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Abkunft freuen und nur sie allein sich gänzlich schämen müsse und gar keine Herkunft habe; denn ich habe sie wirklich auf der Straße gefunden, und sie ist meine brave und kluge Pflegetochter.« Er streichelte ihr wohlgefällig die Locken, Heinrich aber war ganz beschämt und sagte kleinlaut »Ich glaube wenigstens zu sehen, daß ich Sie nicht ernstlich beleidigt habe, mein Fräulein! – Was jene Anzüglichkeiten betrifft in meinem Geschreibsel über die adelige und bürgerliche Herkunft, so glaube ich nicht, daß ich sie jetzt noch machen würde; denn ich habe seither gelernt, daß jeder seine Würde am füglichsten wahrt, wenn er andere vor allen Dingen als Menschen betrachtet und gelten läßt und dann sich gar nicht mit ihnen vergleicht und abwägt, haben sie auch welche Stellung und Meinungen sie wollen, sondern auf sich selbst ruht, sich nicht verblüffen läßt, aber auch nicht darauf ausgeht, andere zu verblüffen, denn dies ist immer unhöflich und von ordinärer Art. So gestehe ich, daß ich die jetzige Beschämung vollkommen verdient habe, indem ich mich doch verlocken ließ, die vermeintlich stolze Gräfin abtrumpfen zu wollen, anstatt sie in ihrer Art und Weise ungeschoren zu lassen! Übrigens ist Ihre Abkunft doch noch die vornehmste, denn Sie kommen so recht unmittelbar aus Gottes weiter Welt, und man kann sich ja die hochgestelltesten und wunderbarsten Dinge darunter denken!«

      »Nein«, sagte der Graf, »wir wollen sie um Gottes willen nicht zu einer verwunschenen Prinzessin machen, die Sache ist sehr einfach und klar. Vor zwanzig Jahren, als meine Frau eben gestorben, trieb ich mich sehr ungebärdig und schmerzlich im Lande herum und kam an die Donau. Eines Abends, als eben die Sonne unterging, fand ich in ihrem Scheine ein zweijähriges Kind mutterseelenallein im Felde auf einem hölzernen Bänkchen sitzen, das unter einem Äpfelbaume war. Die Schönheit des Kindes rührte mich, und ich blieb stehen, da es zugleich verlangend die Ärmchen nach mir ausstreckte und durch reichliche Tränen lächelte, so froh schien es, einen Menschen zu sehen. Ich schaute lange aus, ob niemand Angehöriger in der Nähe sei, und da ich niemand entdeckte im weiten Felde, setzte ich mich auf das Bänkchen und nahm das Kind auf den Schoß, das auch alsogleich einschlief. Da nach Verlauf einer halben Stunde sich niemand zeigte, nahm ich es getrost auf den Arm und ging nach dem nächsten Dorfe, um Nachfrage zu halten. Das Kind gehörte nicht in das Dorf noch in die Gegend überhaupt; hingegen erfuhr ich, daß im Laufe des Nachmittages eine Schar Auswanderer durchgezogen mit Weib und Kindern, die nach dem südlichen Rußland gingen und sich etwas weiter unten am Flusse den folgenden Morgen einschiffen wollten. Ich gab das Kind nicht aus den Händen, blieb in dem Dorfe über Nacht und begab mich mit dem Morgengrauen nach der bezeichneten Stelle, wo ich den Trupp schon im Begriffe fand, zu Schiffe zu gehen. Es fand sich, daß die Mutter des Kindes, eine junge Witwe, unterwegs gestorben und begraben worden und daß die Gesellschaft dasselbe gemeinschaftlich mitgenommen. Aber noch war es nicht einmal vermißt worden, das arme Geschöpfchen, das sich während des Ausruhens verlaufen, und die guten Leute erschraken sehr, da ich mit dem lieben Tierchen unvermutet erschien. Es brauchte indes nicht viel Beredsamkeit, bis sie mir meinen Fund überließen, da er soviel wie nichts besaß und die arme tote Mutter auf ihre gute Person allein die Hoffnungen der Zukunft gegründet hatte. Aber so eilig ging es zu mit der Abfahrt, daß ich mich nicht einmal nach den genaueren Namen erkundigen konnte. Das wurde rein vergessen, und ich erinnerte mich nachher nur, daß die Leute aus Schwaben gekommen. Von dem Kinde erfuhr ich, daß es Dortchen heiße, und so nannte ich es Dortchen Schönfund, als ich ihm später sein Heimatsrecht bei mir sicherte, und so wissen wir endlich nur, daß Dortchen Schönfund hier ein Schwäblein ist! Es nahm aber von Jahr zu Jahr so sehr und mit solcher Leichtigkeit zu an Anmut, Tugend und Sitte, daß wir die kleine Hexe ohne Wahl vollkommen als die Tochter des Hauses halten und noch froh sein mußten, wenn sie nicht uns über den Kopf wuchs in allen guten Dingen. Meine Schwester, die Adelige, wollte auch durchaus Mittel finden, das Wesen durch irgendeinen armen Teufel von Grafen zur Aufrechthaltung dieses alten Kastells zu verwenden, aber, wie gesagt, hieran ist mir nichts gelegen, und Schönfündchen ist mir dazu zu gut!«

