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vor einer so gesundheitsschädlichen Ausschweifung entsetzte, schien nur noch Iskuhi mit der Partie nicht einverstanden zu sein. Kein Wunder! Sie hatte die unerbittliche Grausamkeit des freien Landes und des freien Himmels kennengelernt. Was die anderen für ein Vergnügen erklärten, galt ihr als Lästerung. Ihr war zumute wie einer Hungernden, die übersättigte Menschen sieht, welche die Speisen zum Fenster hinauswerfen. Keine siebzig Meilen weit im Osten zogen die sterbenden Scharen über die Straße. Bagradians herzloses Spiel erbitterte sie. Von den Hintergründen dieses Spiels ahnte sie ja nichts:

      »Ich möchte zu Hause bleiben«, bat Iskuhi.

      Gabriel wandte sich ihr nicht ohne Schärfe zu:

      »Ausgeschlossen, Iskuhi! Ich halte Sie für keine Spielverderberin. Sie müssen mit Juliette in dem Scheichzelt wohnen.«

      Iskuhi sah aufs Tischtuch und kämpfte um Worte:

      »Ich habe ... ich fürchte ... Jede Nacht freue ich mich, daß ich in einem Hause schlafen darf.«

      Gabriel versuchte ihren Blick an sich zu ziehen:

      »Gerade mit Ihnen habe ich gerechnet.«

      Iskuhi hob den Kopf noch immer nicht und preßte die Lippen fest aufeinander. Bagradian zeigte sich wegen dieser Kleinigkeit sonderbar auffahrend:

      »Ich bestehe darauf, Iskuhi.«

      In ihrem Gesicht begann es schon zu zucken. Da winkte Juliette ihrem Mann, er möge Iskuhi in Ruhe lassen und weiter nicht beachten. Sie deutete ihm auch an, daß es ihr später gelingen werde, den Widerstand des Mädchens zu brechen. Dies aber erwies sich schwerer, als sie gedacht hatte. Sie versuchte es mit einer fraulichen Belehrung: Alle Männer seien im Grunde Kinder. Für eine Frau, die das Leben leiten und beherrschen wolle, tauge es am besten, die Kindereien der kleinen Männerwünsche womöglich zu erfüllen. Für nichts erweise sich dann ein echter Mann so dankbar und so lenksam. Um in den großen Lebensbedingungen seinen eigenen Willen zu behalten, könne man in den kleinen ruhig nachgeben. Diese Belehrung klang so, als richte sie Juliette an sich selbst, die Ehefrau. Was aber gingen denn Iskuhi die kleinen Männerwünsche Bagradians an? Sie sah verstört zur Seite:

      »Für mich sind das nicht kleine Dinge.«

      »Es kann doch recht hübsch werden. Einmal etwas anderes ...«

      »Ich habe noch zuviel Erinnerungen an dieses andre.«

      »Dein Bruder, der Pastor, hat nichts dagegen gesagt ...«

      Iskuhi atmete tief auf:

      »Ich bin nicht aus Eigensinn so ...«

      Juliette aber schien sich schon abgefunden zu haben:

      »Wenn du zu Hause bleibst, gehe ich auch nicht mit. Ich habe keine Lust, das einzige weibliche Wesen unter so vielen Männern zu sein. Da bleib auch ich lieber hier.«

      Iskuhi umfaßte Juliette mit einem langen Blick:

      »Nein, unmöglich! Das können wir nicht! Wenn du es willst, so gehe ich eben mit. Es ist schon überwunden, dieses Gefühl. Für dich tue ich's gern.«

      Juliette sah plötzlich sehr müde aus:

      »Bis morgen nachmittag haben wir viel Zeit. Man kann sich's immer noch zehnmal überlegen.«

      Sie griff sich an die Stirn und verdeckte die Augen. Ein dumpfer Schwindel, als ob von Iskuhis Erinnerungen nun manche auf ihren eigenen Geist übergegriffen hätten:

      »Vielleicht hast du mit deinem Gefühl recht, Iskuhi! Wir leben alle so harmlos ...«

