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der Anhänger – sind bloße Anarchisten. Das heißt: Leute, die da glauben, die Regeln all und die Formeln hätten das menschliche Glück untergraben. Leute, die da glauben, daß alles Menschenverbrechen aus dem System resultiert, das es eben – Verbrechen getauft hat. Leute, die da nicht glauben wollen, daß das Verbrechen die Strafe erzeugt. Sondern Leute, die da glauben, daß die Strafe das Verbrechen erzeugt hätte. Die glauben, daß, wenn ein Mensch sieben Frauen verführt, der natürlich so schuldlos daraus hervorginge wie eine Blume im Lenz. Glauben, daß, wenn ein Mensch maust, er von den exquisitesten Gefühlen beseelt ist … Diese alle nenne ich das harmlose Lager.«

      »Oho!« sagte Syme.

      »Natürlich faselt diese Sorte Volks dann von ›einer glücklichen Zeit, die anbrechen wird‹, vom ›Paradies der Zukunft‹ und einer ›Menschheit jenseits von Gut und Böse und so weiter und so fort. Und gerad so faseln die Leute des inneren, Zirkels – die geweihte Priesterschaft. Und faseln so: damit ihnen der Pöbel Beifall schreit – zur glücklicheren Zukunft, zur Befreiung der Menschheit. Aber in ihren Mündern (und der Konstabler sprach leiser), in ihren Mündern verkehren sich diese Phrasen vom Glück heimlich in ein furchtbares Gegenteil. Die wissen von keinen Illusionen, die; die sind viel zu gescheit, als daß sie dächten, der Mensch könne sich jemals ganz von der Erbsünde befreien und über alle finstern Mächte Sieger sein. Wenn sie so reden, so meinen sie damit den Tod. Und wenn sie da sagen, daß die Menschheit dereinst frei werden würde, so meinen sie damit, die Menschheit soll Selbstmord begehen. Wenn sie vom Paradies und Jenseits von Gut und Böse daherreden, so meinen sie damit das Grab. Sie kennen nur zwei Ziele: erst die Humanität auszurotten und dann sich selber. Und darum auch ist es, daß sie Bomben werfen, statt mit Pistolen zu schießen. Die Laien, die sind immer enttäuscht, daß die Bombe den König unversehrt ließ; die hohe Priesterschaft aber jubelt, daß nur irgendwer dabei umkam.«

      »Wie kann ich Ihnen beitreten?« fragte Syme, in dem eine heftige Neigung erwachte.

      »Ich weiß ganz bestimmt, daß momentan eine Vakanz ist«, sprach der Blaue. »Indem ich nämlich die Ehre habe, bei meinem Chef, von dem ich Ihnen sprach, einigermaßen in Konfidenz zu stehen. Sie brauchen nur zu kommen und ihn zu sehen. Das heißt … vielmehr … ich wollte sagen …: nicht sehen, denn niemand sieht ihn. Aber Sie können mit ihm sprechen, wenn Sie wollen.«

      »Telephonisch also?« inquirierte Syme voller Interesse.

      »Nein«, sagte der Blaue voller Gelassenheit, »er sitzt nur mit etwas wunderlicher Vorliebe allweil in einem – zappendusteren Raum. Das macht ihn heller im Kopf, wie er behauptet. Kommen Sie mit.«

      Denn doch etwas verwirrt, und ziemlich aufgeregt, wie du dir denken magst, ließ Syme es geschehen, daß er durch ein Seitentor in die lange Zeile der Londoner Kriminalpolizei-Gebäulichkeit nun verschleppt wurde. Und schier eh er wußte, was er tat, war er durch die Hände von ungefähr vier Intermediatbeamten gelaufen und fand sich auch schon – hast du nicht gesehen – in einem Raum, dessen abrupte Schwärze ihm wie ein jäher Brand aufflammte. Das war keine gewöhnliche Dunkelheit, darin man noch irgendwie hätte irgend etwas unterscheiden können: das war – als wie wenn du plötzlich mit Stockblindheit geschlagen wärest.

      »Sind Sie der neue Rekrut?« kam eine schwere Stimme her.

      Auf eine seltsame Weise, obschon in dem Duster nicht der Schatten eines Schattens zu unterscheiden war, konstatierte Syme diese zwei Tatsachen: erstens, daß die Stimme aus einem Menschen von massiver Statur kommen mußte – und zweitens, daß der Mensch mit dem Rücken zu ihm stand.

      »Sind Sie der neue Rekrut?« sagte der unsichtbare Chef, der von allem bereits zu wissen schien. »Dann ist alles in Ordnung. Sie sind engagiert.« Syme, den’s beinah umschmiß, suchte ein wenig gegen diesen unwiderruflichen Satz aufzukommen. »Mir fehlt absolut jede Erfahrung«, fing er an. »Ich habe absolut keine Ahnung –«

      »Kein Mensch«, sprach der andere, »hat eine Ahnung von der Schlacht bei Harmageddon.«

      »Aber ich bin ganz und gar untauglich – –« »Sie sind willens – und das genügt«, sprach der Unbekannte.

