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Fruchtbarkeitsritus gewesen sein. Die Götter hoch oben im Himmel sollten sie sehen. Vielleicht befürchtete man, nicht laut genug beten zu können, so dass die Götter auch alles verstehen konnten, in fernen himmlischen Gefilden. Um die Distanz zu überbrücken, schickte man »optische« Gebete an mächtige Himmelsgötter. Die Himmlischen sollten üppige Ernten auf den Feldern und reichlich Nachwuchs bei Tier und Mensch gewähren.

      Der Peitschenschwinger könnte also ein mächtiger Himmelsgott sein, der seine Vormachtstellung zum Ausdruck bringt. Das im Vordergrund liegende Tier könnte tot sein, dem Kadaver entsteigt der darüberstehende Vogel… die Seele des toten Tieres. Und die Seele untersteht dem kraftstrotzenden Himmelsgott. Oder es handelt sich bei dem nicht identifizierbaren Tier um ein Opfer für den Gott Tiwaz, der die Seele entgegennimmt und beherrscht? Das ist eine Möglichkeit der Interpretation. Eine andere: Neben dem Gott »Tiwaz«, dem Himmelsgott, steht die Gans als Repräsentantin für die Himmelsgöttin.

      Unklar ist, welche Rolle das Tier rechts neben dem »Vogel« spielt. In den Zeichnungen, die ich einsehen konnte, erinnerte es an ein Reptil, an eine Schlange.

      In der Unterwelt unter dem Dom zu Bremen fotografierte ich einen Fenriswolf, der gegen eine Schlange kämpft. Sollte es sich bei der Darstellung am »Spring-Hill« um eine mythologische Schlange handeln? Vielleicht könnten wir etwas mehr verstehen, wenn das Ensemble vom »Spring-Hill« sorgsam ausgegraben würde. Dann wären vielleicht mehr Details der Darstellungen zu erkennen. Bis dahin müssen wir uns auf die zeichnerischen Rekonstruktionen von Samuel Gerald Wildman (1) verlassen.

      Vergeblich habe ich nach Luftaufnahmen gesucht, die angeblich vor 50 Jahren vom »Spring-Hill« gemacht wurden. Angeblich sollen die Fotos im Archiv der »Birmingham Post« aufbewahrt worden sein, waren aber nicht auffindbar…Auf diesen Fotos, meinen Unterlagen nach im Dezember 1965 aufgenommen, soll der »Peitschenmann« klar zu erkennen sein. Der Koloss hat eine Höhe von über fünfzig Metern!

      Literaturhinweis:

      (1) Siehe auch Wildman, Samuel Gerald: »The Black Horsemen and King Arthur«, London 1971

      Die Kapitelüberschrift »Alles vorbei tom Roden« habe ich in Anlehnung an den heute noch bekannten Folksong »Alles vorbei Tom Dooley« formuliert. Im Jahr 1958 wurde er in der Fassung des »Kingston Trio« zum Hit. »Alles vorbei tom Roden«: Das Kloster »tom Roden« ist so etwas für ein Symbol für Spuren aus uralten Zeiten, die im Verlauf der Jahrhunderte verschwunden sind und nur zufällig wiederentdeckt wurden. Was mag noch im Erdreich, quasi unter unseren Füßen, schlummern? »Alles vorbei tom Roden« steht auch für Geheimnisse und Rätsel der Vergangenheit, die nach wie vor darauf warten, wieder ausgegraben zu werden, so wie die Reste eines alten Klosters, nur einen Steinwurf vom einstigen Kloster Corvey entfernt. Entdeckungen sind jederzeit und überall möglich. So stieß man am Staffelberg im schönen Oberfranken auf unterirdische Spuren eines mächtigen Tores. Es wurde von den Kelten vor rund zwei Jahrtausenden als Teil einer riesigen Festungsanlage gebaut, die vollkommen von der Erdoberfläche verschwunden ist. Im Sommer 2018 machten sich Archäologen ans Werk und führten wissenschaftliche Ausgrabungen durch. Sobald die Arbeiten abgeschlossen sind, soll das Tor im Maßstab 1 zu 1 originalgetreu rekonstruiert werden.

      Es ist Sommerzeit. Die Post streikt, Berge von Briefen und Paketen stapeln sich in Verteilzentren! Von Tag zu Tag, so scheint mir, schwinden die Sympathien für die Gewerkschaft ver.di. Aber Busse fahren zum Glück. Nach nicht ganz einer Stunde Fahrzeit, einmal Umsteigen inklusive, bin ich am Bahnhof von Höxter an der Weser angekommen. Nach einigen regnerisch-kühlen Tagen ist es jetzt sommerlich heiß. Natürlich liegt das jetzt an der globalen Erderwärmung. Ein Passant mit einer Jacke, die an die Kluft der Briefzusteller erinnert, eilt Richtung Innenstadt. Wütend beschimpft ihn ein älterer Herr als »Streikbrecher«. Eine Frau fordert den verblüfft Dreinblickenden auf, »endlich wieder Briefe auszutragen«. Schließlich begreift er, bleibt stehen und ruft: »Ich bin doch gar kein Postler!«

