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prunken und die Karussels sich munter drehen, um dort sein »Interessantes Wundertheater« aufzuschlagen.

      Er hatte mit Hilfe der schwebenden Jungfrau gerade den ersten Pflock in die Erde getrieben, einen Strick darum geschlungen und Hugo daran gebunden, als sich federnden Schrittes der dicke Polizist Neumann nahte, der ihn ebenso bestimmt wie freundlich darauf aufmerksam machte, daß er sich die weitere Mühe der Errichtung seines »Interessanten Wundertheaters« sparen könne. Der Krieg sei erklärt. Die für heute abend angesagte Vorstellung könne vom Bürgermeister in Anbetracht der ernsten Zeitumstände nicht mehr gestattet werden. Es gehe jetzt um andere Dinge als um den Eierkuchen im Zylinder oder um den gedankenlesenden Bären Hugo. Kein Mensch habe Lust, sich derlei abenteuerlichen Unsinn jetzt anzusehen. Er möge sein »Interessantes Wundertheater« bis auf günstigere Zeiten suspendieren. Damit entfernte sich der Polizist Neumann, freundlich und bestimmt, wie er gekommen war.

      Herr Salandrini war wie vor den Kopf geschlagen. Die Möglichkeit eines internationalen Konfliktes, der ihn um Beruf und Brot bringen konnte, hatte er nie im entferntesten in Berechnung gezogen. Auch Hugo, der gedankenlesende und wahrsagende Bär, hatte ihn davon in Kenntnis zu setzen verabsäumt, ja, er schien selber noch nichts von dem drohenden Unheil, das sich auch über seinem Haupte in dunklen Wolken zusammenballte, zu ahnen. Er saß klein und verhungert neben dem Pflock, knabberte wie ein Kind an seinen Pfotennägeln und starrte mit jenem Ausdruck beseelten Stumpfsinns vor sich hin, der unsere Lachmuskeln eben so reizt, wie er unser Grauen erweckt.

      Herr Salandrini setzte sich auf die Wagendeichsel und sann den ganzen Tag, was er nun anfangen solle, um sich und seine Familie durchzubringen. Er hieß eigentlich Schorsch Krautwickerl und war aus Bamberg. Zum Heeresdienst würde man ihn nicht mehr einziehen, dazu war er zu alt. Im übrigen war er sich sehr klar, daß er augenblicklich bei niemand auf Verständnis und Teilnahme für seine merkwürdigen Kartenkunststücke und die erstaunliche Begabung des gedankenlesenden Bären Hugo zu zählen habe.

      Er sann mehrere Tage. Dann ging er auf das Bürgermeisteramt und bat um irgendeine, wenn auch die geringste, Arbeit. Die schwebende Jungfrau und der Bär blieben in banger Erwartung zurück. Sie teilte schwesterlich mit ihm eine alte Brotkruste.

      Herr Salandrini kehrte mit der frohen Botschaft zurück, daß er als Koksarbeiter bei der städtischen Gasanstalt Verwendung gefunden habe. Das war wenigstens etwas, wenn auch nicht viel, denn das Gehalt, das Herr Salandrini empfing, reichte kaum für einen Magen (der Bedarf an Koksarbeitern ist schon im Frieden nicht nennenswert). Wenn also die schwebende Jungfrau zur Not noch mit versorgt war – vielleicht fände sie in der Stadt eine Stelle als Aufwaschfrau? –, was sollte aus dem kleinen, sowieso schon halb verhungerten Bären, ihrem Liebling, Kapital und Abgott werden?

      Am nächsten Tage erschien in der Zeitung ein Inserat: »Edle Herrschaften werden um Abfälle gebeten für den wahrsagenden Bären des Zauberers Salandrini.«

      So sättigte sich der Bär Hugo von nun ab an den Abfällen edler Herrschaften, die ihm nicht so reichlich zukamen, daß sie ihn völlig befriedigten. Er saß auf dem Salzplatz, an seinen Pflock gebunden, unter Aufsicht der schwebenden Jungfrau, welche Wäsche ausbesserte, und der Herbstregen wusch seinen Pelz. Es wurde Spätherbst, und der Bär fror. Sein Pelz zitterte und seine müden Augen sahen furchtsam zum bleiernen Himmel empor. Die schwebende Jungfrau weinte.

      Da kam Herr Salandrini auf einen guten Gedanken. Er war ja Koksarbeiter an der Gasanstalt. Er bat den Magistrat um Erlaubnis, den Bären in einen leeren warmen Raum der Gasanstalt, neben den großen Öfen, unterbringen zu dürfen. Der Magistrat, der sich von der Harmlosigkeit des halb verhungerten und schwächlichen kleinen Bären längst überzeugt hatte, gab die Einwilligung, und der Bär hockte nun hinter einer hölzernen Gittertür und blickte mit traurigen Augen in die feurige Glut der Öfen. Hin und wieder besuchten ihn die Kinder des Gasanstaltsinspektors und brachten ihm ein Stück Kriegsbrot oder Küchenreste. Er fraß alles, was ihm zwischen die Zähne gestopft wurde.

      Eines Morgens aber lag er tot hinter dem Gitter, und das rosa Licht der Öfen tanzte über sein dunkelbraunes spärliches Fell.

