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…«, sagte Syme faul, »ich weiß nicht, wie ich Ihnen all das Wahre kürzer mitteilen sollte als mit den drei Worten: daß Ihr Trick, sich als einen meschuggenen Dichter aufzuspielen, sich nicht auf Sie oder Ihren Präsidenten beschränkt. Wir kennen diesen Trick seit einiger Zeit schon – bei Uns – auf der Londoner Kriminalpolizei.« Gregory versuchte aufzuspringen, aber etwas drückte ihn dreimal wieder nieder.

      »Was … sagen … Sie?« fragte er – und das schien von keiner Menschenstimme mehr –

      »Ja«, sagte Syme wie selbstverständlich, »ich bin ein Polizeidetektiv. Aber ich denke, ich höre Ihre Freunde kommen.«

      Den Torweg her, da kam ein Murmeln: »Mr. Joseph Chamberlain …« Und wiederholte sich – zweimal – dreimal – und dann dreißigmal … und der Haufen der Joseph Chamberlainisten (ein ehrfurchteinflößender Gedanke) meldete trampelnd sich den Korridor herab.

       Der Mann, der Donnerstag war

       Inhaltsverzeichnis

      Bevor eins der neuen Gesichter im Torweg auftauchte, hatte Gregory sich aus seiner Betäubung befreit: stand mit einem Satz am Tisch, aus seinem Halse rasselnd wie ein wildes Tier: ergriff den Totschläger-Revolver und zielte auf Syme. Der aber, der muckste nicht – und erhob nur eine bleiche und galante Hand.

      »Seien Sie doch nicht so albern«, sagte er mit der verweichlichten Würde eines Kuratus. »Sehen Sie denn nicht, daß das ganz überflüssig ist? Sehen Sie denn nicht, daß wir dasselbe Schicksal teilen – daß wir beide in einem Boote treiben? Ja … und beide hübsch seekrank?«

      Gregory war keines Wortes fähig und auch nicht imstande, abzudrücken … er fragte nur noch mit den Augen.

      »Wollen Sie denn nicht einsehen, daß wir eins das andere schachmatt gemacht haben?« rief Syme. »Ich – ich kann der Polizei nicht erzählen, daß Sie Anarchist sind, Sie – Sie können den Anarchisten nicht erzählen, daß ich Polizei bin. Ich kann nichts als Ihnen gegenüber auf meinem Posten sein, indem ich ganz genau weiß, wer Sie sind. Und Sie können nichts als mir gegenüber auf dem Ihrigen sein, indem Sie ganz genau wissen, wer ich bin. Kurz, es ist ein gänzlich abseitiges und verborgenes intellektuelles Duell zwischen uns beiden, total ohne Zeugen, meinen Kopf gegen den Ihrigen gesetzt. Ich bin Polizeimensch, ganz von aller Hilfe aller Polizei verlassen. Und Sie, mein armer Bester, Sie sind Anarchist, ganz außer allem Gesetz und aller Organisation, ganz ohne diese beiden, die selbst die Anarchie doch so nötig hat … Der einzige Unterschied zwischen uns beiden liegt darin, ob Sie mir Ihren Schutz angedeihen lassen wollen. Sie sind nicht von inquisitorischen Schutzleuten umgeben. Wohl aber ich von inquisitorischen Anarchisten. Ich kann Sie nicht ausliefern, aber es könnte sein, daß ich mich selber ausliefere. Kommen Sie, so kommen Sie doch! und warten Sie’s ab und sehen Sie zu, wie ich mich selber ausliefere! Ich werde es auf das Unterhaltlichste tun.«

      Gregory ließ das Schießeisen langsam sinken und starrte aber Syme immer noch an, als sei der ein Meerwunder.

      »Ich glaube nicht daran, ich glaube in alle Ewigkeit nicht daran«, sagte er endlich, »aber sollten Sie nach alldem dennoch Ihr Wort brechen, so würde unser Herrgott gewiß eigens für Sie eine eigene Hölle erschaffen, darin Sie in alle Ewigkeit heulen und zähneklappern müßten.«

      »Ich werde mein Wort schon nicht brechen«, sprach Syme unnachgiebig, »aber auch Sie werden das Ihrige nicht brechen .. Da sind Ihre Freunde.« Der Haufen Anarchisten brach schwer herein – schwerfällig, schleppend und wie müde und beschwerlich. Und nur ein kleiner Mann, ein Männchen, schwarz bebartet und mit Augengläsern – ein Männchen vom Typ des Mr. Tim Healy – wand sich aus dem Knäuel heraus und zappelte voran – die Hände voller Papiere.

