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der alle Zimmermannsarbeit übernahm. Man durfte aber Tomasian keineswegs als Handwerksmeister begegnen, er selbst nannte sich Bauunternehmer, trug eine schwergoldne Uhrkette durchs Leben, an der das von Lehrer Oskanian gemalte Bild seiner verstorbenen Gattin im Medaillon hing, und versäumte ferner keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß seine beiden Kinder, Sohn und Tochter, in Genf studiert hatten. Er war auch von einer ermüdenden Gründlichkeit und verwickelte Juliette in langwierige Besprechungen. Dafür aber gelang es ihm, nicht nur die Schäden des alten Hauses in kurzer Zeit zu beheben, sondern auch für gewisse Einrichtungen, so gut es ging, Sorge zu treffen, die abendländischen Gewohnheiten notwendig waren. Die Handwerker arbeiteten geschickt und mit staunenswerter Geräuschlosigkeit. Bereits in den ersten Apriltagen konnte Juliette mit Stolz feststellen, daß sie an der weltabgeschiedenen syrischen Küste ein Hauswesen besaß, das sich ruhig, wenn man die primitive Beleuchtung und Wasseranlage ausnahm, mit jedem westlichen Ruhesitz hätte messen können.

      Ihre größte Freude aber war der Obst- und Rosengarten. Hier sprach wiederum ihr Väterblut. Steckt nicht in jedem Franzosen ein erblicher Gärtner und Obstzüchter? Doch auch die Armenier sind geborene Gärtner, zumal die Leute vom Musa Dagh. Kristaphor, der Verwalter, war ein Meister dieses Faches. Juliette hätte die Möglichkeit eines solchen Fruchtgartens nie geahnt. Man erntete beinahe das ganze Jahr. Niemand, der sie nicht gekostet hat, könnte sich eine Vorstellung von der Süße und Saftigkeit armenischer Aprikosen machen. Selbst hier, jenseits der Wasserscheide des Taurus, behielten sie noch die ganze Frische ihrer Heimat oben am gartenreichen See von Wan. Juliette lernte in ihrem Garten immer wieder neue Frucht-, Gemüse- und Blumenarten kennen, von denen sie nie gehört hatte. Die längste Zeit verbrachte sie aber in der Rosenpflanzung, den Sombrero auf dem Kopf und die große Zwickschere Kristaphors in der Hand. Für eine Rosennärrin wie sie war's eine Berauschung, die sich nicht überbieten ließ. Ein weiter Plan, Stock neben Stock, Staude neben Staude, doch nicht in westlicher Exerzierordnung, sondern ein dichter Tumult von Farben und Düften auf dunkelgrünen Wogen. Damaskus war nah und Persien nicht fern. Die tausend Stämme dieser Vaterländer hatten ihre Kinder hierher entsandt, und wenn Juliette auf den schmalen Gärtnerpfaden dieses Meer durchschritt, so grüßte sie mit unzähligen Blicken und Atemzügen der Inbegriff aller Rosenheit. – Apotheker Krikor hatte ihr versprochen, wenn sie ihm genügend viele Körbe von frischen Blüten der echten Moschata damascena zustellen wollte, eine winzige Phiole von jenem Öl auszupressen, dessen Herstellung an jahrhundertealte Bräuche gebunden sei. Und er berichtete auch von einer Legende. Ein einziger Tropfen der echten Essenz besitze eine solche Kraft, daß ein Toter, dem man diesen Tropfen ins Haar tue, noch bei der Auferstehung danach duften und so den Engel des Gerichts für sich einnehmen werde.

      Hie und da ritt Juliette mit Stephan aus. Awetis Bagradian hatte vier Pferde hinterlassen. Eines davon, ein recht kleines, gutmütiges Pferdchen, erhielt der Junge zum Geschenk. Bei diesen Spazierritten, die entweder in die Richtung der Ebene von Suedja oder auf der anderen Seite über Azir, Bitias nach dem Bienendorf unternommen wurden, folgte ihnen der Stallknecht, für den Juliette eine malerische Tracht entworfen hatte. Die Sucht nach Schönheit und dekorativer Pracht beherrschte sie, nicht allein für ihre eigene Person, auch in bezug auf ihre Umgebung. Wenn sie dann mit Stephan und dem bunten Begleiter über Kirchplatz und Hauptstraße von Yoghonoluk hoch einherschwebte, empfand sie sich als Fürstin dieser Märchenwelt. Manchmal dachte sie an ihre Mutter und die Schwestern in Paris. Wie beneidenswert kam ihr dann das eigene Leben vor. Wo sie auftauchte, wurde sie mit tiefer Ehrfurcht begrüßt, auch in den mohammedanischen Ortschaften, die sie bei längeren Ausflügen berührte. Es war klar. Der arme Gabriel wurde wieder einmal von einer Nervenkrise gepeinigt. Sie, Juliette, konnte von einer veränderten Welt auch nicht das allerleiseste Anzeichen wahrnehmen.

      Gabriel Bagradian verließ täglich am Morgen das Haus. Doch er machte keine Spaziergänge auf den Musa Dagh mehr, sondern wanderte durch die Ortschaften. Das Verlangen, die Bilder seiner Kindheitswelt wieder in sich einzubürgern, war einem männlicheren Streben gewichen: er wollte die Menschen dieser Welt auf das genaueste kennenlernen, in ihrer Lebensart, in ihren Bedürfnissen, in Handel und Wandel.