      Das Fräulein hatte bei Erwähnung ihres Fundes und besonders ihrer armen unbekannten Mutter einige heiße Tränen vergossen, das schöne Köpfchen vornübergebeugt und in das Taschentuch gedrückt. Doch lächelte sie schon wieder und sagte »So, Herr Lee! nun kennen Sie meine glorreiche Geschichte und können mich bedauerlich ansehen! Nun, so sehen Sie mich doch ein bißchen bedauerlich an!«

      »Ich werde mich wohl hüten«, sagte dieser, »ich empfinde erst recht den tiefsten Respekt, Fräulein! und sehe gar nichts an Ihnen, das zu bedauern wäre; vielmehr bedauert man sich sogleich selbst, wenn man so vor Ihnen dasitzt.« Er schämte sich aber, dies gesagt zu haben, und sah verlegen auf seinen Teller, während er in der Tat eine erhöhte Ehrerbietung gegen das Mädchen empfand, da alle ihre Feinheit und Würde einzig in ihrer Person beruhte und weder erworben noch anerzogen schien.

      Als man aufstand, hatte der Graf einige Geschäfte mit den Landleuten abzutun und ließ Heinrich die Wahl, ob er ihn begleiten oder sich allein in Haus und Garten umtreiben oder in der Gesellschaft seiner Pflegetochter bleiben wolle. Heinrich zog vor, da es ihm schicklicher schien, sich in die Gärten zu begeben, und tat dies auch, nachdem der Graf sich entfernt. Die Sonne hatte wieder den ganzen Tag geschienen, und es war ein heiteres warmes Herbstwetter geworden.

       Inhaltsverzeichnis

      Höchst angenehm gestimmt und aufgeregt ging er in dem schönen Garten umher und fühlte sich lieblich geschmeichelt und gestreichelt durch den artigen Scherz, welchen das Fräulein mit ihm aufgeführt, sowie durch die unbefangene Art, mit welcher sie die Erzählung ihres Herkommens und ihrer Verhältnisse veranlaßt hatte. Aber erst unter den dunklen Bäumen des Lustwaldes stieg ihm plötzlich der schmeichelhafte Gedanke auf, daß er der Schönen am Ende wohl gefallen müsse, weil sie so unverhohlen und freundlich sich mit ihm zu tun machte, und er warf unverweilt sein inneres Auge auf sie mit großem Wohlwollen, auch stellte sich ihm im Fluge ein herrliches und edles Leben dar mit allen seinen Zierden an der Seite dieses guten und liebenswerten Frauenzimmers. Heftig schritt er in dem kühlen Schatten umher und fühlte sein Herz ganz gewaltig schwellen, und er kam sich im höchsten Grade glückselig und deshalb liebenswürdig vor. Aber auf dem obersten Gipfel dieser schönen Einbildungen ließ er den Kopf urplötzlich sinken, indem es ihm unvermutet einfiel, daß dergleichen unbefangene Scherze, frohes Benehmen und Zutraulichkeit ja eben die Kennzeichen und Sitten feiner, natürlicher und wohlgearteter Menschen und einer glücklichen heiteren Geselligkeit wären, welche jeden, den sie einmal arglos aufgenommen und zu kennen glaubt, auch ohne Arg mit ganzer Freundlichkeit behandelt; daß es ebenso wohl das Kennzeichen der Grobheit und Ungezogenheit wäre, zum Danke für solche feine Freundlichkeit sogleich das Auge auf die Inhaberinnen derselben zu werfen und ihre Person mit unverschämten und eigenmächtigen Gedanken in Beschlag zu nehmen. So hoch diese sich vorhin verstiegen hatten, um so tiefere Demut befiel ihn jetzt, und er beschloß in derselben, die Schönste gegen sich selbst in Schutz zu nehmen, nicht ahnend, daß eine Neigung, die schon mit solcher inniger Achtung vor ihrem Gegenstande beginnt, das allerschärfste Schwert in sich birgt. Und er beschloß, ganz gründlich zu Werke zu gehen und die Dame auch in dem geheimsten Gemüte nicht zu lieben, so daß sie unbewußt ganz unbedenklich in demselben wohnen könne, nur von seiner uneigennützigsten Ehrerbietung und guten Freundschaft umgeben.

      Dieser herzhafte Beschluß schwellte ihm abermals die Brust und hielt dann sein Blut auf in seinem Laufe, aber sehr schmerzlich süß, daß es ihm wohl und weh dabei ward. Ersteres, weil es immer wohltut, einem liebenswürdigen Wesen Gutes zu erweisen, selbst wenn das durch Entsagung geschieht, und weh, weil es doch eine häkliche Sache ist, eine junge Neigung so ohne weiteres abzuwürgen und eine ganze werdende mögliche Welt im Keime zu zertreten. Indem er dies schmerzliche Gefühl empfand und darüber nachdachte, sagte er »Im Grunde – ein Mädchen zu lieben ist nie eine Unhöflichkeit, wenn man nur etwas Rechtes ist! Aber von mir würde es jetzt unhöflich und grob sein, weil ich ja nichts, ach so gar nichts bin und erst alles werden muß!« Zum ersten Mal bereute er so recht die vergangenen Jahre und die scheinbar nutzlose lugend, die ihn jetzt von dieser Erscheinung überrascht werden ließ, ohne daß er bereit und wert war, auch nur im geheimen eine herzhafte Leidenschaft aufkommen zu lassen und zu nähren. Er fuhr seufzend mit der Hand durch das Haar und entdeckte, daß er keinen Hut

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