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      »Nein, nein, Euer Gnaden, ich habe nichts zu beanspruchen. Der Herr Rittmeister haben ja nichts bei uns genossen.«

      Der Russe jedoch streckte wiederum seine Faust nach dem Ohrläppchen des nicht mehr Zurückweichenden aus.

      »Kleiner Galgenvogel,« meinte er gutmütig, »hast du vergessen, daß ich euch beinahe eine ganze Flasche von wunderschönen klaren und lieblichen Rheinwein austrank? Ein schöner Wein, ein seltener Wein! Wir Russen sind dankbar, wir erinnern uns stets der treuen und braven Diener. Hier, Pawlowitsch, nimm. Macht mir Freude, wenn du an Rittmeister Sassin denkst.«

      War es Ernst oder bestand alles in einem Irrtum? Gott im hohen Himmel, da hielt der Mann im Radmantel ein blankes Zwanzigmarkstück in der Hand; der über dem Markt heraufkommende Mond weckte Funken in dem roten Metall, und es war ein so einzig schönes Bild, daß Pawlowitsch seine langen Finger krampfhaft schloß, als gönne er es anderen nicht, sich an dieser wärmenden Augenweide zu ergötzen. Und doch krümmte sich seine Seele und wand sich ängstlich hin und her, denn die Güte des Rittmeisters erschien dem kundigen Mann verdächtig, und ein quälender Zweifel beschlich ihn, ob jenes Gold nicht vielleicht dazu bestimmt wäre, um die besseren Mahnungen seines Herzens zu übertönen. Man hatte so viel von den rauhen Grenznachbarn gehört, sie waren so lüstern nach diesen oder jenen gleichgültigen Dingen, die den Uneingeweihten gänzlich nebensächlich erschienen, und die dann doch plötzlich eine besondere Geltung gewinnen konnten. Und dann – die Versucher von dort drüben sollten sich im Besitz von ungeheuerlichen Schätzen befinden, die sie wahllos und verschwenderisch über die ihnen Ergebenen und Willfährigen ausstreuten. Hatte sich Pawlowitsch, der Listige und Verschlagene, nicht schon oft heimliche Gedanken darüber gemacht, wie hübsch es wäre, wenn man die groben ungeschlachten Kerle von jenseits der Grenze ein wenig necken würde? Natürlich nur ein bißchen aufziehen, um sie hinters Licht zu führen, denn man wußte ja eigentlich gar nichts, was die neugierige Gesellschaft wirklich interessieren könnte. Aber als der Hausmeister jetzt das kalte Goldstück mit seinen langen Spinnenfingern umschloß, da gab es ihm doch einen brennenden Stich durch alle Adern hindurch, und einen Moment schlugen Angst und Feigheit so stark in ihm empor, daß er fast ohne Überlegung die Hand ausstreckte, um das liebe, das schöne, das reiche Geschenk wieder von sich zu schleudern.

      »Da – da – Panne Rittmeister –«

      »Was willst du, mein lieber Junge?«

      »Ich – ich« – das Kerlchen im Radmantel erwachte – »ich wollte Ihnen bloß herzlich danken, Herr Rittmeister,« sagte er schmerzlich.

      Der Russe jedoch versetzte ihm einen freundschaftlichen Puff vor die Brust, so daß dem ohnehin Bedrückten einen Moment lang die Luft fortblieb.

      »Schon gut, Pawlowitsch,« hörte er die dröhnende Stimme dicht vor seinem Ohr, »das ist nur Kleinigkeit. Du gefällst mir, du gefällst mir wirklich. Und dann – wir sind ja auch halbe Landsleute. Wer weiß, was ich noch alles für dich tun kann? Und nun geh und richte deinen Auftrag aus, bei lieben Leutnant Fritz Harder. Wo wohnt er doch noch?«

      »Er wohnt Rosenkranzgasse 19,« schlich dem Diener die Stimme mühsam aus der Kehle. Und sich windschief verbeugend, schlug der Davoneilende ein Kreuz unter dem langen Mantel, indem er noch erstickt hinterher zu flüstern versuchte: »Jesus, Maria und Joseph, legt Fürbitte ein!«

      Als Pawlowitsch dies herausstöhnte, schlug es von der Sebalduskirche die zehnte Stunde. Das Glockenspiel des Meisters Adameit begann wieder seine glasklaren Melodien zu spielen: »Wer nur den lieben Gott läßt walten.« Da trat Pawlowitsch der Schweiß auf die Stirn. Fester und gieriger preßte er die Goldmünze in seiner Hand zusammen, als müsse er sich durchaus an etwas Irdisches klammern, und doch bröckelte es von seinen Lippen noch einmal wie vorhin, nur schaudernd und abwehrend:

      »Jesus, Maria und Joseph, wie leicht kann man das Geld auf dieser Erde verdienen. Wie leicht – legt Fürbitte ein!«

