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ihnen merkwürdige Geschichten, die er selbst erlebt haben wollte, sehr lustige Geschichten in einem traurigen Tonfall, worüber sie sehr lachten. Il Santo Bubi nannten die drei ihn unter sich. Bubi hatte ihn das bayerische Mädel getauft. Il Santo, der Heilige, setzte die Italienerin dazu, denn, sagte sie: er ist gewiß ein Heiliger. Er tut, denkt, spricht nie etwas Schlechtes. Und hat es nie getan. Nur ist er krank. Aber alle Heiligen sind krank.

      Kürzlich, bei der Untersuchung, verkündete ihm der Arzt, er könne vorläufig nicht mehr hier oben bleiben. Er müsse ins Tiefland hinab. Möglichst bald. Nach Heidelberg in die Klinik. Zu einer kleinen, ganz unbedeutenden, ganz ungefährlichen Operation. – Wir wissen alle hier, was es heißt, wenn einer der Unsern (wir sind ein Volk, wir Kranken) mit dieser Beschwichtigung in die Ebene zurückgesandt wird. Die Operation ist das letzte Mittel. Und hilft in einem von hundert Fällen. Manchmal schickt man die Leute auch nur hinunter, damit sie hier oben nicht sterben. Wegen der Statistik ...

      Der Referendar weiß das alles. Während seine drei Trabanten weinen, lächelt er. Er hat eine Extrapost bestellt, die drei werden ihn begleiten.

      Ich sprach mit ihm über sein Schicksal, ruhig, sachlich, wie man über Geschäfte spricht. Die Krankheit ist schließlich ein Geschäft.

      »Ich werde nicht sterben,« seufzte er, und sein junges Gesicht verwandelte sich in das eines Greises, »ich kann nicht sterben, glauben Sie mir ...«

      *

      Am nächsten Tage fand ich zwei Gedichte von seiner Hand auf meinem Platz am Frühstückstisch liegen. Mit einem kurzen Abschiedsgruß. Er war früh um sechs mit der Italienerin davongefahren.

      Das erste Gedicht, bissig, von verzweifelter, verzweifelnder Komik, lautet:

      Sie müssen ruhn und ruhn und wieder ruhn.

      Teils auf den patentierten Liegestühlen

      Sieht man in Wolle sie und Wut sich wühlen,

      Teils haben sie im Bette Kur zu tun.

      Nur mittags hocken krötig sie bei Tisch

      Und schlingen Speisen, fett und süß und zahlreich.

      Auf einmal klingt ein Frauenlachen, qualreich,

      Wie eine Aeolsharfe zauberlich.

      Vielleicht, daß einer dann zum Gehn sich wendet

      – Er ist am nächsten Tage nicht mehr da–

      Und seine Stumpfheit mit dem Browning endet.

      Ein andrer macht sich dick und rund und rot.

      Die Ärzte wiehern stolz: Halleluja!

      Er ward gesund! ( ...und ward ein Halbidiot.)

      Über dem zweiten Gedicht steht die Überschrift:

      Ahasver.

      Ewig bist du Meer und rinnst ins Meer,

      Quelle, Wolke, Regen – Ahasver.

      Tor, wer um enteilte Stunden träumt,

      Weise, wer die Jahre weit versäumt.

      Trage so die ewige Last der Erde

      Und den Dornenkranz mit Frohgebärde.

      Schlägst du deine Welt und dich zusammen,

      Aus den Trümmern brechen neue Flammen.

      Tod ist nur ein Wort, damit man sich vergißt ...

      Weh, Sterblicher, daß du unsterblich bist!

      *

      Il Santo Bubi ist bei der Operation gestorben. Oder ist er nicht gestorben, der kranke Ahasver, der ahasverische Kranke? Lebt er noch? In Heidelberg? Oder sonst wo? Bin ich es vielleicht? Liegt er immer noch acht Stunden am Tag, und geht eine halbe Stunde spazieren, gestützt von seinen Trabanten, daß er beim Glatteis mit seinen schwachen Beinknochen nicht fällt?

