dann dauerte mich aber der Arme, ich lief zurück; allein während des Zurücklaufens dünkte meiner Selbstsucht gerade dieses Bedauern wieder artig und verdienstlich, ich kehrte nochmals um, bis ich endlich auf den vernünftigen Gedanken kam möge dem sein, wie ihm wolle, der arme Teufel müsse jedenfalls zu seiner Sache kommen, das sei die erste Frage! Manchmal kommt dieser Gedanke aber zu spät, und die Gabe bleibt in meiner Tasche, wo sie mir alsdann unerträglich ist. Daher freue ich mich immer wie ein Kind, wenn es mir passiert, daß ich unbedacht meine Pflicht erfüllt habe und es mir erst nachträglich einfällt, daß das etwas Verdienstliches sein dürfte; ich pflege dann höchst vergnügt ein Schnippchen gegen den Himmel zu schlagen und zu rufen »Siehst du, alter Papa! nun bin ich dir doch durchgewischt!« Das höchste Vergnügen erreiche ich aber, wenn ich mir in solchen Augenblicken denke, wie ich Ihm nun sehr komisch vorkommen müsse; denn da der liebe Gott alles versteht, so muß er auch Spaß verstehen, obgleich man auch wieder mit Recht sagen kann, der liebe Gott verstehe keinen Spaß!

      Das Heiterste und Schönste war mir die Lehre vom Geiste, als welcher ewig ist und alles durchdringt. Er war mächtig im Christentume, dessen Beweglichkeit und Feinheit die Welt fortbaute, solange es geistig war; als es aber geistlich wurde, war diese Geistlichkeit die Schlangenhaut, welche der alte Geist abwarf. Denn Gott ist nicht geistlich, sondern ein weltlicher Geist, weil er die Welt ist und die Welt in ihm; Gott strahlt von Weltlichkeit.

      Alles in allem genommen, glaube ich doch, daß ich unter Menschen, welche rein in dem ursprünglichen geistigen Christentum lebten, glücklich sein und auch nicht ganz ohne deren Achtung leben würde, und wenn ich dies Annas Vater, dem Schulmeister, eingestehen mußte, forderte er, das Wunderbare und die Glaubensfragen einstweilen freisinnig beiseite setzend, mich auf, das Christentum wenigstens dieser geistigen Bedeutung nach anzuerkennen und darauf zu hoffen, daß es in seiner wahren Reinheit erst noch erscheinen und seinen Namen behaupten werde; etwas Besseres sei einmal nicht da noch abzusehen. Hierauf erwiderte ich aber der Geist könne wohl durch einen Menschen leidlich schön ausgesprochen, niemals aber erfunden werden, da er von jeher und unendlich sei; daher die Bezeichnung der Wahrheit mit einem Menschennamen ein Raub am unendlichen Gemeingute sei, aus welchem der fortgesetzte Raub des Autoritäts- und Pfaffenwesens aller Art entspringe. In einer Republik, sagte ich, fordere man das Größte und Beste von jedem Bürger, ohne ihm durch den Untergang der Republik zu vergelten, indem man seinen Namen an die Spitze pflanze und ihn zum Fürsten erhebe; ebenso betrachte ich die Welt der Geister als eine Republik, die nur Gott als Protektor über sich habe, dessen Majestät in vollkommener Freiheit das Gesetz heilighielte, das er gegeben, und diese Freiheit sei auch unsere Freiheit, und unsere die seinige! Und wenn mir jede Abendwolke eine Fahne der Unsterblichkeit, so sei mir auch jede Morgenwolke die goldene Fahne der Weltrepublik! »In welcher jeder Fähndrich werden kann!« sagte freundlich lachend der Schulmeister; ich aber behauptete die moralische Wichtigkeit dieses Unabhängigkeitssinnes scheine mir sehr groß und größer zu sein, als wir es uns vielleicht denken könnten.

