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die Reize der urwüchsigen Landschaft eine Rolle spielen mochten. Der 1943 als Zwangsarbeiter nach Österreich gelangte Norditaliener Wander Bertoni ließ sich nach dem Krieg in Winden am See nieder und stieg zu einem der bedeutendsten Bildhauer des Landes auf; der Maler Anton Lehmden hielt 1966 im Schloß von Deutschkreutz Einzug; Gottfried Kumpf, der Meister des Raffiniert-Naiven, entschied sich für Breitenbrunn; und im Hinterland von Jennersdorf bildete sich rund um Walter Pichler, Walter Schmögner und Eduard Sauerzopf eine veritable (und verschworene) Künstlerkolonie.

      Für mich selber, damals ausschließlich journalistisch tätig und noch weit vom Einstieg in den Literaturbetrieb entfernt, war das Burgenland nicht viel mehr als ein liebes Ausflugsziel; als willkommener Zaungast mischte ich mich unter das Künstlervölkchen von Breitenbrunn, wo Wil und Fria Frenken ein offenes Haus führten, wo es immer etwas zu sehen und zu hören (und zu essen und zu trinken) gab. Aus dieser Zeit besitze ich bis heute eines jener typischen Werke der sogenannten Konkreten Kunst, die in den späten Sechzigerjahren aufkam: den in seiner Lakonik eindrucksvollen Abdruck eines ausgedienten und in seine Einzelteile zerlegten Gebrauchsstuhls, den man aus dem Gerümpel eines Schutthaufens gefischt und mit den einfachen Mitteln der Prägepresse zu neuem Leben erweckt hatte. Unter dem Titel »Christianes Stuhl« schrieb ich darüber einen Artikel im »Kurier«; das 110 mal 80 Zentimeter große Original hängt noch heute bei mir an der Wand, auch nach fast fünfzig Jahren von vielen Besuchern bestaunt (siehe dazu auch den Anhang auf Seite 227).

      Die Namen der an der »Werkstatt Breitenbrunn« beteiligt gewesenen Künstlerinnen und Künstler lasen sich wie ein Who’s who der österreichischen Avantgardeszene: Peter Weibel, VALIE EXPORT, Marc Adrian. Ferenc Kömives, den der Flüchtlingsstrom des Ungarnaufstandes nach Österreich geführt hatte, stellte seine Collagen aus; Elfriede Gerstl, Julian (damals noch Jutta) Schutting, Barbara Frischmuth und Peter Henisch lasen ihre Texte vor. Den Lebenskünstler Lui Dimanche beneideten wir nicht nur um sein schönes Pseudonym, sondern auch um seinen stolzen »Schlitten« – wer besaß denn damals schon ein eigenes Auto? Die seltsamsten Gerüchte kreisten um den sagenhaften Reichtum des stets mit breitkrempigen Hüten auftretenden Snobs – von einem ominösen, unermeßlich ertragreichen Weltpatent, das ihm als Erbschaft zugefallen war, war die Rede.

      Als ich um 1970 daranging, Material für mein erstes Buch einzusammeln, den Reportagenband »Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai«, war es für mich keine Frage, daß unter den Literaturschauplätzen, die ich zwischen Wien und Ostafrika, zwischen Hongkong und Peru aufsuchen, erkunden und porträtieren würde, auch ein Topos im mir ebenso vertrauten wie sympathischen Burgenland nicht fehlen sollte. Ich fand ihn im österreichisch-ungarisch-slowenischen Dreiländereck um Mogersdorf, wo 1664 die Truppen des Fürsten Montecuccoli über die eindringenden Türken gesiegt hatten: Der junge Rainer Maria Rilke hatte dem historischen Kriegsgeschehen, zweihundertfünfunddreißig Jahre später, eine seiner populärsten Dichtungen abgewonnen: die »Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke«.

      Hier also, auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Mogersdorf und St. Gotthard, wo ein liebesverwirrter Fähnrich von achtzehn Jahren den vorrückenden Türken in die Arme gelaufen und von deren Krummsäbeln niedergemetzelt worden war, setzte ich zu meinen Recherchen an, stellte die historischen Befunde von 1664 in den Kontext des um 1970 alles beherrschenden Kalten Krieges, nur wenige Kilometer vom Eisernen Vorhang entfernt. Ich zitiere aus meinem Text:

      »Rilkes ›Nirgends ein Turm‹ ist durch die rauhe Wirklichkeit des Eisernen Vorhangs massiv widerlegt: Eine Kette von Wachttürmen begleitet die Ufer der Raab, und der heutige Literaturtourist, der auf den Spuren des Cornets wandelt, kann sicher sein, daß ihn die ungarischen Grenzpatrouillen im Visier ihrer Feldstecher haben – ganz gleich, ob er, an der Straße nach Weichselbaum, die viersprachigen Inschriften am kaiserlich-österreichischen Massengrab ›Zum weißen Kreuz‹ zu entziffern versucht, die Umfunktionierung der weiland osmanischen Pascha-Grabstätte zur christlichen Allerweltskapelle beklagt oder sich gar bis zum Grenzfluß vorwagt, den einst die Janitscharen mittels Brücken aus Lederschläuchen überquerten, um so ein weiteres Stück ins Abendland vorzudringen.«