      Ich frage einen Busfahrer, wie ich wohl vom Bahnhof zur Klosterruine »tom Roden« komme. Der Mann ist sehr hilfsbereit. Er zeigt mir einen Bus, der mich direkt zum »Kloster Corvey« bringt. Freundlich belehrt er mich: »Das frühere Kloster Corvey ist aber heute Schloss Corvey! Kloster Corvey gibt es, strenggenommen, gar nicht mehr. Eine Ruine ist das aber nicht. So eine Klosterruine gibt es gar nicht!« Kollegen des Busfahrers schütteln nur die Köpfe, verweisen mich an den Taxistand. Man rät mir zum Taxi. »Vom Kloster Corvey kommen Sie nicht weiter, jedenfalls nicht mit dem Bus! Und zu Fuß… bei der Hitze…«

      Am Taxistand hat noch nie jemand von einer »Klosterruine ›tom Roden‹« gehört. Dabei trennen laut meinen Unterlagen nur wenige hundert Meter das »Schloss Corvey« von der ominösen »Klosterruine tom Roden«. Eine freundliche Taxifahrerin ist offensichtlich auch an meinem Ziel interessiert. Also fahren wir erst einmal zum »Schloss Corvey«… und entdecken nach einigem Suchen tatsächlich ein nicht übermäßig großes Hinweisschild »Klosterruine«.

      Ich suche per iPad in der Welt des Internet nach »Klosterruine tom Roden« und finde eine Adresse: »Zur Lüre - 37671 Höxter«. »Zur Lüre« ist meiner tüchtigen Taxifahrerin wohlbekannt. Nur von einer »Klosterruine« daselbst weiß sie nichts. Wir erreichen »Zur Lüre« schon nach wenigen Minuten, landen in einem weniger idyllischen als prosaisch-praktischen Industriegebiet. In einer Werkstatt erkundigen wir uns… man weist uns den Weg. Wir sind schon fast am Ziel. Das letzte Stück Wegs ist eine schmale staubige Straße, deutlich besser als so mancher Feldweg in den Hochanden Perus oder Südindiens.

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      Die Maria-Magdalena-Kirche stand im Zentrum von tom Roden

      Endlich bin ich am Ziel… Mauerwerk… Brunnen… ein Altar… eine Hecke. »Meine« Taxifahrerin verspricht, mich um 14 Uhr wieder abzuholen. Das »Areal« der Klosterruine ist überschaubar. In einiger Distanz ist ein schmuckes Kirchlein zu erkennen… Ich vermute, es handelt sich um die Pfarrkirche »St. Johannes Baptist« von Lüchtringen. Ich aber konzentriere mich auf die »Klosterruine tom Roden«.

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      Einer der Brunnen von tom Roden

      Der Name »tom Roden« lässt darauf schließen, dass Land gerodet werden musste, um das Kloster zu bauen. Wann aber wurde »tom Roden« gegründet? Wir wissen es nicht genau. Die bislang älteste Urkunde, die einen Hinweis auf das Kloster enthält, stammt aus dem Jahr 1184. »tom Roden« fungiert in dem Dokument natürlich unter dem lateinischen Namen »ad Novale«. Ausdrücklich wird auf die Kirche »ecclesia S. Mariae Magdalenae« hingewiesen, deren Grundriss heute noch sehr gut zu erkennen ist. 1244 wird »Dethmar von tom Roden« als Propst des Klosters erwähnt. Damals mag »tom Roden« bereits Teil eines Pilgerwegs gewesen sein. Am 22. Juli 1284 jedenfalls feierten die Kanoniker von Nienkerken das Fest der Maria Magdalena in »tom Roden«. Die Kirche »Nienkerken«, hochdeutsch »Neukirchen«, war 863 in der Nähe von Höxter vom Kloster Corvey aus gebaut worden. Ob damals schon »tom Roden« existierte? Unbestreitbar ist, dass das Kloster Corvey lange vor dem »tom Roden« entstand. Der Propst von »tom Roden« gehörte immer auch dem Konvent von Corvey an, wurde aus den Reihen der Mönche von Corvey gewählt und war dem Abt von Corvey gegenüber zum Gehorsam verpflichtet.

      Im Frühjahr 1975 wurden in der Corveyer Abteikirche archäologische Ausgrabungen durchgeführt. Nun waren beim Pflügen im Bereich »zur Lüre« Mauerreste zutage getreten. Davon hörten die Wissenschaftler, die in der Abteikirche in Höxter intensiv nach ältesten Spuren suchten. Sie schickten einige Grabungshelfer, ausgestattet mit Hacken, los, die dann tatsächlich eine sensationelle Entdeckung machten… Nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche schlummerten zum Teil recht gut erhaltene Fundamente des verschwundenen Klosters von »tom Roden«…. mitten unter einem Getreidefeld.

      Im Sommer 1976 wurde gezielt und intensiv gegraben. Unter Steinschutt stieß man auf Fundamente eines langgestreckten Gebäudes mit »mehrfacher

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