      Der geistliche Unterricht ging nun zu Ende; wir mußten auf unsere Ausstattung denken, um würdig bei der Festlichkeit zu erscheinen. Es war unabänderliche Sitte, daß die jungen Leute auf diese Tage den ersten Frack machen ließen, den Hemdekragen in die Höhe richteten und eine steife Halsbinde darum banden, auch die erste Hutröhre auf den Kopf setzten; zudem schnitt jeder, wer jugendlich lange Haare getragen, dieselben nun kurz und klein, gleich den englischen Rundköpfen. Dies waren mir alles unsägliche Greuel, und ich schwur, dieselben nun und nimmermehr nachzumachen. Die grünen Kleider meines Vaters waren endlich zu Ende, und zum ersten Male mußte neues Tuch gekauft werden. Die grüne Farbe war mir einmal eigen geworden, und ich wünschte nicht einmal meinen Übernamen abzuschaffen, der mir noch immer gegeben wurde, wenn man von mir sprach. Leicht wußte ich meine Mutter zu überreden, grünes Tuch zu wählen und statt eines Frackes einen hübschen kurzen Rock mit einigen Schnüren machen zu lassen, dazu statt des gefürchteten Hutes ein schwarzes Sammetbarett, da Hut und Frack doch selten getragen und wegen meines Wachstums sowie wegen der Mode also eine unnütze Ausgabe sein würden. Es leuchtete ihr klar ein, um so mehr, da die armen Lehrlinge und Tagelöhnersöhne auch keinen schwarzen Habit zu tragen pflegten, sondern in ihren gewöhnlichen Sonntagskleidern erschienen, und ich erklärte, es sei mir vollkommen gleichgültig, ob man mich zu den ehrbaren Bürgerssöhnen zähle oder nicht. So breit ich konnte, schlug ich den Hemdekragen zurück, strich mein langes Haar kühn hinter die Ohren und erschien so, das Barett in der Hand, am Heiligen Abend in der Stube des Geistlichen, wo noch eine herzliche und vertrauliche Vorbereitung stattfinden sollte. Als ich mich unter die feierliche, steif geputzte Jugend stellte, wurde ich mit einiger Verwunderung betrachtet, denn ich stand allerdings in meinem Aufzuge als ein vollendeter Protestant da; weil ich aber ohne Trotz und Unbescheidenheit mich eher zu verbergen suchte, so verlor ich mich wieder und wurde nicht weiter beachtet. Die Ansprache des Geistlichen gefiel mir sehr wohl; ihr Hauptinhalt war, daß von nun an ein neues Leben für uns beginne, daß alle bisherigen Vergehungen vergeben und vergessen sein sollten, hingegen die künftigen mit einem strengern Maße gemessen würden. Ich fühlte wohl, daß ein solcher Übergang notwendig und die Zeit dazu gekommen sei; darum schloß ich mich mit meinen ernsten Vorsätzen, welche ich insbesondere faßte, gern und aufrichtig diesem öffentlichen Vorgange an und war auch dem Manne gut, als er angelegentlich uns ermahnte, nie das Vertrauen zum Bessern in uns selbst zu verlieren. Aus seiner Behausung zogen wir in die Kirche vor die ganze Gemeinde, wo die eigentliche Feier vor sich ging. Dort war der Geistliche plötzlich ein ganz anderer; er trat gewaltig und hoch auf, holte seine Beredsamkeit aus der Rüstkammer der bestehenden Kirche und führte in tönenden Worten Himmel und Hölle an uns vorüber. Seine Rede war kunstvoll gebaut und mit steigender Spannung auf einen Moment hin gerichtet, welcher die ganze Gemeinde erschüttern sollte, als wir, die in einem weiten Kreise um ihn herumstanden, ein lautes und feierliches Ja aussprechen mußten. Ich hörte nicht auf den Sinn seiner Worte und flüsterte ein Ja mit, ohne die Frage deutlich verstanden zu haben; jedoch durchfuhr mich ein Schauer, und ich zitterte einen Augenblick lang, ohne daß ich dieser Bewegung Herr werden konnte. Sie war eine dunkle Mischung von unwillkürlicher Hingabe an die allgemeine Rührung und von einem tiefen Schrecken, welcher mich über dem Gedanken ergriff, daß ich, so jung noch und unerfahren, doch einer so uralten Meinung und einer gewaltigen Gemeinschaft, von der ich ein unbedeutendes Teilchen war, abgefallen gegenüberstand.

      Am Weihnachtsmorgen mußten wir wieder im vereinten Zuge zur Kirche gehen, um nun das Nachtmahl zu nehmen. Ich war schon in der Frühe guter Laune, noch ein paar Stunden, und ich sollte frei sein von allem geistigen Zwange, frei wie der Vogel in der Luft! Ich fühlte mich daher mild und versöhnlich gesinnt und ging zur Kirche, wie man zum letzten Mal in eine Gesellschaft geht, mit welcher man nichts gemein hat, daher der Abschied aufgeweckt und höflich ist. In der Kirche angekommen, durften wir uns unter die älteren Leute mischen und jeder seinen Platz nehmen, wo ihm beliebte. Ich nahm zum ersten und letzten Male in dem Männerstuhle Platz, welcher zu unserm Hause gehörte und dessen Nummer mir die Mutter in ihrem häuslichen Sinne sorglich eingeprägt hatte. Er war seit dem

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