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Tag den Einfluß der führenden Zeichner: Forain, Caran d'Ache, Ibels, Léandre u. s. f. im Psst...!, Sifflet, Rire — auf die Stimmung der Massen hätte erkennen können. Die neuen Arbeiten Grand-Carterets streifen ähnliche Probleme. Eine im Wesen des politischen Bildes begründete Eigenheit ist es, daß sie fast stets auf Seite der Opposition, des Schwächeren, des Unterliegenden steht. Die deutschen Karikaturen, z. B. im Krieg 1870, sind geringfügig, in minderer Anzahl und ohne Stachel, während die Franzosen — als Besiegte — ihrer bittersten Spottlust alle Zügel schießen lassen und eine Unzahl Blätter von gewaltiger, wuchtiger Kraft geschaffen haben, — jedes ein aufstachelndes Kriegslied, flammend, voller Hohn und Verachtung. So wird die politische Karikatur ihren Höhepunkt stets in den Zeiten politischer Erregtheit haben, in ruhigeren wird sie dann wieder ebben, verflachen, um plötzlich wie eine Springwelle von neuem emporzuschnellen. Und schon diese Linie zeigt ihre Stellung im Streite der Mächte und Meinungen, ihre Wichtigkeit als Kampfmittel. Man könnte sie die Biblia pauperum des öffentlichen Lebens nennen. Wie sich die Armenbibel an die wandte, denen das geschriebene, gedruckte Wort kein Leben gewann, um zu ihnen mit der stärkeren Suggestion des bildlichen Eindrucks zu sprechen, so wendet sich die politische Karikatur — vorzüglich die frühere, welche mit sogenannten »fliegenden Blättern«, »Einblattdrucken« oder mit Plakaten das Land überschwemmte — agitatorisch an die breitesten Massen derer, welche nicht scharfsinnig den Bewegungen zu folgen verstehen. Und selbst denen, welche im politischen Leben stehen, will sie, wie in einer Anmerkung, einer glossierenden Fußnote zur Zeitgeschichte, noch einmal in schlagender Weise das vorführen, was hier das Springende ist. Kurz und klar will sie den Sinn erfassen, knapp und scharf ihn zum Ausdruck bringen. Sie will nicht mit uns unterhandeln, uns mit Gründen der Vernunft etwas beweisen, sondern sie will uns blenden, uns überzeugen, ehe wir nachdenken können. Der große Nutzen dieser Kunstübung also ist es, daß sie mit scheinbarem Spiel den indifferenten Massen eine starke Anteilnahme am öffentlichen Leben erhält. Ohne unsere satirisch-politischen Witzblätter würden sich die Leiter der Politik kaum heute einer solchen Volkstümlichkeit erfreuen.

      

      Abb. 10. D. Chodowiecki: Liberté, Égalité, Sansculotte.

      

      Abb. 11. Daniel Chodowiecki: Wallfahrt nach Französisch-Buchholz.

      

      Abb. 12. D. Chodowiecki: Phétion, Marat und das Fischweib.

      

      Abb. 13. Silhouette zu Kortums »Jobsiade«.

      Die Beleuchtungsart der politischen Karikatur hat etwas vom elektrischen Scheinwerfer, welcher hier breite Lichtmassen häuft, um sie gegen tiefschwarze Schatten noch greller wirken zu lassen. Diese Art der Beleuchtung zwingt die politische Karikatur in ihren Angriffen scharf und oft ungerecht zu werden, aber das ist eben in ihrem Wesen und ihren Zielen begründet, und man kann es ihr nicht zum Vorwurf machen. Das volle Bewußtsein der Ziele und des Wesens hat der politischen Karikatur in der letzten Zeit, in einem Jüttner, Feininger, Brandt, in den Franzosen Léandre, Forain einen ganz eigenen künstlerischen Stil gegeben. Die Zeichner lernen wie Volksredner Schlagworte münzen, schaffen Bilder, die sie suggestiv uns einprägen; sie schreiben Lapidarschrift, weisen monumentale Züge auf, schreiten im Gegensatz zu aller früheren Karikatur zu einer absichtlichen, kräftigen Einfachheit, Großzügigkeit fort, welche sich trefflich für die Wichtigkeit ihrer Aufgaben eignet; und die Zeit, in der die politische Karikatur, — wie Fuchs sagt, — »als Kampfmittel unterschätzt, in ihren Aufgaben verkannt, als Kunstwerk verachtet wurde«, ist heute vorüber. Gerade die zum Stil gewordene Großzügigkeit zeigt uns, daß hier Fragen im Spiele sind, die hoch über dem kleinen Leben, über dem engen Kreise des Einzelnen stehen. Der Ton der politischen Karikatur klingt jetzt kräftiger und doch vornehmer, wie früher; man bewahrt einen gewissen Anstand dem Gegner gegenüber, und so witzlose, wüste — bildliche und wörtliche — Schimpfereien, wie sie die Fehden der Reformationszeit heraufbeschworen, möchte man heute anderen Gebieten zurechnen. Die Angriffe gegen einzelne Personen sind auch schon heute in der politischen Karikatur — im Verhältnis zu 1848, dem eigentlichen Geburtsjahr der deutschen satirischen und humoristischen Zeichner — seltener geworden; und selbst dieses bedeutet einen Fortschritt; denn man hat nicht mehr das bedrängende Gefühl, daß die Leute in ihren Privatinteressen geschädigt werden, sondern daß, was man in ihnen dem Spott preisgibt, das ist das, was sie vertreten; sie sind nur die Schale, nicht der Kern. Die höchste Form der politischen Karikatur ist die, welche, ohne Persönlichkeiten hineinzuziehen, die Zustände geißelt; denn sie scheint sub specie aeternitatis geschaffen.