      »Kamerad Gregory«, sagte er, »ein Delegierter vermutlich?«

      Gregory, aufs neue überrannt, sah zu Boden und nuschelte etwas, das Syme heißen sollte; aber Syme versetzte – fast naseweis:

      »Bin erfreut zu sehen, daß Ihr Zugang genügend genug bewacht ist … also daß es einem andern, der nicht Delegierter wäre, ziemlich schwer gemacht würde, hier hereinzukommen.«

      Um die Brauen des schwarz bebarteten Männchens zog es sich immer noch schwarz-argwöhnisch zusammen.

      »Welchen Zweig repräsentieren Sie?«

      »Es wäre fast Dreistigkeit, da viel von einem Zweig zu reden«, sagte Syme und lachte, »wir sollten es viel lieber gleich die Wurzel nennen.«

      »Wie belieben?«

      »Tatsache ist«, sagte Syme heiter, »die Wahrheit ist – ich bin ein … Sonntagskind. Ich bin speziell ausgeschickt, um nachzusehen, daß Sie … den Sonntag heiligen.«

      Der kleine Mann ließ eins seiner Papiere fallen, – und eine Flamme der Scheu leckte über die Gesichter der Gruppe hin. Es war einleuchtend, daß der hehre Präsident, der Sonntag hieß, zuweilen solch einen irregulären Abgesandten zu solchen Zweigversammlungen absandte.

      »Nun wohl, Kamerad«, sprach der Mann mit den Papieren nach einer Pause, »da tun wir vielleicht gut – da tun wir sogar noch besser, wenn wir Ihnen Sitz und Stimme in unserer Versammlung einräumen?«

      »Wenn ich Ihnen als Freund raten soll«, sagte Syme mit Nachdruck und Wohlwollen zugleich, »so tun Sie damit vielleicht gut – ja, tun Sie sogar noch besser.«

      Wie Gregory dies gefahrenreiche Frage-und Antwortspiel mit einer ungeahnten Garantie für die Sicherheit seines Rivalen ausgehen hörte, triebs ihn jäh empor – und er durchmaß den Raum im Geschwindschritt und unter schrecklichen Gedanken. Er befand sich in der Tat da in einer tödlichen Zwickmühle. Wie nur heraus? Was anstellen? Klar war dieses: daß Syme durch seine improvisierte maßlose Dreistigkeit wahrscheinlich aus allen nur möglichen Klemmen entkommen würde. Und das barg wenigstens etwas – wenigstens etwas Hoffnung für ihn. Konnte er selber Syme verraten? Das ging doch nicht. Und ging nicht nur nicht aus Ehrensache. Denn wenn er selber Syme verriet und denselbigen Syme (wie mit einigem Grund anzunehmen war) nicht gleich ganz und gar unschädlich machen konnte – ja dann entwischte und entkam ja ein Syme (ein ganz anderer Syme), der ledig war aller Schweigepflicht, ein Syme mit einem Wort, der getrost zur nächsten Polizeistation gehen konnte. Zudem – es war ja nur die Diskussion einer Nacht – und überdem wars ja nur ein einziger Detektiv, der darum wußte. So war also noch das Gescheiteste von allem: heut nacht soviel wie möglich von allen Plänen unter den Tisch fallen – und Syme sodann gehen – und alles eben darauf ankommen zu lassen …

      Er schob sich durch die Menge der Anarchisten, die im Begriff waren, sich in die Bänke zu verteilen, und sagte:

      »Ich denke, es ist Zeit zum Anfangen. Der Schleppdampfer auf dem Fluß – der wartet bereits. Ich schlage vor, daß Kamerad Buttons den Präsidentenstuhl einnimmt.«

      Und nachdem dies durch Händeaufheben genehmigt war, schlüpfte das Männchen mit den Papieren in den Präsidentenstuhl.

      »Kameraden«, knatterte es aus ihm so wie Pistolenschüsse, »unsere Versammlung von heute nacht ist wichtig, wenn sie auch nicht lang zu sein braucht. Dieser unserer Filiale ward von jeher die hohe Ehre zuteil, die … Donnerstage für den Zentraleuropäischen Rat zu wählen. Und wir haben manche und hervorragende Donnerstage gewählt. Wir beklagen alle den beklagenswerten Hintritt des heldenmütigen Wirkers und Walters am Werk, der dieses Amt bis vorige Woche ausübte. Wie wir wissen, waren seine Dienste für die gute Sache hochansehnliche. Er organisierte den großartigen Dynamitanschlag zu Brighton, der unter gesegneteren Umständen jedermann auf der Mole hätte ausrotten müssen mit Stumpf und Stiel. Wie wir gleichfalls wissen, war sein Sterben so selbstverleugnend wie sein ganzes Leben, denn er starb durch seinen Glauben an eine hygienische Mischung von Kalk und. Wasser als ein Substitut von – als ein Ersatz für Milch, welches Getränk er für ebenso barbarisch hielt als wie die unerhörte, daraus folgernde oder rückzuschließende Barbarei und Grausamkeit an jenem armen Tier – der Kuh. Grausamkeit,

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