      Der Originalschauplatz von Rilkes »Cornet« an der Seite so »geheiligter« Literaturstätten wie der Brücke von San Luis Rey oder Kafkas »Schloß«, Doderers Strudlhofstiege oder Marcel Prousts Combray – das entsprach ganz dem Geschmack der burgenländischen Kulturverantwortlichen jener Jahre, denen sehr daran gelegen war, ihr vom übrigen Österreich vernachlässigtes oder gar geringgeschätztes Kulturpotential ins Gespräch zu bringen. In der heute längst nicht mehr existierenden Zeitschrift »Burgenländisches Leben« rühmte der spätere Generalsekretär des »Instituts für Österreichkunde«, Bernd Zimmermann, meinen Bucherstling als einen »Reiseführer ganz besonderer Art, der den Leser nicht mit toten Stätten konfrontiert, sondern zeigt, wie das Leben nach den Büchern weiterging«.

      Auch für meine folgenden Werke bot mir das Burgenland ein weites Feld für literaturtopographische Recherchen – etwa in Neudörfl, wo ich den Spuren des kroatischen Gastarbeiters Josip Broz nachging, der in späteren Jahren zum Partisanenführer und schließlich (unter dem Namen Tito) zum Staatschef der frischgegründeten Republik Jugoslawien aufgestiegen war; im Raum Eisenstadt, wo Franz Werfel die Handlung seines Romanfragments »Cella« angesiedelt hat; oder in Neumarkt an der Raab, wo Peter Handkes Frühwerk »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter« spielt.

      Woran ich mich ebenfalls erinnere: Burgenländische Kulturträger waren unter den ersten, die mich zu Lesungen mit meinen Büchern einluden. Es war im Frühsommer 1973, mein Debüt mit der Reportagensammlung »Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai«, in der auch das vorerwähnte Rilke-Kapitel enthalten war, lag nur wenige Monate zurück. Vor Publikum zu sprechen, mußte ich erst lernen: Mein Auftritt in Schloß Nikitsch, zu dem mich Hausherr Graf Zichy eingeladen hatte, war also eine wichtige Bewährungsprobe.

      Spiritus rector der Veranstaltung, die für den großen Freundes- und Bekanntenkreis der Zichys gedacht war, war die Frau des Hauses, Gräfin Madeleine. Die gebürtige Belgierin, die einen Posten bei der »Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung« (UNIDO) innehatte und dafür montags bis freitags in Wien weilte, hatte ein starkes Interesse für alles Künstlerische, während ihr Mann in Nikitsch verblieb und sich um die dortige Landwirtschaft kümmerte. Daß er dies im Alleingang tat, also ohne die Hilfe von Landarbeitern, versetzte mich in Staunen. Der rasante technische Fortschritt hatte zur Folge gehabt, daß auch in Feld und Stall die händische Arbeit mehr und mehr durch Maschinenkraft ersetzt worden war.

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       Journalistentreff am Neusiedler See: Barbara Coudenhove-Kalergi, Gertrude Obzyna, Jean Egon Kieffer und Dietmar Grieser bei den Dreharbeiten für den Film »Die Reise« (links im Bild Regisseur Anatole Litvak)

      Hinter dem Projekt, Schloß Nikitsch für zwei Tage mit künstlerischen Aktivitäten »anzureichern«, stand die Absicht, die öffentliche Hand auf das hier schlummernde Potential aufmerksam zu machen und für Zuschüsse zur Restaurierung des durch Krieg und Nachkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Anwesens zu gewinnen. Das Programm sah einen bunten Mix aus Musik, bildender Kunst und Literatur vor: Hans Hoffer, damals Assistent des Burgtheater-Bühnenbildners Lois Egg in dessen Meisterklasse an der Kunstakademie (und heute Chef des Reinhardt Seminars), stellte seine szenischen Entwürfe aus, der aus Deutschland stammende Fotokünstler Rolf Schäfer zeigte ein Best-of seiner brillanten Schwarzweiß-Porträts, die Sängerin Angèle Garabedian, eine in Paris lebende Exil-Armenierin, führte die Musikerriege an, mir fiel der literarische Teil zu.

      Wenn ich mich richtig erinnere, wies das Programm keine Schwachstellen auf; auch das Büffet, zu dem die Gäste aus nah und fern geladen waren, ließ keinen Wunsch offen (wobei es zu jener Zeit noch nicht so üppig zuging wie bei vergleichbaren Events unserer Tage). Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein lernte ich eine Menge interessanter Leute kennen, deren zum Teil »klingende« Namen ich noch heute in meinem Adreßbuch finde.

      Von den anregenden Gesprächen, die ich mit den Teilnehmern führen konnte, ist mir eines ganz speziell in Erinnerung – und zwar deshalb, weil es mir in unübertrefflicher Weise die Augen öffnete für die Besonderheiten des Burgenlandes. Es ging um

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