      

      Abb. 14. J. H. Ramberg: Aus »Till Eulenspiegel«. (Verkleinert.)

      Humoristische und karikaturistische Zeichnung ist in Deutschland jüngeren Datums; daß wir zuerst einen eigenen Stil dieser Kunstübung aufweisen können, liegt kaum fünfzig Jahre zurück. Als verachtet hat sie lange Männer von echter Begabung von sich fern gehalten, und nur Talente dritten Grades haben sich in ihr bethätigt. Daß die meisten Einzelblätter politischer Satire namenlos erschienen sind, ist in der Lage der Dinge begründet; nur selten werden wir die früheren Zeichner feststellen können, oft ist es auch unmöglich, die Beziehungen zu ergründen; doch dann werden es meist Anlässe von geringfügigem Interesse sein, welche wohl der Spezialforschung von Nutzen, aber hier für uns in keiner Weise fördernd wären.

      In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts finden wir keine deutsche Karikatur von irgend welcher Wichtigkeit, weder politisch noch sittengeschichtlich; es scheint überhaupt das Bedürfnis für sie bei den gebildeten Ständen vollends geschwunden zu sein, und nur die niederen Formen der Komik mögen beim Volk ihre Freunde finden. Das politische Leben leidet an der großen Erschlaffung nach schwerer Krankheit; dem Deutschen ist die Lust am Lachen gründlich abhanden gekommen, versiegt mit den Quellen seines Spottes, und bis der deutsche Humor wieder ein eigenes Gewand bekommt, darüber vergehen weitere hundert Jahre. Solange leben wir fast nur von Anleihen bei den Nachbarn oder können uns doch nicht zu einem eigenen Stil ermannen. Der derbe, alte, deutsche Humor, der in den Steinmetzarbeiten des romanischen und gotischen Kirchenschmucks in tausend Formen seinen Ausdruck fand, der selbst im Spiel mit dem Grausigen, wie in Holbeins Totentanz, seine Überkraft offenbart, der in Fischart, in Sebastian Brandts Narrenschiff, in bösartigen, monströsen Satiren der Reformation seine Rechte behauptete, der in der alten Sage vom Reinecke Fuchs so viel Geist und Laune aufwies — er ist vollends vergessen, und wie er sich wieder hervorwagt, da ist aus seiner breiten, totschlagfreudigen Kraft eine armselige Spießbürgerlichkeit geworden, die nicht fähig ist, herzhaft zu lachen, noch weniger, herzhaft zu hassen. Jedes Band, das die politische Zerrissenheit verknüpfen konnte, fehlt, und das, was heute der deutschen Karikatur ihren Reichtum gibt, die Vielheit der Stämme, die Summe der Centren, welche sich unter einer Einheit zusammenfindet, stellt uns, solange diese Einheit fehlt, ihre tiefste Ohnmacht dar. Frankreich hat im Gegensatz zu Deutschland nur eine geistige Kraftcentrale: Paris, während sich in Deutschland eine Reihe von Stätten der Kunst und des Wissens entwickelt hat. Jede zeigt hier ein eigenes Gesicht, und doch werden alle heute von einem gemeinsamen Band gehalten. In dieser Vielheit ist die Größe und Zukunft deutscher Kultur zu sehen.

      Abb. 15. Napoleonskarikatur 1813.

      

      Abb. 16. J. M. Volz: Das wahre Porträt des Eroberers. 1813.

      Allen politischen Ereignissen des achtzehnten Jahrhunderts gegenüber zeigt sich in der Karikatur eine merkwürdige Anteillosigkeit; selbst die Kriege Friedrichs des Großen finden nur ein geringes Widerspiel, und sogar noch die französische Revolution

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