      Man brach am nächsten Tag schon ziemlich früh auf. Um der Frauen willen wurde nicht der kürzere Aufstieg durch die Steineichenschlucht gewählt, sondern der bequeme, aber ziemlich lange Umweg über den Nordsattel. Um ihn zu erreichen, mußte man die Dörferstraße über Azir bis mittwegs nach Bitias eine halbe Meile weit zurücklegen. Der Musa Dagh erwies sich heute trotz seiner Abgründe, Felsbastionen, Wildnisse als eine wohlgesinnte Alpe, die sich den Bergsteigern von ihrer schönsten Seite zeigte. In der allgemeinen Munterkeit ging Iskuhis Schweigen unter. Doch auch sie schien sich nach und nach aufzuheitern. Gabriel Bagradian konnte bemerken, daß sein Sohn, seitdem er die Schule Lehrer Schatakhians besuchte, seine europäische Gesittung mit Sturzgeschwindigkeit einzubüßen begann. »Ich erkenne ihn kaum mehr«, hatte Juliette jüngst zu Gabriel gesagt. »Wir müssen sehr achtgeben. Er spricht bereits genau das armenische Steinklopfer-Französisch wie der famose Lehrer.« Stephan kannte den Damlajik schon fast so gut wie sein Vater. Er versuchte es auch, Führer zu spielen. Nie jedoch blieb er auf dem Weg, da er für seine turnerische Geschicklichkeit jede schwierige Klettervariante geflissentlich ausspähte. Oft war er weit voran, oft aber auch weit zurück, so daß seine Stimme allen Anrufen nur schwach entgegnete. Dieses Zurückbleiben hatte seinen guten Grund. Sato war es begreiflicherweise nicht erlaubt worden, an dem Ausflug teilzunehmen, obgleich sich Stephan dafür eingesetzt hatte. Man konnte zwar diesem scheuen und spitzen Wesen bisher keine Freveltat nachsagen, und doch stieß sie durch ihre »schmutzigen Augen« alle ab. Da Sato aber die einzig Gleichaltrige im Hause war, hielt Stephan aus einer Art Altersklassengefühl zu ihr. Auch jetzt wußte er, daß sie in ihrem eigentümlichen Schleichsinn die Gesellschaft verfolge. Darum wartete er sie von Zeit zu Zeit ab, um dann ein paar Schritte mit ihr gemeinsam zu gehen. Es fiel ihm dabei sehr schwer, mit Sato zu reden. Das Geschöpf antwortete eine Weile lang ganz brav und vernünftig. Dann aber packte es ein Koller und sinnlos-ekelerregende Laute drangen aus seinem Munde.

      Früher, als Gabriel angenommen, wurde der schöne Platz erreicht. Hier hatten unter Awakians Aufsicht Kristaphor, der Diener Missak und ein Stallbursche gute Arbeit geleistet. Die Zelte standen bereits, fest in der Erde verankert. Über dem des Scheichs oder des Großvaters Awetis wehte sogar eine Fahne, auf der das altarmenische Wappen gestickt war, mit dem Ararat, der Arche und der aufschwebenden Taube im Mittelfeld.

      Dieses Zelt war auch wirklich ein Prachtgehäuse aus einer stolzen und glanzvollen Zeit. Acht Schritte maß es in der Länge, sieben in der Breite. Sein Gerüst bestand aus armdicken Stangen von edlem Holz, die Innenwände aus schönen Teppichen. Einen großen Fehler hatte es allerdings. Im Zeltraum verbreitete sich ein scharfer Geruch von Kampfer und Alter. Die Wände waren zusammengerollt und in großen Säcken eingenäht gewesen, die Verwalter Kristaphor von Zeit zu Zeit unter Hügeln von Kampfer und Insektenpulver begrub. Die beiden modernen Expeditionszelte, die Awetis der Jüngere, vor einigen Jahren aus London nach Yoghonoluk gebracht hatte, fanden weit mehr Bewunderung, obgleich sie nur aus dem üblichen Zeltstoff verfertigt waren. Dafür aber enthielten sie alles, was sich der Scharfsinn eines erfahrenen Jägers und Weltmannes nur ausdenken kann. Awetis hatte ja auch, ehe ihn die fortschwelende Krankheit jäh niederwarf, eine Fahrt in fast noch unbetretenes Gebirgs- und Steppenland geplant, und zwar in Begleitung zweier englischer Freunde. In diesen Zelten war nichts vergessen. Zusammenklappbare Feldbetten, auf denen man durchaus nicht hart lag. Seidene Schlafsäcke, federleichte Tische und Stühle, die sich ineinanderschieben ließen. Kochgeschirr, Teegeschirr, Schüsseln und Teller, alles aus Aluminium. Waschbehälter und Badetubs von Gummi, und nicht zu vergessen die windsicheren Lampen für Petroleum- und Spirituslicht.

      Man ging daran, die Wohnstätten zu verteilen. Juliette lehnte das Scheichzelt ab und bezog mit Iskuhi eine der modernen Unterkünfte. Krikor und Gonzague bekamen das andere Expeditionszelt. Lehrer Oskanian erklärte aus dunklen Gründen und mit einem strengen Blick auf Juliette, er ziehe es vor, abseits der menschlichen Gemeinschaft die einsame Nacht mit sich selbst zu verbringen. Er warf bei dieser Erklärung den kraushaarigen Kopf ein wenig zurück, als erwarte er, daß einerseits ein allgemeiner Lobausbruch seinen mutig-stolzen Entschluß belohnen und andererseits eine gewogene Frauenstimme den Versuch machen werde, ihn umzustimmen. Juliette dachte jedoch weder an die Tiere des Waldes noch an die Deserteure, denen Oskanian sich auszusetzen gesonnen war. Und auch sonst wollte ihm niemand die einsame Zwiesprache mit seiner Seele streitig machen. Da wandte er sich mit höhnischer Hoheit ab und versank für den Rest des Abends in sein überlegenes Brüten, ohne den Entschluß, der so wenig verstanden worden war, zurücknehmen zu können. Gabriel, Stephan, Awakian und Schatakhian aber schlugen in dem Prachtquartier, von dem der Wimpel wehte, ihr Nachtlager auf.

      Bagradian

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