      Herr Salandrini war erschüttert, aber als Koksarbeiter hatte er keine Zeit zu langen Meditationen. Die schwebende Jungfrau warf sich schreiend über den toten Bären und das ganze sah aus wie ein Bild von Piloty.

      Ob der Bär an Gasvergiftung oder an Unterernährung zugrunde ging, war nicht festzustellen.

      Herr Rechtsanwalt K. kaufte Herrn Salandrini das Bärenfell samt dem Kopfe ab. Herr K. ist im Begriff, die Stadt zu verlassen und in Z. eine neue Praxis aufzunehmen. Er wird sich das Fell des wahrsagenden Bären Hugo in seinem Herrenzimmer an die Wand nageln, und wenn er Freunde bei sich zu Gast hat, wird er mit einer großen Gebärde auf das Fell deuten, seine Zigarrenasche nachlässig abschlagen und zerstreut zu erzählen beginnen:

      »Als ich noch in den schwarzen Bergen Bären jagte…«

      Der wohlhabende junge Mann

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist Sonntag nachmittag. Irgendwo ist Krieg. Draußen steht ein kalter, blauer Himmel. In zwei fast gleiche Hälften, eine graue, blaßgelbe und eine hellgoldene, teilt die Wintersonne das gegenüberliegende Haus. Die rostbraunen länglichen Fensterkreuze blicken steil und starr wie Kruzifixe. Jetzt wird eines – im dritten Stock – auseinandergerissen. Ein Mann mit dickem, kahlem Kopf und schmutzigrüner Lodenjacke schiebt sich heraus und sieht auf die Straße. Eine schwarzgekleidete Frau, das Staubtuch in der rechten Hand, beugt sich über ihn. Dann verschwinden sie beide, und die weiße Gardine zieht sich langsam zu. –

      Ich liege auf dem Sofa und wühle meinen Kopf in das weiche, warme Samtkissen. Irgendwo ist Krieg. Ich brauche nicht zu denken, nicht zu fühlen, nicht zu handeln. Ohne Anstrengung träume ich beinah traumlos. Keine Erinnerung vergangener, kein Wille zukünftiger Taten. Kein unbewußtes Ich-sein wollen. Wie die Fackel im Sande bin ich im Raumlosen verlöscht. Ich schließe die Augen. Das Licht zwängt sich durch die Fenster. Es löst alle Gestalten im Zimmer und verschlingt sie: den großen Schrank, die Bilder an der Wand, die Sessel, jetzt tappt es am Spiegel vorbei, jetzt greift es an die messingne Türklinke. Wie ein Körper ist das Licht. Wie ein Körper, aus dem alle Dinge erst sind. Wie ein Schaffender. Es streicht über den weißen Kachelofen. Und der Ofen ist. Ich spüre den Atem des Lichtes auf den weißblauen Fliesen. Zu mir kommt das Licht nicht. Ich rolle mich zusammen und blinzle durch die Lider. Als ein Andrer, Feindlicher liege ich außerhalb des Lichtes in einer engen, wohligen Dunkelheit wie in einer Wiege, die sich selber.. lang.. langsam.. hin.. und.. her.. wiegt.. hin.. und her. Die Uhr schlägt. Einmal. Ich sehe, wie der dumpfe, schöne Klang in das lichtvolle Zimmer rollt.. wie er nachzittert.. unruhig.. leise.. leise weinend, gleich einem Kind, das den Weg verloren hat. Wie die Strahlen nach ihm haschen, ihn tragen auf den silbrig goldenen Fittichen, ihn fallen lassen und wieder heben. Ich weiß nicht wie spät es ist, ich weiß es nie. Ich habe die Uhr falsch gestellt. Ich liebe das Leben zwischen den Zeiten. Eine Uhr, die pünktlich und zeitsicher in meinen Räumen die Stunden schlägt, wäre mir ärgerlich und unerträglich, eine klägliche Mahnerin. Ich habe auch keinen Abreißkalender. Die Tage sind mir so gleichgültig, der erste und der sechste und zehnte. Was sollen sie? Gewißheit ist eine unanständige Tugend, nicht einmal dem Tode steht sie an.

      Ich rekle mich und strecke mich. Es hat halb geschlagen. Irgendwie halb. Halb drei oder halb vier. Und dann geht die Uhr noch zwei oder drei Stunden und soundsoviel Minuten und soundsoviel Sekunden nach oder vor. Wie schön, wie töricht schön, gar keine Wünsche, keine Hoffnung, kein Hasten, kein erzwungenes Lachen des Glaubens mehr zu haben. Nur ein Gaukeln und Treiben auf dunklen Wellen, bald auf Wellenbergen, bald in Wellentälern.

      Der Widerschein eines Fensters kriecht mir aufdringlich über das Gesicht.

      Ich werde wach. Was tu ich nun nachher? Geh ich ins Café? Ich wollte ja noch mit dem Geschäftsführer sprechen. Das Büffetfräulein hatte gestern eine schmutzige Schürze um. Dabei ist sie hübsch. Daß den abstrakten Dingen keine Reinlichkeit innewohnt. Daß wir sie immer erst waschen müssen.

      Oder

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