      Zugleich aber hatte er eine Anzahl von Briefen nach Stambul geschrieben; an seine armenischen Freunde von der Daschnakzaganpartei und mehr noch an seine ehemaligen Freunde unter den Jungtürken. Er argwöhnte wohl, daß die Zensur des Kaimakamliks von Antiochia die Beförderung dieser Briefe erschweren könnte, einer oder der andre aber mußte unbedingt sein Ziel erreichen. Von der Antwort machte er die Zukunft abhängig. War in der Hauptstadt alles beim alten geblieben, handelte es sich nur um eine rein militärische Maßregel, so wollte er trotz der Warnung des Agha Rifaat Bereket den Hausstand hier abbrechen und die Reise nach der Hauptstadt auch ohne den notwendigen Paß wagen. Erfolgte aber eine böse Antwort oder gar keine, so hatten sich die Befürchtungen des alten Türken als wahr erwiesen, die Falle war geschlossen und der Rückzug vereitelt. Dann galt es nur zu hoffen, daß ein Armenierfreund wie der Wali Djelal Bey in seinem Vilajet keine »Ereignisse« dulden und daß eine ländliche Siedlung wie die am Musa Dagh außerhalb der Brandherde liegen werde, die ja stets nur in den größeren Städten zu finden sind. In diesem Fall konnte das Haus in Yoghonoluk nach des Agha Worten wirklich eine ideale Zufluchtsstätte heißen. – Was aber das Ausbleiben seiner Einberufung zum Kriegsdienst anbetraf, so glaubte Bagradian die Absichten der ottomanischen Generalität genau zu durchschauen. Man nahm die armenischen Truppenteile aus der Front und entwaffnete sie. Warum? Die Türken fürchteten, daß eine so starke Minderheit wie die armenische mit den modernsten Waffen in der Hand bei einem unglücklichen Kriegsausgang dem Staatsvolk gewisse Rechte abtrotzen könnte. Wo es aber keine Soldaten gab, durften noch weniger Offiziere geduldet werden, die im rechten Augenblick die Führung an sich reißen würden.

      So zureichend diese Erklärung auch war, Gabriel fand dennoch in keiner Minute wirkliche Ruhe. Seine Unruhe aber war nicht mehr nervös überreizt, sondern fruchtbar und zielhaft. Er entdeckte in sich eine Pedanterie, die er bisher nur an seinen wissenschaftlichen Arbeiten kennengelernt hatte. Jetzt aber kam sie ihm bei Erforschung wirklicher Verhältnisse zugute. Dabei stellte er sich gar nicht die Frage, zu welchem Zwecke er seine Bemühungen unternehme und wem er damit zu helfen gedenke. Gott weiß, wie viele Monate sein Leben in diesem Tale dauern würde. Er wollte von diesen Ortschaften und diesen Menschen alles wissen. In brüderlicher Verantwortung.

      Er begab sich – dies war das erste – zu dem Ortsvorsteher von Yoghonoluk. Im Gemeindehaus der größten Ortschaft wurden auch die gemeinsamen Geschäfte der übrigen Dörfer geführt, hauptsächlich der Verkehr mit den Staatsbehörden. Muchtar Kebussjan war nicht anwesend. Der Gemeindeschreiber empfing Gabriel mit vielen Verbeugungen, denn der Besuch des Familienchefs der sagenhaften Bagradians bedeutete eine Auszeichnung.

      Ob es Listen der Bevölkerung gebe. Der Schreiber wies mit Großartigkeit auf das verstaubte Regal an der Wand des Zimmerchens. Natürlich gebe es solche Listen. Und nicht nur in den betreffenden Kirchenbüchern sei jede Seele vermerkt. Man lebe hier ja nicht unter Kurden und Nomaden, sondern unter Christenmenschen. Vor einigen Jahren hätten die damaligen Muchtars auf eigene Faust eine Volkszählung durchgeführt. Im Jahre 1909 nämlich – nach der Reaktion gegen die Jungtürken und nach dem großen Massaker in Adana – sei von der armenischen Volksvertretung der Befehl eingelangt, eine Zählung in den sieben Dörfern vorzunehmen. Man habe roh gerechnet sechstausend Christen zusammengebracht. Der Effendi aber könne, sofern er es wünsche, in einigen Tagen die genaue Ziffer erfahren. Gabriel wünschte es. Dann erkundigte er sich, wie es mit dem Militärverhältnis der kriegsdienstpflichtigen Jugend stehe.

      Diese Frage war schon heikler. Der Gemeindeschreiber begann ein bißchen zu schielen wie sein Herr, der Muchtar. Der Mobilmachungsbefehl habe bisher alle wehrfähigen Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren zu den Waffen gerufen, obgleich das Gesetz die obere Altersgrenze mit siebenundzwanzig vorschreibe. Etwa zweihundert Männer seien im gesamten armenischen Dörferbezirk betroffen worden. Davon hätten genau hundertundfünfzig den Bedel, die gesetzliche Loskaufsumme vom Militärdienst, entrichtet, und zwar fünfzig Pfund auf den Kopf. Der Effendi wisse ja, daß man hierzulande sehr sparsam sei. Die meisten Familienväter sorgen schon gleich nach der Geburt von Söhnen für den Bedel vor, um diese vom türkischen Soldatenschicksal zu befreien. Der Muchtar von Yoghonoluk sammle in Begleitung des Gendarmeriepostens bei jedem neuen Aufgebot die Steuer ein und entrichte sie persönlich im Hükümet

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