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freilich noch aufgeschlagen da, aber von Gustav – nirgends eine Spur!

      Wer ist dieser Gustav?

      Der Enkel eines Mannes, dessen Name schon einmal gar unheimlich in diese Blätter hineingeklungen ist, der Enkel des Grafen Friedrich Seeburg.

      Es war im Jahr 1842, als in die Wohnung drüben in Nr. zwölf, in deren Fenster später der Kanarienvogel so oft hinüberflatterte, eine schöne, schwarz gekleidete, bleiche Frau zog, welche sich Helene Berg nannte, die Witwe eines vor kurzem verstorbenen Mediziners. Sie war es, die schon einmal durch unser Leben und durch die Blätter dieser Chronik geglitten ist mit jenem Sonnabend im Sommer 1841, als wir den toten kleinen Vogel auf dem Johanniskirchhofe begruben zu den Füßen der Gräber von Franz und Marie. Sie küßte damals die kleine Elise, aber wir kannten einander nicht. – »Georg Berg« stand auf dem Grabstein, an welchem sie gekniet und geweint hatte, und in der ärmlichen Wohnung drüben in Nr. zwölf, in der engen, dunkeln Sperlingsgasse verklingt die letzte Seite der unheilvollen, wilden Geschichte, die einst der sterbende Jäger dem Maler Franz Ralff erzählte. – Ist das Lied vorbei? Eine junge, fröhlichere Weise nahm den letzten Ton auf, und »Gustav und Elise Berg« wird die neue Melodie lauten!

      Wie die Letzte aus dem stolzen Hause der Grafen Seeburg das Zusammenhängen ihres Schicksals mit dem kleinen Mädchen an meiner Seite erfuhr? – Ihre Geschichte?

      Ich fürchte mich fast, die Decke, die über soviel kaum vergessenem und begrabenem Unheil liegt, wieder aufzuritzen.

      »Sieh, welch ein schöner Ring!« sagte einmal Elise, der Frau Helene, die bei uns saß, jenen Reif zeigend, den vor langen, langen Jahren der alte Burchhard am Hungerteiche im Ulfeldener Walde der toten Luise aus der erstarrten Hand gezogen hatte, der so lange Jahre unter jenem bekreuzten Stein gelegen hatte und der das Wappen des Grafen von Seeburg trug! – Ich habe nicht nötig aufzuschreiben, was folgte! – – – Wir trennten uns damals so bald nicht. Den ganzen Abend ließ die weinende Helene die kleine Elise nicht aus den Armen, und Gustav – Gustav, der Taugenichts der Gasse, begrüßte jubelnd seine Kusine auf seine Weise.

      Nachdem er lange unstät sich umhergetrieben hatte, heiratete in Italien der Graf Friedrich Seeburg eine schöne, vornehme, aber arme Italienerin; sie ward die Mutter Helenens und starb, sie gebärend, im zweiten Jahr ihrer Ehe. Die Griechen dachten sich die Kluft zwischen Gott und dem Menschtum ausgefüllt durch ein Vermittelndes, das Dämonische: da schwebten, »damit das Ganze in sich selbst verbunden sei«, Geister »viel und vielerlei« auf und nieder, strafende und lohnende Boten der Gottheit, und niemand entging seinen Taten.

      Diese Geister verfolgten auch den Grafen: Reue, Ruhelosigkeit, Lebensüberdruß hießen sie, und auf jede Lebensfreude legten sie ihre errötende Hand. Wieder zog der Graf über die Alpen nach Deutschland. Das Schloß Seeburg war verkauft – er kam nach Wien, wo er menschenscheu und finster in einem einsamen kleinen Hause wohnte. Oft hörte ihn seine Tochter auf und ab gehen in der Nacht; sie hatte keine Bekanntinnen, keine Freundin; eine alte Dienerin ihrer Mutter war ihr ganzer Umgang. So verlebte sie ihre ersten Jugendjahre fast ganz sich selbst überlassen, während ihr Vater immer finsterer und finsterer ward. Er verbot ihr zu singen, zu spielen; sie seufzte und fügte sich. Da wurde eines Morgens der alte Graf Seeburg tot im Bett gefunden; kein Mensch war bei seinen letzten Augenblicken zugegen gewesen, er war gestorben, wie ihn Helene nur gekannt hatte, – einsam und allein. Einsam und verlassen war aber auch sie jetzt, ein junges Mädchen in einer großen, fremden Stadt, die sie nicht kannte, wo niemand sie kannte. Es fand sich, daß die Hinterlassenschaft ihres Vaters kaum hinreichte, die während seines Aufenthalts in Wien gemachten Schulden zu bezahlen.