      »Ja ja, das schon, aber –«, sprach Syme, »ich kenne kein Amt, zu dem man durch bloße Bereitwilligkeit schon befähigt wäre.«

      »Aber ich«, sprach der andere – »Das Martyrium. Den Märtyrertod, Ich verurteile Sie hiermit zum Tode. Guten Tag.«

      So geschah es, daß, als Gabriel Syme wieder in das Karmesinrot des Abends heraustrat, er es in seinem schäbigen schwarzen Hut und mehr als schäbigen Mantel tat: als Mitglied des Neuen Detektivkorps zur Vereitelung der Großen Verschwörung. Auf Anraten seines Freundes, des Polizisten, (der aus Beruf zur Nettigkeit hinneigte) kämmte und wichste er Haar und Bart, kaufte sich einen anständigen Hut, kleidete sich in einen exquisiten lichtblaugrauen Sommeranzug, steckte eine blaßgelbe Blume ins Knopfloch und ward mit einem Wort zu jenem eleganten und ziemlich unausstehlichen Menschen, mit dem Gregory in dem kleinen Garten zu Saffron Park allsogleich in Konflikt geriet. Ehe denn er den polizeilichen Boden endgültig verließ, stattete ihn sein Freund noch mit einer kleinen blauen Karte aus, darauf stand: »Der Letzte Kreuzzug« sowie eine Nummer – das Zeichen seiner Beamtenwürde. Solches steckte er sorgfältig in seine obere Westentasche, zündete sich eine Zigarette an und zog aus: aus wider den Feind in allen Salons von London. Wohin sein Unternehmen ihn zuletzt verschlug, das haben wir bereits gesehen. Und ungefähr um ein halb zwei Uhr in einer Februarnacht fand er sich mit einemmal auf einem kleinen Dampfer auf der schweigenden Themse, mit Stockdegen und Revolver bewaffnet, als statutenmäßig erwählter Donnerstag des Zentral-Anarchistenrats.

      Wie Syme in die Barkasse einstieg, war ihm gerad so absonderlich zumute, als ob er in etwas ganz und gar Neues hineinstiege. Nicht nur in die Landschaft eines neuen Landes; sondern wie in die Landschaft eines neuen Planeten. Und das war wohl hauptsächlich aus dem toll-unerschütterlichen Entschluß dieses Abends heraus – immerhin aber auch trug die gänzliche Veränderung der Witterung und des Himmels (in den zwei Stunden, seit er in die kleine Kneipe hineingeraten war) etwas dazu bei. Keine Spur mehr von dem wilden Wolkengefieder um die Zeit des Sonnenuntergangs … ein nackichter Mond stand in einem nackichten Himmel. Der Mond war so hell und voll, daß er (eine Paradoxie, die schon oft wahrgenommen wurde) wie eine trübere und schmächtigere Sonne aussah. Da war nichts von einem lebendigen Mondschein – da war vielmehr etwas wie ein totes Tageslicht.

      Die ganze Landschaft war von einer Helligkeit überstrahlt – und entstellt – gerad wie von jenem unheilvollen Zwielicht (von dem Milton sprach), das die Sonne bei Sonnenfinsternissen um sich verbreitet. Also daß Syme leichtlich auf jenen Gedanken verfallen konnte: er wäre tatsächlich auf einem anderen leereren Planeten, der einen düstereren Stern umkreiste. Aber je ungestümer diese glitzernde, alles Mondlichtland überglitzernde Schwermut auf ihn eindringen wollte, desto schimmernder wölbte sich ihm der Panzer seines wahnsinnigen Heldentums und ward als wie ein großes Feuer. Just die prosaischsten Dinge, so er mit sich trug, die Wurststullen, der Brandy und der geladene Revolver, erschienen ihm bald von jener fast mit den Händen zu greifenden Poesie umgeben, wie sie ein Kind fühlt, wenn es sein Gewehr auf die Reise oder ein Stückchen Kuchen ins Bett mitnimmt. Der Stockdegen und die Schnapsbuttel, obschon an sich nichts weiter als das Werkzeug pathologischer Verschwörer, veredelten sich ihm zu Dingen seiner (denn doch um etwas gesünderen) Romantik. Der Stockdegen ward ihm sein Heldenschwert – und der Fusel zu Wein vom ritterlichen Abschiedstrunk. Denn gerade die unmenschlichsten Phantasien verlassen sich auf ältere und simple Vorbilder. Die Abenteuer mögen verrückt – der Abenteurer aber muß gesund sein. Der Drachen ohne den Ritter Sankt Georg – wäre der viel grotesk? Gleicherweise war diese unmenschliche – geisternde Landschaft einzig denkbar durch die Anwesenheit eines tatsächlich menschlichen – menschlichen Menschen. Syme, der gern alles übertrieb, erschienen die hellen bleichen Häuser und Terrassen an der Themse, so öde wie die, Gebirge auf dem Mond … Selbst der Mond ist nur poetisch, weil da ein Mann im Monde ist.. Das Schiff, das von zwei Männern bedient wurde, hatte große Plackerei und kam nur verhältnismäßig langsam voran. Der helle Mond, der über Chiswick stand, war untergegangen, als Batter-see passiert wurde; und als man durch das enorme Westminster fuhr, begann der Tag anzubrechen. Brach an – so wie ungeheuere

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