       Inhaltsverzeichnis

      Durch die langen schmalen Eichen vor dem Herrenhause von Maritzken raschelte der Frühwind. So eng beschnitten hatte man die dunkelgrünen saftigen Kronen, daß man die Bäume in der Ferne für hochstrebende Pappeln halten konnte. Nun wiegten sich die Wipfel im weißen Sonnenlicht des Julivormittags und warfen schwankende Schatten auf den grob gepflasterten Hof, der trotz beginnender Ernte und obwohl er von Leiterwagen und Pflügen besetzt war, so sauber aussah, als wäre er für eine besondere Feierlichkeit aus vielen Wasserschläuchen überspült worden. Auch die umgebenden Wirtschaftsgebäude blitzten stets unter einem weißen Anstrich, denn es machte den Stolz der Herrin von Maritzken aus, daß sich das von ihr bewirtschaftete Gut immer in weithin leuchtender Weiße zeige. Unter dem viereckigen Toreingang aber stand Johanna Grothe selbst, und die Sonnenstrahlen hüllten ihr lockeres Haar in eine Goldhaube ein. Vor ihr verharrte in Hemdsärmeln die untersetzte Figur ihres Statthalters, der sein kleines zehnjähriges Töchterchen an der Hand führte.

      »Nun, Baumgartner,« fragte Johanna den Mann mit der vorzeitig durchfurchten Stirn freundlich, »wie weit halten wir heute?«

      Da berichtete der treu sorgende Verwalter, der die Angewohnheit aller älteren Landleute besaß, die Gutsangelegenheiten nicht allzu rosig darzustellen, wie man bei der Rapsernte auf ganz verfluchte Flecken gestoßen sei, die mit nichts als Unkraut und Hederich bewachsen wären.

      »Da ist wieder ein toller Hund gelaufen,« sagte der Landmann nach dem Aberglauben der dortigen Gegend.

      »I, lassen Sie nur, Baumgartner,« tröstete Johanna lächelnd, »unser Raps selbst steht fett und gut. Es kann einem das Herz im Leibe lachen.«

      Der Mann kraute sich leicht hinter dem Ohr. »Na ja, Fräuleinchen, aber mit dem Kartoffelumwerfen, da kommen wir nicht richtig vorwärts. Uns fehlen Pferde. Ponnies müßten wir haben, mit schmalem Tritt.«

      »Da haben Sie recht, Baumgartner,« nahm seine Herrin den Einwurf lebhaft auf, »aber wissen Sie das Neueste? Heute nachmittag fahre ich mit meinen Schwestern nach Grabowo.«

      »Was, über die Grenze?« hob hier der Verwalter sein sonnengebräuntes Haupt und zuckte ein wenig mißtrauisch die Achseln, und als er erfahren, daß seine Gebieterin dort drüben das vermißte Pferdematerial zu kaufen beabsichtigte, da klopfte er mit dem Finger noch einmal warnend gegen die Schärfe seiner Sichel. Es gab einen hellen Ton. »Vorsichtig, gnädiges Fräulein,« riet er dringend, »die Gesellschaft da drüben geht nicht immer ehrlich zu Werke.«

      »Oh, Sie können unbesorgt sein, Baumgartner, Herr Konsul Bark begleitet uns.«

      Da ging ein beifälliger Zug über das ernste Antlitz des Landmannes.

      »Das ist gut,« stellte er fest. »Konsul Bark versteht seine Sache. Er hat auch mit dem alten Trakehner Hengst bei uns recht behalten. Das Tier arbeitet drei junge Pferde in Grund und Boden.« Und während sich der Beamte schon zum Abgang wandte, fragte er noch einmal ehrerbietig: »Und zu wann befehlen das Fräulein den Wagen?«

      Eine schwere Falte grub sich dabei mitten über die Stirn des Mannes. Allein Johanna verstand ihn.

      »Nein, nein, Baumgartner,« beruhigte sie. »Sie brauchen sich gar nicht stören zu lassen, Herr Konsul Bark holt uns in seiner eigenen Equipage ab, obwohl uns unser Weg ja ohnehin durch die Stadt führen würde. Sie können Ihre Pferde ruhig bei der Arbeit behalten.«

      »Oh, danke schön, gnädiges Fräulein, das ist gut. Herr Konsul Bark weiß, was sich gehört. Ich freue mich immer, wenn er auf das Gut kommt. Nun vorwärts, Tilli.«

      Er gab seiner kleinen Tochter einen Wink, das Kind knixte und beide schritten rasch bis zum Hoftor. Jedoch sie sollten nicht hinausgelangen. Von der Chaussee her erhob sich ein scharfes Rollen, Peitschenklang schwirrte durch die Luft, und gleich darauf sah die Gutsherrin, wie ihr Verwalter ein Paar mächtigen Rappenhäuptern beruhigend über die schäumigen Nüstern klopfte.

      Bei Gott,

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