      Was bedeutet das: tot sein? Il Santo Bubi war gewiß kein richtiger Dichter. Aber wie schön ist jene Zeile »Tod ist nur ein Wort, damit man sich vergißt« ... Damit man sich vergißt ...

      Der goldne Tod

       Inhaltsverzeichnis

      Spitze Gipfel traten wie beschneite Tannen aus den Wolken, als der Zweispänner in Chur, wie ferner Donner dunkel von den Bergen niederrollend, einfuhr. Ein frischer Luftstoß fuhr durch die Tür, die sich im Nebel aufgetan hatte, und der blaue Himmel wehte uns wie die Tapete in gewissen Berliner Salons an: ein wenig eisig, ein wenig zimperlich. Ein wenig unmodern.

      »Es zieht«, sagte Annette.

      Der Kutscher knallte. Ein paar Kinder spielten Kreisel. Ein Dienstmädchen ging einholen: ein gelber Korb von kühn geschweiften Formen umrankte ihren rechten, nackten Arm, eine saubere Schürze war vor das blaukarrierte Kleid gebunden.

      »Sie dient gewiß bei einem Architekten. Er hat ihr den Korb entworfen.«

      »Architekten entwerfen keine Körbe. Sie bauen Häuser,« sagte Annette.

      Ein Hund, scheinbar zu dem Mädchen gehörig, schnob bellend wie ein kleiner Wind um unsere Pferde.

      Annette fröstelte.

      »Wir sind erst sechs Stunden von Arosa fort. Glaubst Du das?«

      Nein, ich glaubte es ganz gewiß nicht.

      »Wie die Anemonen aus dem Schnee emporblühten? Erinnerst Du Dich? Direkt aus dem Schnee!«

      Ich erinnerte mich.

      »Die Frühlingssonne brachte sie auf der schneegedüngten Erde so schnell zum Blühen, daß man sie förmlich mit den Augen emporschießen sah. Als griffe eine heiße Hand vom Himmel und zerre sie aus der Erde. Glaubst Du nicht, daß die Blumen für die Sonne da sind?«

      Nein, das glaubte ich nicht. Ich hatte mich über das Bild von der schneegedüngten Erde beunruhigt, fand es nicht sehr poetisch, aber bei Annette, der Tochter eines Rittergutsbesitzers, begreiflich und entschuldbar.

      Ich saß, blaß und zurückhaltend, in den Polstern.

      Plötzlich mußte ich lachen.

      Ein Radfahrer in zigeunerhafter Bluse kreuzte unsern Weg. Sein Rad schwankte und es sah aus, als führe er nicht auf der Straße, sondern auf einem Seile zur Belustigung eines festlich erregten Publikums Korso.

      Annette rückte sich im Sitz zurecht.

      Sie hört es nicht gern, wenn ich laut lache. Sie denkt immer, ich mache mich über sie lustig.

      »Was hast Du?«

      Ich zeigte ihr den Radfahrer.

      »Ist ein Radfahrer etwas Besonderes? Oder etwas besonders Lustiges?«

      »Aber wir haben seit neun Monaten keinen gesehen!«

      »Ein Radfahrer ist nie lächerlich. Auch wenn man ihn neun Monate nicht gesehen hat. Du bist ein Kind.«

      Sie tastete unter der Pelzdecke nach meinen Händen. Meine Hände staken, mit Glyzerin eingerieben, in großen wollenen Fausthandschuhen.

      »Übrigens: was rede ich: neun Monate ... und: Du bist ein Kind! Neun Monate waren wir in Arosa. Wenn Du doch ein Kind wärst! In neun Monaten kann man doch ein Kind bekommen? Warum habe ich keins bekommen?«

      *

      Als wir im Zuge Chur-Zürich im Kupee saßen, sagte Annette:

      »Warum bist Du krank?«

      Sie sagte es sehr ruhig und unbekümmert. Man kann ihr nicht böse sein. Obgleich sie in neun Monaten immerhin Zeit genug gehabt hätte, mich zu fragen, warum ich krank sei.

      *

      Wir

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