      Unter den wenigen, die von Zeit zu Zeit das Haus ihres Vaters betreten hatten, war ein Doktor Berg, ein nicht mehr ganz junger Mann, und dieser war der einzige, der, an das Totenbett des alten Grafen gerufen, nachdem er ihm die Augen zugedrückt hatte, sich der jungen Waise annahm. Er brachte ihre Vermögensverhältnisse in Ordnung; er führte sie, die ebenfalls fast menschenscheu Gewordene, zu guten Menschen, zu seiner alten freundlichen Mutter. Er schien alles, was er tat, nur als seine Pflicht anzusehen, und er, der ihr anfangs gleichgültig war, gewann ihre Zuneigung mehr und mehr. Da bot er ihr seine Hand, und die Gräfin Helene Seeburg ward seine zufriedene, glückliche Gattin, bald noch glücklicher durch die Geburt eines Sohnes, der Gustav genannt wurde. Da zwangen Verhältnisse – auch seine Mutter war gestorben – den Doktor Berg, Wien zu verlassen; er zog hierher und bemühte sich, eine Praxis zu gewinnen. Eben schien es ihm zu gelingen, als eine heftige Seuche, die verheerend von Osten kam und über das ganze Land todbringend zog, auch ihn wegraffte; er ließ seine Frau und seinen Sohn fast unbemittelt zurück. Auf dem Johanniskirchhof, zwanzig Schritte von Franz und Marie Ralff, ward er begraben.

      Das war es, was die Frau Helene Berg erzählte, während der Ring mit dem Wappen der Grafen Seeburg, die Schlange, die den Rubin umwand, vor ihr auf dem Tische funkelte. Noch an demselben Abend trug ich ihn auf die Königsbrücke und warf ihn weithin in den Strom, nachdem ich ihn in zwei Stücke zerbrochen hatte. Helene lehnte neben mir am Geländer, und schweigend gingen wir zurück in die Sperlingsgasse zu – unsern Kindern.

      War’s nicht ein hübsches, ein glückliches Vorzeichen, dieser kleine goldgelbe Vogel, der zwischen den beiden Wohnungen hin und her flatterte, der seine Wohnung dort und hier hatte, oft ein kleiner treuer Bote war und an seinem beweglichen Hälschen gar wichtige Nachrichten, Fragen oder Antworten hinüber-und herübertrug?

      »Schau mal nach, Liese, das Flämmchen trägt wieder einen Zettel am Halse. Jetzt werden wir wohl erfahren, wo der Bösewicht, über den ich die alte Martha draußen noch brummen höre, steckt.«

      Zwitschernd hüpft Flämmchen auf Elisens Hand. Sie nimmt ihm den Zettel ab, und in einer weitbeinigen Knabenhandschrift lautet die Botschaft:

      »Liese!

      Da ich mich vor morgen bei Euch nicht zu zeigen wage und noch dazu leider gezwungen bin (scheußlich!) 3 Seiten, schreibe drei Seiten, voll lateinischen Unsinns zu übersetzen (ich möchte nur wissen, wozu ein Maler, und ich will einer werden, Latein braucht?????), so bitte ich Dich, den Onkel (Du brauchst ihm diesen Brief nicht zu zeigen) ebenso auf seinem Lehnstuhl festzubinden, wie ich die alte Martha festgebunden habe, und so bald als möglich vor die Tür zu kommen. – Ich will Dir mal was Wichtiges sagen.

      Gustav.

      P. Scr. Ich passe auf, und wenn ich Deine Nasenspitze sehe, schleiche ich an den Häusern hin zu Euerer Tür! Komme bald!!

      P. Scr. Bring Deine Korbtasche mit!«

      »Was mag er nur wollen?« fragt Lieschen, die schon nach dem Nagel guckt, an welchem ihre Tasche hängt, während ich trotz des warnenden Passus den Brief des Übeltäters und seine echte Tertianerlogik studiere. Es ist prächtig: weil ich ein Exerzitium von bedenklichster Länge machen muß - so komme so bald als möglich! Und dann die kleine Heuchlerin, die recht gut weiß, was der Faulpelz will!

      »Was für einen Tag haben wir heute, Lieschen?«

      »Ah – Sonnabend!« ruft Elise. »Jetzt weiß ich’s! Er hat sein Taschengeld gekriegt.«

      »Welches eigentlich die alte Martha konfiszieren müßte. Höre, Lieschen; schreib ihm als Bedingung Deines Kommens vor, daß die ›scheußliche‹ Arbeit fertig sein müsse.«

      »Wie lange dauert das wohl, Onkel?« fragt die Liese ganz bedenklich; sie zöge das »So bald als möglich« unbedingt vor.

      »Nun – zwei Stunden, mindestens!«

      »Oh, oh zwei Stunden?!«

      »Ja, und dann wimmelt sie doch noch von Fehlern, einer immer schlimmer als der andere.«

      »Onkel, Gustav sagt aber: je länger er an einer Arbeit säße, desto mehr Böcke mache er.«

      »Nun denn, wenn er das sagt; so soll er sie fürs erste nur fertigmachen und mit herüberbringen. Schreib ihm das!«

      Elise stellt jetzt eine große Auswahl unter meinen Federn an und beklagt sich sehr über »unsere« schlechte Dinte, während Flämmchen, auf einer Stuhllehne sitzend, anfangs geduldig wartet, dann aber, als ihm die Sache zu

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