Скачать книгу

Feier, welche seinem hundertjährigen Geburtsfest gilt, werden wir vor allem uns Goethe in Leipzig vergegenwärtigen wollen. Dies Bild zeigt uns zwar nicht den Mann in seiner vollendeten Kraft, nicht den Dichterfürsten im vollen Glanze seines Ruhmes, sondern den strebenden Jüngling, der die ersten Schritte auf seiner langen Siegesbahn beginnt, allein es zeigt uns schon den ganzen Goethe. Was uns bei der Betrachtung Goethes mehr als alles andere mit Staunen erfüllt, das ist die wunderbare Einheit und Kraft seiner Natur, welche ihn jede Stufe menschlicher Entwickelung so ganz voll und rein durchleben und darstellen ließ. Wer nicht beim Greise das rasche Feuer der Jugend, beim Jüngling die erfahrene Weisheit des Alters erwartet, vom Manne nicht stürmischen Übermuth, vom Jüngling nicht besonnene Sicherheit fordert, wer unbefangen die Schranken erwägt, welche der menschlichen Natur in ihrer Ausbildung gesetzt sind: dem wird Goethe von der Jugend bis ins hohe Greisenalter als ein Typus naturgemäßer Entfaltung einer großen und reichen Menschennatur erscheinen. Wäre zu unserer Zeit im Volke noch die dichterische Kraft schöpferisch lebendig, gewiß wäre Goethe durch die Sage zu einem Bilde des deutschen Geistes in seinen edelsten Richtungen verklärt worden: jetzt hat der Dichter selbst uns mit seltener Unbefangenheit und Klarheit sein eigenes Abbild entworfen. Wäre es die Aufgabe des Redners, mit Goethes Meisterwerk einen Wettkampf einzugehen, wer möchte sie übernehmen? Allein vergessen wir nicht, daß der reife Mann seine Jugend schilderte, auf deren Streben und Irren er mit Gelassenheit zurücksah, und daß diese Schilderung den Stempel einer Ruhe trägt, nach welcher jene Zeit vergebens rang. Versuchen wir daher, aus den leider nur spärlichen Nachrichten, welche uns aus jener Zeit in unmittelbarer mündlicher und schriftlicher Überlieferung grade hier zu Gebote stehen, uns eine anschauliche Vorstellung der Personen und Verhältnisse zu bilden, unter denen Goethe hier gelebt hat, und welchen Einfluß sie auf ihn gewonnen haben. Auch das unbedeutendere, das für ihn selbst später das Interesse verloren haben mochte, wird in diesem Zusammenhang einige Aufmerksamkeit verdienen.

      Goethe befand sich, da er die Universität bezog, in einem eigenthümlichen Zwiespalt. Sein Vater sah zwar seine dichterischen und künstlerischen Beschäftigungen als einen wohlanständigen Zeitvertreib in Mußestunden mit Wohlgefallen und beförderte selbst, daß er sie gründlich trieb; als Hauptstudium aber hatte er für ihn die Jurisprudenz bestimmt und ihn selbst auf dieselbe vorbereitet. Der Sohn aber fühlte sich von der Rechtswissenschaft in keiner Weise angezogen; sich allein zum Dichter auszubilden kam ihm freilich nicht in den Sinn, seine Neigung führte ihn zu gründlicher Erforschung des Alterthums, und deshalb hatte er nach Göttingen zu gehen und in Heyne's und Michaelis Schule sich zu begeben gewünscht. Allein der Vater bestand auf Leipzig. Ihm, dem strengen, pedantisch abgemessenen Mann, von seinem Vorhaben zu sagen, wagte Goethe nicht; der erste Gebrauch, den er von seiner akademischen Freiheit machen wollte, sollte der sein, sich von der Jurisprudenz förmlich und feierlich loszusagen und dem Studium der Alten und der Kunst hinzugeben. Offen und ehrlich theilte er dem Hofrath Böhme, an welchen er empfohlen war, seinen Entschluß mit; allein den ernsten Auseinandersetzungen desselben und mehr noch den wohlwollenden Vorstellungen seiner Gattin gelang es bald, ihn von demselben zurückzubringen. Aber der nun gefaßte Entschluß, der Jurisprudenz treu zu bleiben, scheint nicht viel fester gewesen zu sein. Zwar besuchte er Anfangs juristische und philosophische Vorlesungen, schrieb auch mit großer Selbstüberwindung eifrig nach, wenn er nicht etwa zur Erholung vorzog, den Rand seines Hefts mit Carricaturen zu illustriren, allein gegen Fastnacht geriethen die Collegien in einen gefährlichen Conflict mit den köstlichen Pfannkuchen, welche am Thomaskirchhof gebacken wurden — es ist dann von ihnen nicht viel mehr die Rede. Auch die grammatisch kritische Richtung der sächsischen Philologie scheint ihn nicht angezogen zu haben; bei Ernesti hörte er über Ciceros Redner, aber der berühmte Philolog entsprach den gehegten Erwartungen nicht, und auf die Richtung seiner Studien gewann er keinen Einfluß.

      Der eigentliche Mittelpunkt und Kern derselben blieb das, wozu er berufen war, seine Ausbildung zum Dichter; was er sonst auch thun und treiben mochte, diente immer seinen dichterischen Bestrebungen zur Grundlage und führte ihn unvermerkt zu ihnen zurück. Leipzig hatte in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Litteratur eine eigenthümliche und bedeutende Stellung eingenommen. Freilich konnte es dieselbe zu der Zeit, als Goethe hinkam, in Wahrheit nicht mehr behaupten, allein die Männer, deren Namen in aller Munde waren, lebten zum großen Theil noch, ihr Ruhm warf noch einen herbstlichen Schimmer auf ihre Umgebung, welche fortfuhr Ansprüche auf Verdienste zu begründen, von denen man nicht einsah, daß sie schon vergangen waren. Es ist in der That eine merkwürdige Schickung, daß der jugendliche Goethe hier in Leipzig noch persönlich den Eindruck jener Art zu dichten erhielt, von welcher er uns vollständig frei machen sollte.

      Gottsched, der durch das, was er selbst anregte und leistete, wie durch die Polemik, welche er gegen seinen Schulzwang hervorrief, großen Einfluß geübt hatte, war noch am Leben, aber ohne Bedeutung nur noch eine Curiosität. „Gottscheden habe ich noch nicht gesehen,“ ist eine der ersten Nachrichten, welche Goethe seinem Freunde Riese mittheilt, aber schon nach wenigen Tagen schrieb er ihm: „Ganz Leipzig verachtet ihn. Niemand geht mit ihm um,“ nachdem er eine poetische Beschreibung von ihm entworfen:

      „Gottsched, ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte

      Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,

      Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.

      Ja, so sieht er aus und seines Körperbaus Größe

      Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.“

      So geht es eine Weile fort und lautet dann zum Schlusse:

      „Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,

      Ich hörte was er sprach und muß es Dir gestehn,

      Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen

      So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich dem Riesen,

      Auf

Скачать книгу